Es gibt eine Form der Unwahrheit, die unter Politikern besonders beliebt ist, weil sie nicht die Gefahr birgt, sozusagen beweismäßig widerlegt zu werden – wie die Versicherung Bill Cintons: “I did not have sex with that woman” oder Junckers Dementi eines Finanzministertreffens, das erwiesenermaßen doch zustandekam. Solches “Ertapptwerden” wiegt viel schwerer als die Anlassfälle, die oft genug ziemlich lächerlich sind. Der österreichische Vizekanzler ist am Dienstag vorsorglich in den politisch minder gefährlichen Pfuhl der Lüge durch Auslassung gesprungen.
Mitterlehner tat sich in diesem Fall leicht, weil er seit langem für das Energieressort zuständig ist und aus diesem Grund ein viel höheres Informationslevel hat als selbst die bestinformierten Journalisten (was nicht viel bedeuten muss). Derlei ist beim Schwindeln enorm hilfreich.
Der Wirtschaftskammer-Emissär in der Bundesregierung, dem die Sanktionen gegen Russland persönlich gar nicht behagen, tat so, als habe Gazprom halt nicht die seit langem bekannten Wettbewerbsregeln der EU erfüllt und sei am Scheitern des Projekts selbst schuld, wie hier ersichtlich ist.
Das ist eine dicke, fette Heuchelei und Mitterlehner ist das bewusst.
Warum ?
Weil die Kommission dem Projekt natürlich eine zeitlich befristete Ausnahmegenehmigung hätte geben können, wenn sie das gewollt hätte – so wie Dutzenden anderen Investitionsprojekten von großen Strom- und Gaskonzernen. Auch für Nabucco wären Extrawürste gemacht worden. Niemand weiß das besser als der Energieminister.
Die Kommission kannte das Begehr der Russen schon lange bevor das “dritte Energiepaket” wirksam war. Die Russen haben von Anfang an klargemacht, dass sich das Projekt nur rechnet, wenn sie eine Ausnahmegenehmigung bekommen. Die frühere Kommission machte noch freundliche Nasenlöcher zu diesem Anliegen. Hier ist eine historische Tass-Meldung:
Zum Zeitpunkt der Meldung musste sich Brüssel freilich noch nicht vor den Karren der Kriegshetze gegen Russland spannen lassen.
Die Voraussetzungen für eine Spezialbehandlung hätte das Projekt jedenfalls erfüllt.
Laut Artikel 36 der Gasdirektive muss ein solches Projekt für eine Ausnahme Wettbewerb und Versorgungssicherheit erhöhen und die Investition darf ohne Sondergenehmigung nicht zustandekommen. Bedingung zwei und drei sind selbstredend gegeben.
Auch der geforderte intensivere Wettbewerb wäre vorhanden gewesen, weil die South Stream-Betreiber mit der Leitung über die Ukraine in Konkurrenz gestanden wären. Das wird aus diesem
Artikel anhand der slowakischen Betreibergesellschaft Eustream klargestellt: “Logischerweise würde die South Stream eine scharfe Konkurrenz zum (slowakischen) Netzbetreiber Eustream darstellen, dem gegenwärtig größten Transporteur von russischem Gas.”
Wenn das Argument der EU lautet, dass aus Russland stammmendes Gas per definitionem nicht den Wettbewerb erhöht, sollten sie und Mitterlehner das offen sagen. Dann darf die EU prinzipiell keine Ausnahme für eine Pipeline aus Russland mehr machen. Das sollte sie aber auf den Tisch legen.
Edit, 5.12.2014, 14 Uhr: Man hat mich aufmerksam gemacht, dass die erwähnte TASS-Meldung nicht aus dem Jahr 2005 stammen kann und viel jünger sein muss. Das bedeutet möglicherweise, dass das “bürokratische Problem” zwischen Brüssel und Moskau anders gelagert war als in dem Artikel geschildert. Ich versuche der Sache nachzugehen. Ich glaube aber nach wie vor, dass es möglich gewesen wäre, zu einer Verständigung zu gelangen, wenn die Kommission dies gewollt hätte.
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