Flausen, Finten, Illusionen – EU-Energiepolitik in Hochform

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An Unfähigkeit und Böswilligkeit Brüssels gescheiterte Pipelines. Planstand 2010

Die Bürger der EU-Staaten sollten sich bewusst sein, dass sie Versuchskarnickel einer massiv selbstschädlichen Energiepolitik durch die Kommission und ihre lokalen Verbündeten sind. Es sieht so aus, als sollte der Kontinent bewusst von außereuropäischem Erdöl und Erdgas abgeschnitten werden.

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New York Times, 1.12.2014

“Noch so ein Sieg und wir sind verloren.” Pyrrhus, griechischer Feldherr, nach einer Schlacht gegen die Römer

Vorbemerkung: Dies ist ein Nachfolgeartikel zu diesem vor einer Woche geschriebenen Stück. Dieses krankt an einem faktischen Fehler, der hier berichtigt werden soll: Gazprom hat tatsächlich keinen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung zum Third Party Access mehr gestellt. Nachdem die russische Firma fünf Jahre hingehalten worden war und Brüssel Ende 2013 fünf bilaterale Verträge mit einem Federstrich gecancelt hatte, waren die Russen zur Auffassung gelangt, dass sie zum Narren gehalten werden. Das offizielle Aus für die South Stream ist deshalb nur eine Vollzugsmeldung.

Die Diagnose, zu der ich in Djangos Erdgaslüge gelangt bin, halte ich vollinhaltlich aufrecht. Unpassend waren meine Attacken auf Vizekanzler Mitterlehner. Er hat sie zwar verdient, weil er in der Öffentlichkeit eine Politik verkauft, die er intern bekämpft; aber Mitterlehner ist in diesem Spiel bei weitem nicht die übelste Figur. Dies ist übrigens als (halbe) Entschuldigung zu verstehen.

Am vergangenen Montag hat Russland beim Gaspipeline-Projekt South Stream das Handtuch geworfen und das mit der Obstruktionspolitik der Kommission begründet. Der üblicherweise super-höfliche russische Präsident vermied es, das auch so auszudrücken. Er sagte etwa Folgendes: “Wenn unsere europäischen Partner das Projekt nicht wollen, wird es auch nicht gemacht.”

Kurz danach schien Putin nicht mehr an sich halten zu können. En passant empfahl er Bulgarien, die Europäische Kommission auf einen Schadenersatz von 400 Millionen Dollar (pro Jahr) zu verklagen – das ist die Summe, die dem südosteuropäischen Land wegen des Scheiterns des Projekts an Durchleitungsgebühren entgeht. (Das wir so bald schon deswegen nicht passieren, weil der neue alte bulgarische Premier die Rolle des lokalen Helferleins spielt.)

Die Russen kündigten an, eine neue Röhre in die Türkei zu bauen und weil die Türken für sich allein genommen natürlich nicht annähernd so viel Gas kaufen können wie zwei Dutzend südosteuropäische Staaten, interpretierte die Öffentlichkeit die “Volte” Putins als Niederlage für den russischen Präsidenten.

Einige präsumptive Anrainerstaaten waren von der Entwicklung aber gar nicht amüsiert und haben das der Kommission auch mitgeteilt – nicht öffentlich, dafür aber umso unmissverständlicher.

Zwei Tage danach besuchte Kommissionspräsident Juncker das Helferlein von Sofia., den bulgarischen Premier Borissow und erklärte, dass die Schwierigkeiten des Projekts “nicht unüberwindbar” seien und South Stream nach wie vor gebaut werden könne.  Moskau zuckte nur bedauernd mit den Achseln und erklärte, dass die Entscheidung gefallen sei.

Nun - theoretisch könnte sich übermorgen herausstellen, dass der Krach zum Verhandlungsprozess gehört hat und alles wieder gut ist.

Es sieht aber gar nicht danach aus. Es sieht schlicht und ergreifend danach aus, dass die Kommission kein zusätzliches russisches Erdgas in der EU-28 haben möchte und dass die Russen das endlich und endgültig akzeptiert haben. Von dieser Warte stellt sich höchstens noch die Frage, ob sich die EU “wg. Versorgungssicherheit“ diese Haltung leisten kann und auch, ob Russland “wg. Devisen“ einfach Dankeschön, auf Wiedersehen sagen kann.

Die South Stream existiert als Projekt schon seit 2007, wurde aber erst 2009 aus der Taufe gehoben. Seither, also seit fünf Jahren, hat die Union alle für sie erreichbaren Hebel in Bewegung gesetzt, um das Projekt zu stoppen oder wenigstens zu verzögern. Am erfolgreichsten war diese Politik, wenn sie im Doppelpass mit lokalen Politikern erfolgte.

In der Frühzeit des Projekts war das beispielsweise der Fall, als Borissow 2009 an die Macht kam und alle Energiekooperationen mit den Russen stoppte.

In den darauffolgenden Jahren favorisierte die Kommission (aus zugegeben guten Gründen) das Konkurrenzprojekt Nabucco, das ihrer Vorstellung von der Diversifizierung der Gasversorgung besser entsprach.

Das Katz- und Mausspiel mit South Stream überdauerte aber auch das selbstverschuldete Aus für Nabucco Mitte 2013. Im Dezember diesen Jahres, zeitlich parallel zu den Anfängen der Ukrainekrise, annullierte die Kommission bilaterale Verträge, die EU-Anrainerstaaten sowie Serbien mit Russland geschlossen hatte und verlangte deren Neuverhandlung.

Der Kommission versuchte den Anschein zu erwecken, als wäre ihre Haltung rein sachpolitisch motiviert. Sie ließ den Betreibern dabei aber gleich ausrichten, dass sie sich auf zwei weitere Jahre Verzögerung einstellen sollten:

Quelle
Quelle: euractiv.fr (siehe Link oben)

Dass Zeit ein entscheidender Faktor bei jedem Projekt ist, braucht hier wohl nicht extra betont zu werden. Die Russen verweigerten sich jedenfalls einer Neuverhandlung und so gesehen war die Sache bereits seit fast einem Jahr entschieden.

Die Kommission verfolgt mit ihrem Vorgehen drei Ziele, von denen nur ein einziges deklariert wird.

Erstens stärkt sie die strategische Position des Transitlandes Ukraine gegenüber jenen Gasbeziehern, die über die Druschba versorgt werden. Ohne Umschweife ausgedrückt: Sie macht sie erpressbarer.

Zweitens zeigt sie durch die Stornierung den Nationalstaaten, wer hier der Herr im Haus ist. Die Staaten haben den Kompetenzen der Kommission beim Beitritt/in Lissabon zwar bereits zugestimmt, scheinen sich ihrer aber nicht so richtig bewusst gewesen zu sein.

Drittens geht es der Kommission um die Diversifizierung der Erdgasversorgung. Das ist neben der Wettbewerbspolitik das einzige Ziel, das Barroso & Juncker offen auf den Tisch legen.

Hinter ihrem Agieren steht die 2009 erstmals vorgelegte Idee des sogenannten “Südlichen Korridors”. Sie besteht darin, die Anbieter um das Kaspische Meer und den Mittleren Osten mit dem Markt Europa zu verbinden und dadurch die Abhängigkeit von Russland zu verringern.

Das ist ein legitimes Ziel und die instinktive Reaktion jedes Nachfragers, der wenigen oder gar nur einem Anbieter gegenübersteht. Es ist im Prinzip eine grundvernünftige Reaktion.

Aber:

Der Plan müsste auf einer realistischen Einschätzung beruhen und vernünftig, mit einem Blick auf das Machbare umgesetzt werden. Das „Blatt“, das Europa beim Energiepoker in der Hand hält, ist leider miserabel und das ist eine Folge von natürlichen Gegebenheiten und vergangenen Politikfehlern.

Statt absehbaren Schaden zu minimieren, üben sich EU-Beamte und ihre „Experten“ in der Verleugnung und Verdängung von Realität. Sie schwelgen in Szenarien, die ihrer Ideologie und ihren Wünschen entsprechen mögen – die letztlich aber nur feuchte Träume sind. Auf dieser Basis werden dann die Entscheidungen getroffen, die angeblich bürokratisch-rational sind, im Sinn Max Webers.  :lol:

Ein kleines Beispiel für die Mentalität der Entscheider und ihrer Berater ist die Schnellanalyse, die der Brüsseler Think Tank CEPS nach dem Ende der South Stream herausgegeben hat.

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„Das angekündigte Ende der South Stream und warum das allen egal ist.”

In dem zweiseitigen Papier wird erklärt, dass das Ganze für die EU „tatsächlich eine gut Nachricht sein könnte“.

Nach einer schier atemberaubenden Verdrehung der Tatsachen wird behauptet, dass ein Vergleich dreier Pipelineprojekte (Nabucco, TAP und South Stream) zeige, dass „kommerziell gangbare Projekte tendenziell erfolgreicher sind als politische“ und: „Es gibt (für Europa) eine große Zahl von Optionen für nicht-russische (Gasversorgung), unter anderem aus der kaspischen Region, dem Mittleren Osten und dem östlichen Mittelmeer.“

Das ist haarsträubender Unsinn und jeder, der dazu ein bisschen herumgelesen hat, weiß das; er weiß, dass Nabucco daran gescheitert ist Gasversorger in der kaspischen Region aufzutreiben; dass Gas aus dem katarisch-iranischen Riesenvorkommen zuerst über Hunderte Kilometer durch ein Bürgerkriegsgebiet transportiert werden müsste ehe es in einen EU-Südkorridor eingefüttert werden könnte (um von den “EU-Sanktionen“ gegen den Iran einmal zu schweigen); es muss auch klar sein, dass das in der Levante entdeckte Vorkommen noch lange nicht erschlossen und überhaupt weit davon entfernt ist, das Potenzial von South Pars/North Dome oder auch nur des Kaspischen Beckens zu erreichen.

Auf dieser irrsinnigen Basis wird langfristige EU-Energiepolitik gemacht.

Ein 2012 erschienes Buch schildert die lobbyismusgetränkte Mischung aus Arroganz, Selbsttäuschung und Täuschung, die bereits 2008/09 im Schwange war, als erstmals die Idee des Südkorridors beworben wurde.

Der Kontinent sei von allen Seiten von potenziellen Importquellen umgeben, die alle nur darauf warteten angezapft zu werden, beschreibt der Autor die Position der Eurokraten und vergleicht diese ironisch mit der Vorstellung von einem “(hydrologischen) Einzugsgebiet, in dem sich aus den Bergen Nebenflüsse zu Strömen vereinigen, um letztlich die im Tal liegende Stadt mit Wasser zu versorgen.“

centered on brussels

Diese Haltung sowie die geostrategischen Wunschvorstellungen der Amerikaner erzeugen eine Hybris, die Brüssel veleitet zu glauben, es könne mit den Russen so umspringen wie mit den eigenen Mitgliedsstaaten.

Die Europäer werden auf die eine oder andere Weise dafür bezahlen. Wer wird aber danach die Experten und ihre politischen Auftraggeber zur Rechenschaft ziehen?

Der Großherzog der Lügner und Rosstäuscher jedenfalls nicht. Juncker tut nur, was das Imperium von ihm verlangt, nicht aber, was gut für die Völker Europas ist. Und die europäistischen Politiker aus den Mitgliedsstaaten helfen ihm dabei.

Zum Beispiel die Energieminister, die sich nächste Woche in Brüssel treffen werden. Dabei haben sie Gelegenheit, sich ein weiteres Mal an den Phantasievorstellungen vom Schlaraffenland an der europäischen Südgrenze zu erfreuen. Ein wenig träumen wird ein hart arbeitender Mensch ja wohl noch dürfen !

Foto/Grafik: Stanqo, Wikimedia Commons

 

 

 

 

Unabhängiger Journalist

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