Der belgische Althistoriker David Engels, der am Donnerstag einen Vortrag in Wien gehalten hat, macht auf frappante Parallelen zwischen der späten römischen Republik und heutigen EU-Staaten aufmerksam. Eine autoritäre Lösung der Krise nach dem Muster von Octavian/Kaiser Augustus hält er auch im Europa der Jetztzeit für wahrscheinlich (und bis zu einem gewissen Grad für vorteilhaft). Dabei denkt er allerdings an die Union, nicht die Nationalstaaten.
Die Punkte, an denen Engels Parallelen konstatiert, sind u.a.:
- Migration/Immigration von kulturfremden Völkern,
- der Verfall der Sitten und der Niedergang der Familie sowie Bevölkerungsschwund; Identitätskrise und
- Verlust der angestammten Religion, eines republikanischen Polytheismus,
- zunehmende Ablehnung der überkommenen politischen Ordnung und ihrer Institutionen durch die Plebs, Entfremdung von der traditionellen politischen Klasse, dem senatorischen Adel, der immer deutlicher parasitäre Züge aufweist;
- echte bzw. virtuelle Bürgerkriege,
- Entpolitisierung.
Das ganze findet auf der Folie einer antiken “Mini-Globalisierung” eines bis vor kurzem rein italischen Herrschaftsverbands statt.
In dieser Situation bewerkstelligt der Adoptivsohn Cäsars über einen Zeitraum von 40 Jahren auf geradezu geniale Weise einen Systemwechsel, weg vom altehrwürdigen, inzwischen aber gründlich diskredidierten Republikanismus, hin zu einer Erbmonarchie – und zwar ohne dass das in der Öffentlichkeit groß bemerkt würde, denn:
Augustus gibt vor, die Republik wiederherstellen zu wollen, die er im Verein mit Mark Anton abgeschafft hat – eine Fiktion, die noch Hunderte Jahre aufrecht erhalten werden sollte.
Der Herrscher lässt sich huldigen, als wäre er ein Gott, gibt sich öffentlich aber demonstrativ bescheiden, etwa als erster Bürger im Staat (princeps/”Prinz”).
Ämter und Institutionen lässt Octavian unangetastet, lässt aber – auf professionelle Weise, wie man heute sagen würde – organisieren, dass diese nicht mit unabhängigen Kandidaten besetzt werden.
Er selbst übernimmt auf Dauer das Amt des Volkstribunen und macht damit auf Schutzherr des einfachen Volks.
Die auf öffentliche Getreidezuteilungen angewiesenen hauptstädtischen Plebejer werden zu seiner politischen Basis, gleichrangig neben “seinen” Soldaten, aktiven und Veteranen.
Für diese Gruppen gibt Octavianus einen guten Teil seines beträchtlichen, von Cäsar ererbten Privatvermögens aus (das durch Kriegsbeute immer wieder aufgefüllt wird – z.B. in Ägypten nach dem Sieg über Mark Anton).
Während er eine sozusagen sozialdemokratische Klientelpolitik und mittels öffentlicher Bauten eine “keynesianistische” Wirtschaftspolitik verfolgt, handelt Augustus in kultureller Hinsicht konservativ.
Er verzichtet darauf, das besiegt am Boden liegende Patriziat auch noch zu demütigen und lässt es das Gesicht wahren (während er es durch ihm ergebene Berufsbeamte funktionell kalt stellt).
Alles in allem handle es sich beim Übergang ins Prinzipat um eine
gleichzeitig konservative wie revolutionäre Staatsreform”,
zu der es auch in der EU kommen könne, urteilt Engels auf dem Weg der Analogie (S. 443).
Derlei Kontinuitäten sind es auch, warum der junge Belgier es ablehnt, Augustus als “Populisten” zu bezeichnen.
Cäsar sei sehr wohl ein Populist gewesen, nicht aber Augustus, weil dieser den “historischen Kompromiss” mit den Senatoren gesucht habe, meinte Engels bei seinem Vortrag in der Stronach-Akademie in Wien (deshalb sei in den USA der bei der politischen Klasse gründlich verhasste Milliardär Trump ein Populist, der wohl scheitern werde).
Die Bühne, auf die der künftige europäische strong man klettern wird, sieht der Historiker in der Europäischen Union (in seinem Buch begründet er das damit, dass die “Rükkehr zu den griechischen Poleis” vulgo Nationalstaaten ein Schuss ins eigene Knie wäre, weil man sich damit zu Machtlosigkeit und politischem Scheitern verurteilen würde). Tertium non datur, offenbar.
Literatur: David Engels, Auf dem Weg ins Imperium. Die Krise der Europäischen Union und der Untergang der römischen Republik. Historische Parallelen. 2014
Zvi Yavetz, Plebs and Princeps, 1969
Ronald Syme,The Roman Revolution. 1939
Richard Alston, Rome’s Revolution. Death of the Republic & Birth of the Empire. 2015
Fergus Millar, The Romand Republic and the Augustan Revolution. 2002
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