Das regierende Machtkartell tut alles um zu demonstrieren, wie tapfer es sich der Völkerwanderung entgegenwirft und die Presse hilft ihm dabei – sei es aus intellektuellem Unvermögen oder Gewohnheit. Doch die neuen Maßnahmen, die jetzt fast jeden Tag lançiert werden, sind eher Placebos. Anmerkungen zu den Stichworten “50.000 Abschiebungen”, “eingeschränkte Familienzusammenführung” und “Halbierung der Mindestsicherung”. NB zur Kündigung internationaler Verträge.
Wie niemand entgangen sein kann, wird in den Medien seit Tagen getrommelt, dass die österreichische Regierung 50.000 Abschiebungen plane, was – je nach Zielgruppe – mit der Botschaft: Wir tun, was wir können (Massenpublikum) oder mit einem vorwurfsvollen Unterton unterlegt wird (liberale Zielgruppe).
Wie immer die Wertung auch ausfällt – der dabei entstehende Eindruck von massenhaften Abschiebungen ist nicht zutreffend, denn
- zum einen handelt es sich nicht allein um Abschiebungen, sondern um Außerlandesbringungen insgesamt, die “freiwillige” Ausreisen und Dublin-Überstellungen beinhalten und
- zweitens geht es um je 12.500 Fälle, verteilt auf vier Jahre. Diese Zahl muss man in Relation zu den neuen Ansuchen bzw. zu den rechtskräftig abgelehnten Asylanträgen setzen (die Zahl der auch in der Instanz abgelehnten Anträge ist bis Erscheinen des jeweiligen Jahresberichts i.d.R. unbekannt). Auf rund 90.000 Neuanträge kamen im vergangenen Jahr 8.365 “Abschiebungen”. Das ist relativ gesehen nicht besonders viel, weil es im Jahr davor bei 28.000 Neuanträgen etwa 6.000 Außerlandesbringungen gab.
12.500 “Abschiebungen” wären zwar deutlich mehr als 2015, aber bei hohem Einwanderungsdruck in die Gegenrichtung sorgt es nicht wirklich für spürbare Erleichterung für die Grundversorgung.
Bei “geplanten” 37.500 Neuanträgen im Jahr 2016 wäre das nicht einmal eine Rückkehr zur Normalität der Jahre vor 2014. 6.000 Außerlandesbringungen waren zwischen 2010 und 2014 jedenfalls die Norm, aber bei jährlich 11.000 bis 17.000 Neuanträgen (siehe dazu Welz, Abschiebepolitik 1995 – 2013 in Zahlen, Seite 6).
Die Story ist also ein typisches Produkt der Spin-Doktoren in den Presseabteilungen, die damit entschlossenes Handeln simulieren wollen.
Schwer zu sagen, ob die Journalisten dumm genug sind, um den Köder (“50.000 Abschiebungen”) zu schlucken oder ob sie trotz besserer Einsicht mitspielen.
“Einschränkung des Familiennachzugs”
Die Asylgesetznovelle beinhaltet zweifellos Einschränkungen für den Familiennachzug, aber welche, die eher als geringfügig zu sehen sind. Siehe hier eine Gegenüberstellung des alten und neuen Texts. Bestimmte Änderungen könnten den Nachzug eher beschleunigen als ihn einschränken (3-Monate “ohne zusätzliche Bedingungen” für Asylberechtigte).
Subsidiär Schutzberechtigte dürfen künftig erst nach drei statt wie bisher nach einem Jahr um Familienzusammenführung ansuchen und das ist zweifellos eine Restriktion. Allerdings handelt es sich um die bei weitem kleinere Gruppe (ein Siebtel der Neuzuerkennungen von Asylberechtigungen 2015).
Alles in allem war der österreichische Gesetzgeber bemüht, sich an bestehende Regelungen anderswo (Deutschland) anzulehnen und/oder das Recht der Asylanten auf Familienleben nicht zu verletzen (ein straffällig gewordener Nigerianer durfte von der Schweiz nicht “ausgeschafft” werden, weil er dort Kinder hat.)
Ich bin kein Jurist, aber dieses Gesetz, angeblich “eines der schärfsten Asylgesetze Europas”, kann die Elch-Teste des EGMR und der Kommission wohl leicht passieren. Ob es die Versprechungen erfüllt, mit denen es verkauft wird, steht auf einem anderen Blatt. Das gilt auch für “Asyl auf Zeit”.
“Mindestsicherung halbieren”
Der oberösterreichische Landtag hat vergangene Woche beschlossen, für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte die Mindestsicherung zu halbieren, siehe hier. Das mag ein verzweifelter Versuch sein, die öffentlichen Kassen des Bundeslands zu schützen. Das heißt aber noch lange nicht, dass das unter den gegenwärtigen Bedingungen des internationalen Rechts eine erfolgreiche Strategie ist.
In vielen Rechtsquellen und noch zahlloseren Judikaturen ist ein Diskriminierungsverbot für Asylberechtigte enthalten, beginnend mit der Genfer Flüchtlingskonvention (Artikel 23). Das bedeutet, dass – auf der bestehenden Rechtsbasis – staatlich anerkannte Schutzsuchende auch bei den Sozialleistungen den Staatsbürgern gleichzustellen sind – Punkt.
Das Land hat zwar die Möglichkeit, die Sätze für die Mindestsicherung selbst zu bestimmen, es darf unter den gegebenen Bedingungen aber keine Inländer bevorzugen/Asylanten benachteiligen. Da kann der oberösterreichische Landtag beschließen, was er will. Der Gemeinderat von Afiesl im Bezirk Rohrbach könnte auch versuchen, in seinem Gemeindegebiet den Linksverkehr einzuführen, und vielleicht würde man dort ein paar Wochen lang auf der anderen Straßenseite fahren. Das heißt aber nicht, dass diese Regelung aufrechterhalten werden kann. Nicht unter den gegebenen Bedingungen.
Diese Bemühungen sind ungefähr so erfolgversprechend wie die historischen Alleingänge Österreichs in Sachen Transitverkehr.
Der oberösterreichische Landtag hat aber jedenfalls symbolisch gehandelt und der Wiener Landtag bringt trotz ständiger Kostenüberschreitungen bzw. Nachtragsbudgets nicht einmal die Kraft für solche Gesten auf.
Es ist und bleibt aber ein symbolisches Vorgehen – auch wenn viele Oberösterreicher jetzt glauben, dass “Pühringer und Haimbuchner ohnedies was unternehmen” (mit eigenen Ohren gehört). Ceteris paribus können die Sozialkassen jedenfalls auch durch Beschlüsse wie diese nicht geschützt werden. Ceteris paribus.
Nachbemerkung, 1.2.2016, 20:00: Um es klar auszudrücken: Wenn internationales Recht von einem Staatsbürgervolk mehr verlangt als dieses leisten kann (bzw. dazu bereit ist), kann es die sauberste Lösung sein, aus dem fraglichen Vertrag auszusteigen; sauberer jedenfalls als z.B. graue Politik oder die schlichte Ersetzung unabhängig entscheidender Behörden durch eine weisungsgebundene Hoheitsverwaltung.
In Sachen Rüstungskontrolle wird ständig demonstriert, dass man aus Verträgen, in die man ein- auch wieder aussteigen kann – siehe hier und hier – warum sollten souveräne Staaten aus internationalen Abkommen nicht auch aussteigen dürfen, wenn diese chronisch missbraucht werden und/oder wenn diese nicht mehr zeitgemäß sind? Unkündbare Verträge sind sittenwidrig.
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.