Ein aktuelles populärwissenschaftliches Büchlein des Springer-Verlags deutet an, was der Laie über die Versorgung Europas mit Erdgas alles wissen könnte, wenn er dies denn wollte. Um die überragende Relevanz des Themas zu würdigen, sollte sich der Leser freilich bereits vor der Lektüre über energetische Funktion und künftige Rolle dieser nicht festen Kohlenwasserstoffe informieren.
Die beiden Autoren, ein Russe und ein Deutscher, berichten in den 26 Kapiteln ihrer Schlacht um Europas Gasmarkt über
- die geringe und weiter schwindende Eigenversorgung der EU-28 mit natural gas,
- die über Jahrzehnte gewachsene dominante Marktposition der heutigen Russischen Förderation sowie
- kommerziell, geo- und wettbewerbspolitisch motivierte Versuche, diese Angebotsmacht aufzuweichen – über Anbieter aus Nordafrika und dem kaspischen Raum etwa.
- Eine besondere Rolle soll heutzutag’ verflüssigtes Erdgas/LNG spielen, etwa von Akteuren aus dem Emirat Katar oder den USA; eine Technologie, die – wie manche meinen – ein Gegengewicht zum Pipeline-Zeug der Gazprom ermöglicht (eine wohl eitle Hoffnung).
Leider ist das Buch miserabel lektoriert.
Prinzipiell gehen die Autoren von weltweit “riesigen Vorräten von traditionellem und nicht traditionellem Gas” aus – was dem conventional wisdom der Expertengemeinde entspricht (aber nicht zwingend zutreffend ist).
Weil sich dieser Gelehrtenkonsens an den Verlautbarungen interessierter Parteien orientiert, stünde eigentlich eine Extra-Portion Skepsis auf der Tagesordnung; Skepsis zum Beispiel hinsichtlich der Nutzbarkeit der anscheinend überreich vorhandenen hydrocarbons.
Wie ein bloß flüchtiger Seitenblick auf Erdöl lehren könnte, bedeutet nämlich schieres Vorhandensein noch lange keine energetisch oder gar monetär (kommerziell) rentable Förderung.
Immerhin werden im Autonomen Kreis Jamal-Nenzen, wo vor 50 Jahren die Förderung begann, bis heute neue konventionelle Vorkommen entwickelt, deren Ausbeute über Hunderte Kilometer gen Südwesten und weiter über Weißrussland und die Ukraine nach Mitteluropa geleitet wird.
Insbesonders Letzteres scheint sich jedoch gerade zu ändern.
Sind erst einmal
- der zweite Strang der Nord-Stream in Betrieb und
- Realismus über die Leistungsfähigkeit des sogenannten Südkorridors eingekehrt, dürfte der westlichste Teil der Druschba-Gas weitgehend stillgelegt und die Ukraine erfolgreich umgangen sein.
Nach jahrzehntelangen Disputen mit Kiew hätte Moskau etwas erreicht, was die Brüsseler Schnapsnasen u.a. mit ihrer Torpedierung der South Stream durchkreuzen zu können glaubten;
mit dem ungewollten (?) Effekt, dass künftig nicht nur der Zar, sondern auch der Sultan den südlichen EU-Staaten das Gas abdrehen kann (Letzterer gleich zwei Mal – TANAP!).
So etwas verstehen Brüssel & Konsorten dann unter dem buzz word “Versorgungssicherheit”.
Mal sehen, ob die Diversifizierungsstrategie per LNG ähnlich durchschlagende Erfolge zeitigt.
Oleg Nikiforov und Gunter-E. Hackemesser, Die Schlacht um Europas Gasmarkt. Geopolitische, wirtschaftliche und technische Hintergründe, 2018
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