Sebastian Edwards, eigentlich ein Lateinamerika-Spezialist, hat über eine zeithistorische “Episode” geschrieben, die es mehr als verdient, den Nebeln der Vergangenheit entrissen zu werden: die Abschaffung des Goldstandards in den USA, die man auch anders nennen kann: als Beginn einer ideologischen Revolution von oben oder Raubzug gegen große und kleine Vermögende. “FDR”, bis heute der Säulenheilige progressivistischer Staatsanbeter, kriegt ein paar Kratzer ab, bleibt aber auf seinem Sockel.
“Schlecht” – oder auch nur ausgewogen – über Franklin Delano Roosevelt (FDR) zu sprechen/schreiben gilt in den Staaten als ähnlich unfein als würde ein Historiker hierzulande Joseph II. “am Zeug flicken”.
Das geht gar nicht, will man weiterhin auf liberale Cocktail-Partys eingeladen werden.
Edwards hat den Tabubruch trotzdem gewagt und das hat – wie man am Schluss sehen wird – einen speziellen, bis in die Gegenwart reichenden Hintergrund.
American Default: The Untold Story of FDR, the Supreme Court, and the Battle over Gold ist – abgesehen vom Framing, in das die bisher unerzählte Geschichte eingebettet wird – eine (im positiven Sinn) gelehrte Abhandlung;
eine wirtschaftshistorische “Spurensicherung”, die in der Historikerzunft ja nach wie vor modern ist – sofern es nicht gerade um “demokratische” Machthaber geht, die “ihre” Staatsbürger teilenteignet haben, vorgeblich für ein übergeordnetes Wohl.
“Demokratische” Machthaber bekommen überdies noch einen Innovatoren-Bonus zugesprochen, weil sie einen wirtschaftspolitisch revolutionären Paradigmenwechsel bewirkt haben, der so ganz nach dem Geschmack der sozialistischen und kryptosozialistischen peer group ist.
In dieser Perspektive geht es darum, “Reiche” zu berauben um die dabei gemachte Beute an die “Armen” zu verteilen – alles unter Anführungszeichen klarerweise.
Denn die in Rede stehenden Reichen waren eine spezielle Untergruppe – jene, die zu schlecht “vernetzt” waren um sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen; eine Gruppe übrigens, der auch unzählige arme Omas zugeschlagen werden müssen, die sich über die Jahrzehnte ein paar Goldmünzen vom Mund abgespart haben.
Und die aus dieser Sicht “Armen”, das waren (auch) unzählige standesgemäß besoldete Politicos, Direktoren und Wirtschaftsführer einer frühkeynesianischen Planwirtschaft.
Zweifelhafte Rettung aus der Depression
Der Schmafu soll notwendig gewesen sein um Amerika aus den Tiefen der Depression zu ziehen – was unter “liberalen Wirtschaftshistorikern” heute zwar unbestritten ist, was sich aber leicht relativieren lässt;
beispielsweise durch einen Blick auf den Chart des (realen) Nationalprodukts, den Edwards dankenswerterweise abdruckt (Fig. 16.1.).
Diese Grafik zeigt für die erste Amtszeit eine “Erholung” des US-GNP fast bis auf die Höhe von 1929 – eine “Erholung” wie sie von einer nun weitgehend entkernten, aufgeblähten Währung widergespiegelt wird.
Böse Zungen würden so etwas “statistisches Artefakt” nennen.
Nach 1936 freilich stagnierte diese “Erholung” – bis etwa zum Ausbruch des 2. Weltkriegs (um 1939 bzw. zwei Jahre später, beim Kriegseintritt der USA, steil in die Höhe zu schießen).
Wenn hier jemand oder etwas die USA “aus dem Dreck gezogen” hat, war es nicht der “friedliche FDR” der ersten Jahre, sondern der Kriegs-Keynesianismus eines angehenden Welt-Hegemons, wohlgemerkt (für Deutschland hatte Hitlers Kriegs-Keynesianismus zerschmetternde Folgen).
Der Zweite Weltkrieg war für die USA ein einziger, vielleicht ungeplanter Glücksfall.
Schritte einer Enteignung
Doch zurück zum american default des FDR.
Edwards erzählt über 250 Seiten die bis dato nur ungenügend beleuchtete Kehrseite des vermeintlichen Wunders (“kollektive Amnesie”)
- jenes Dings, das gedreht werden musste, um FDRs Erholungs-Illusion überhaupt erst zu ermöglichen.
Dafür mussten der Präsident und seine Genossen zuerst abwerten, was wieder die Abschaffung des Goldstandards zur Voraussetzung hatte (was damals übrigens alle taten, die Engländer ebenso wie die Hitler-Deutschen).
Schritt eins war die Konfiszierung des physischen Golds der Amerikaner, die mit einer bis zu zehnjährigen Haft für den Fall bedroht wurden, dass sie ihr Edelmetall nicht herausrückten (es war eine Beschlagnahme mit Entschädigung; pro Unze wurden etwa 20 Papier-Dollars geboten)
Schritt zwei bestand in der Abschaffung der sogenannten Goldklausel in Darlehensverträgen, die ursprünglich dazu verwendet wurde, Geldgeber vor den Folgen einer inflationistischen Wirtschaftspolitik zu schützen, wie sie beispielsweise im Bürgerkrieg geführt wurde (werden musste).
Die Abschaffung der Goldklausel betraf eigentlich nur private Kredite (bonds), in weiterer Folge aber auch die Staatsschulden.
Es war dies ein Gemeinschaftsprojekt des neuen Präsidenten und des Kongresses, das 1935 auch vom Supreme Court durchgewunken wurde (mit einem zugegeben knappen Abstimmungsergebnis).
Der (amerika-interne) Preis des Goldes wurde fürderhin vom Präsidenten festgesetzt, was zunehmend vom Krankenbett FDRs aus geschah.
Der dritte Schritt des Bubenstücks war schließlich die Abwertung der Währung gegenüber dem (internationalen) Goldpreis auf 35 dolares.
Washington locuta, causa finita.
Die anderen Sozis im Zeitalter FDRs – die in Deutschland und der Sowjetunion – waren zwar um einiges brutaler, Grundrezept & Wirtschaftspraxis waren aber ähnlich (besonders im Fall des Nationalsozialismus).
Schritte einer Enteignung
Derlei sei heute nicht mehr möglich, gibt Edwards im letzten Kapitel seines Buches schlau zu Protokoll – und tatsächlich: da kann man ihm nicht widersprechen.
Der Trick mit der selektiven Enteignung durch Abschaffung des Goldstandards lässt sich streng genommen nur ein einziges Mal durchführen.
Aber es gab und gibt halbe Wendungen und Strategiewechsel wie 1944 in Bretton Woods und Hunderte von abgeleiteten Nachfolge-Tricks all over the world.
Beliebt waren bzw. sind die Modelle Greenspan & Bernanke und Draghi, die eher auf eine verdeckte und schleichende Konfiszierung von Finanzvermögen setzen – was viel eleganter (und heimtückischer) als der offene Raubzug von Franklin D. ist.
Natürlich lässt eine moderne Zentralbank, die weitestgehend freie Hand bei der Geldschöpfung hat, private und staatliche Kreditnehmer nicht einfach vor die Hunde gehen -
sie wird immer die Schaffung von Kreditgeld in ausreichender Quantität ermöglichen (und fraglicher Qualität der neu geschaffenen Zahlungsmittel).
Aber natürlich kann sie nicht wirklich zaubern und z.B. einen Zahlungsausfall bei den “impliziten Staatsschulden” verhindern; also vor allem bei den Sozialversprechen an alte und/oder kranke Bürger.
Edwards schreibt das auch und weil wenige auch nur ahnen, wovon überhaupt die Rede ist, kann er das relativ offen tun.
Unsere Cocktail süffelnden Wirtschaftsprofessoren wissen natürlich alle um das “Problem”, aber sie reden im Regelfall nicht darüber.
Argentinien: Quod licet Iovi…
Interessant ist, warum ein kalifornischer Establishment-Professor wie Edwards einer ist, über die impliziten Staatsschulden redet, vor allem aber über die in seinem Buch thematisierte historische Gaunerei des FDR (der, wie gesagt, in Edwards Kreisen ein Säulenheiliger ist).
Und das kommt folgendermaßen:
Lateinamerikanische Regierungen wie beispielsweise die argentinische des Jahres 2002 haben ähnlich wie weiland Roosevelt rückwirkend Verträge ändern und Schulden von Dollar auf die jeweilige Landeswährung umstellen lassen um die Last der volkswirtschaftlichen Zahlungsverpflichtungen in ausländischer Währung zu minimieren.
Das führte und führt zu Staatsbankrotten und Währungskrisen und war und ist pöhse – während Roosevelt für sein vergleichbares Handeln ein Heiligenschein verpasst wird, womöglich mit dem Hinweis, dass 1935 ja sogar das amerikanische Höchstgericht…
Natürlich hat z.B. auch das argentinische Höchstgericht der Anullierung der Dollar-Auslandsschulden zugestimmt, so wie der Supreme Court die Abschaffung der Goldklausel unterstützt hat.
Der Unterschied ist “nur”, dass das
- in der heutigen (internationalen) Presse niemand für relevant erachtet, sowie dass
- internationale Gerichte Buenos Aires durchgehend verurteilt haben, was in den 1930er-Jahren im Fall der USA natürlich nicht stattfand.
Edwards beriet nach 2002 Gläubiger argentinischer Schuldner und berichtet faktisch (und wohl auch ein bisschen stolz), was er und einschlägig tätige US-Anwaltskanzleien für ihre internationalen Kreditoren-Kunden alles erreichen konnten (eigene Übersetzung):
Die große Mehrheit dieser Verfahren bezog sich auf den Bruch langfristiger Kontrakte. Argentinien hat diese Dollar-Verträge einseitig anulliert und rückwirkend in (argentinischen) Pesos neu geschrieben. Wir haben jeden einzelnen dieser Fälle gewonnen.”
Die Anwälte der Gegenseite hätten damals ständig darauf hingewiesen, dass Buenos Aires nichts anderes gemacht habe als Roosevelt 1933 ff. bei den Goldklausel-Verträgen auch getan habe –
und anlässlich der Untersuchung dieses Arguments sei er, Edwards, darauf gestoßen, dass die wirtschaftshistorische Faktenlage nicht einmal in den Staaten befriedigend dokumentiert sei.
Edwards will aus heutiger Sicht nichts zu diesem (gegen dieses) Argument mehr sagen (außer dass sich in den USA heute kaum wer an die ominöse Episode der eigenen Geschichte erinnern wolle).
Er fasst kurz die Mainstream-Meinung seiner (post-)keynesianischen Ökonomenkollegen zusammen und schreibt, dass diese FDRs Abschaffung von Goldstandard und -klauseln als wertvollen Beitrag zur Überwindung der Großen Depression von 1932/33 ff. sähen.
It appeared to me, that most of the scholars would have sided with Argentinia during the legal proceedings, that followed the 2002 default and devalution.”
Sebastian Edwards, American Default: The Untold Story of FDR, the Supreme Court, and the Battle over Gold. 2018
Bild: Cornell Library, Public Domain via Wikimedia Commons
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