Brexit: “Anleger” strafen Euroland

BrexitWährend in den TV-Kanälen des Kontinents endlos darüber gelabert wird, wie sehr sich die Engländer ins eigene Bein geschossen hätten und wie schnell die Finanz-Zocker aus London abwandern würden, traf die Brexi-Entscheidung die Aktienmärkte von Euroland ungleich stärker als jene aus der Anglosphäre – obwohl letztere kostspieliger, teilweise gar absurd überteuert sind. Am besten hielt sich der englische Futsie. NB zu den “Chancen” des Kursmassakers.

Der Kommentar, den die Investoren scheinbar abgegeben haben, läuft also der Moral aus der Geschicht’ zuwider, die die Festlandmedien aus dem Leave der Briten ziehen wollen..

Jedenfalls erweckt es den Eindruck, dass die Kursentwicklung auf das Agieren von Anlegern zurückzuführen ist.

Man könnte aber auch die Meinung vertreten, dass die asset bubbles in London und New York mithilfe von Zentralbank-Munition und Index-Derivaten besser geschützt waren.

Hier eine kleine Tabelle, die den Unterschied zwischen “echten Kurseinbrüchen” und einem “besonders schlechten (Handels)-Tag” zeigt:

Verlust am Tag nach Referendum
in Prozent
Euro Stoxx 50  8,5
DAX  6,8
ATX  7,0
FTSE  3,2
S&P 500  3,6

Aus Sicht von von fünf Börsetagen steht der FTSE sogar höher als vor einer Woche.

Das alles ist insofern kontraintuitiv, als die “Märkte” in den USA und Großbritannien nach den üblichen Maßstäben deutlich teurer waren/sind als die kontinentalen.

Warum London überteuert war und ist

Ein solches Messinstrument ist das sogenannte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bzw. die price earnings ratio (P/E ratio).

Nun haben die Börsenprofis Dutzende verschiedene Sorten von KGV im Angebot – die sich in der als Maßstab herangezogenen Gewinnzahl unterscheiden, oder dadurch, dass sie bereits erzielte Gewinne (“trailing”) oder erwartete künftige Profite (“forward”) hernehmen.

Das ist verwirrend und eine Quelle potenzieller Fehler. Der folgende vereinfachte Vergleich zwischen dem deutschen Index, dem marktbreiten New Yorker S&P 500 und dem Londoner FTSE beruht auf Bloomberg-Daten, die sich z.B. hier finden.

Er zeigt, dass der DAX auf Basis der real erzielten, “enttäuschenden” Profite bei immerhin 22,3 liegt, dass die Maßzahl aufgrund der Gewinnerwartungen für das laufende Jahr aber bei nur 11,6, also sehr günstig liegt. Der FTSE 100 liegt dagegen bei galaktischen 47,3 (trailing) bzw. 14,5 (forward).

Die FTSE-Aktien sind nach den bisherigen Maßstäben also massiv überbewertet, sind am Tag nach dem Brexit aber trotzdem nur halb so stark eingebrochen wie die DAX-Aktien.

Der S&P 500 ist im Vergleich zum DAX auch überbewertet, laut Bloomberg aber nicht so stark wie der FTSE.

Die Daten zeigen freilich nicht das ganze Ausmaß dieses mispricings, weil sie nicht reflektieren, dass der Dollar im letzten Jahr gegenüber den anderen Währungen wertvoller geworden ist – was bedeutet, dass auch die in Dollar denominierten Aktien aliquot wertvoller geworden sind.

Diese – zuletzt unterbrochene – Entwicklung wurde am Freitag fortgesetzt. Der US-Dollar gewann gegenüber dem Euro fast drei Prozent.

Die amerikanische Währung war damit der größte Profiteur des Brexit-Referendums (und das relativiert auch die “Verluste” an der Wall Street). Die Renditen der US government bonds fielen um neun Prozent, was wiederum bedeutet, dass die zugrundeliegenden Anleihen mit einem Schlag um so viel wertvoller geworden sind.

Was heißt das alles ?

In Kurzform Folgendes: Die Brexit-Entscheidung hat dazu geführt, dass die von Zentralbankgeld aufgeblähten, am stärksten überbewerteten Märkte unterproportional verloren, oder sogar massiv gewonnen haben (bonds).

Am stärksten jedoch wurden die relativ wenig aufgepeppten Finanzmärkte in Euroland getroffen, die mit dem Pfund Sterling nur wenig zu tun haben, die gar nicht im Zentrum der Geschehnisse standen und nach der Theorie vieler Medien-Möpse vom “Abgang” Londons eigentlich profitieren müssten.

Nachbemerkung zu den “Chancen” des Kursmassakers, 25.6., 14.00 Uhr: Erstens weiß ich nicht, ob die Verluste in Euroland “natürlich” waren, glaube aber eher schon. Überwiegend haben professionelle money manager kalte Füße bekommen und verkauft, dazu kamen die üblichen short seller, aber das ist ja mittlerweile völlig normal und muss nicht extra betont werden.

Und zweitens sind die europäischen Aktien damit auf zweifache Weise für alle günstiger geworden, die Zugang zu (meist kostenlosen) Kreditdollars haben: weil die Unternehmensanteile billiger sowie der Dollar kaufkräftiger geworden ist. Das nenne ich ein gutes Geschäft auf Kosten der Europäer.

Bild: Rlevente, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0 

Unabhängiger Journalist

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