Die deutsche Erdgaslücke und die “politische Verantwortung” dafür

Die Behauptungen des deutschen Wirtschaftsministers zur angeblich gegenstandslos gewordenen Gaskrise in seinem Land werfen (nicht nur) für Beobachter aus dem Ausland mehr Fragen auf als sie Antworten geben. Nicht nur, dass sich in den vergangenen 2,5 Jahren die (Brutto-)Gasflüsse nach D von rund 4,5 TWh pro Tag auf etwa 2 TWh pro Tag mehr als halbiert haben, es hat auch den Anschein, als wären Deutschlands “NATO-Partner” zu fast der Hälfte am Rückgang der Bruttoimporte direkt beteiligt.”Aufklärungsbedarf” scheint in diesem Zusammenhang ein Hilfsausdruck zu sein.

Die Gas-Situation in Deutschland war in diesem Blog schon einmal, beim letzten Eintrag, Thema.

Damals standen die Differenz von Brutto- und Nettoimporten sowie der verringerte Zufluss zu auf deutschem Boden befindlichen Speichern im Zentrum. Weiters kam es zu an journalistischer Übertreiberitis grenzenden Wertungen.

Der vorliegende Eintrag befasst sich eher mit der Minderbelieferung des “Energie-Standorts Deutschland” nach dem Ende der russischen Gasflüsse, die eine ähnliche Höhe wie die russischen Lieferungen nach D vor dem Ukraine-Krieg erreichen könnte.

Eine kleine Unsicherheit bleibt insofern bestehen, als dieser Blogger nur knapp zwei Monate kalkuliert hat, nämlich von 1. August bis 26. September der Jahre 2022 und 2024

- und in Ermangelung gesicherten Wissens über eine ev. Saisonalität der realen (also nicht der im AGSI verbuchten) Gaslieferungen

verzichtet dieser Blogger weitgehend auf eine arithmetische Annualisierung – also die einfache Versechsfachung – der für August und September erhobenen “Lücke”.

Vor dem Ukraine-Krieg hat Deutschland allein etwa 55 Prozent seines Verbrauchs, jährlich also 40 – 50 Mrd. m3 Erdgas aus Russland bezogen – siehe z.B. hier, aber auch in der Statistical Review des EI 2024, p. 39 -

die “mechanisch-rechnerische” (s.o.) jährliche Minderbelieferung der Gas-Drehscheibe Deutschland durch “Westmächte” würde sich aber auf knapp 32 Mrd. Kubikmeter jährlich belaufen;

dies freilich auf Ebene der “Brutto-Importe”, also nicht nur für D relevant. Wie man bereits gesehen hat, hat diese Veränderung aber auch Auswirkungen allein auf Deutschland.

Doch der Reihe nach.

Zunächst eine Erläuterung der von diesem Blogger kalkulierten Zahlen.

Die erste (zweite) Spalte der Tabelle unten ist einer gegenüber dem vorvorigen Eintrag verbesserten Berechnung der grenzüberschreitenden Bruttoimporte von 1.8. bis 26.9. des Jahres 2022 gewidmet.

Die 2022 von D erhaltenen gesamten Bruttoimporte von 178,9 TWh wurden um eine laut BNA damals noch fließende marginale Menge russischen Gases “bereinigt”, wobei etwas mehr als 10 TWh durch die NS1 gekommen sein sollen und knapp 6 TWh über Tschechien (wobei dessen russische Herkunft eine Annahme ist).

Bleiben knapp 163 TWh für den Vergleichszeitraum des Jahres 2022, die kein russisches Gas mehr beinhalten.

Dies wird mit den 111,2 TWh verglichen, die D 2024 in denselben knapp zwei Monaten zuflossen (dritte Spalte).

Die Differenz macht, wenn dieser Blogger richtig gerechnet hat, um 51,4 TWh, 5,3 Mrd. m3 oder 31,6% aus (natürlich muss man die zwei Monate dieses Minderzuflusses noch auf’s ganze Jahr hochrechnen!)

Analog ist dieser Blogger bei den Bruttoimporten aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden vorgegangen,

wobei die Ersteren höhere prozentuelle Minderlieferungen als im Schnitt, die aus NL aber “nur” ein Minus von gut 24 Prozent aufwiesen.

Wie dem auch sei

- “NATO-Verbündete” sind das allesamt (wenngleich in der Außenhandelsstatistik nicht immer “d’rin ist, was d’rauf steht”  :mrgreen:    )

Am einfachsten ist die Herkunftsfrage noch beim mittlerweile größten Posten, den norwegischen Ausfuhren nach D´zu beantworten. Das norwegische Gas kommt direkt über eine der beiden “Europipe-Gasleitungen” (vielleicht gibt es einen weiteren direkten, nicht-LNG-Weg nach D, der sich meiner Kenntnis entzieht).

Schwieriger wird’s schon bei den Niederlanden, die zwar – wie ich erst seit kurzem weiß -  keine operative Pipeline nach Norwegen haben,

die aber über LNG-Terminals verfügen (Rotterdam, Eemshaven), die z.B. US-Flüssiggas regasifizieren und auf die Reise nach D schicken können.

Es könnte aber auch belgisches oder sogar französisches Gas sein, das durchgeleitet wird – was letztlich wieder auf N oder die USA hinausläuft: “g’hupft wie g’sprungen”, wie’s so schön heißt.      :mrgreen:

Ähnlich die Sachlage in Belgien, das freilich eine direkte Pipeline-Anbindung nach N hat. Die “prime suspects” sind trotzdem auch hier der LNG-Hafen Zeebrügge und die USA.

Der “Punkt” dieses Eintrags ist nun, dass im Vergleichszeitraum Norwegen um gut 33, Belgien um gut 48 und die NL, wie gesagt, um 24 Prozent weniger nach D ausgeführt haben

- ganz ohne (sichtbares) Zutun der Ruskis.

Hier nun eine Tabelle, die jener meines vorletzten Eintrags ähnelt, die aber

  • auf Brutto-Exporte abhebt,
  • einen um um sechs Tage längeren Durchrechnungszeitraum hat und
  • konkret die einschlägigen Ausfuhren Norwegens, der Niederlande und Belgiens vergleicht.

Wie zuletzt stammen die Werte von der deutschen Bundesnetzagentur, beinhalten aber auch die Tage von 20. – 26. September

(ein bisschen mehr wäre möglich gewesen, aber wenn man bloß über zeitaufwändige natürliche Intelligenz und wenig Rechenpower verfügt, tritt man die Zahlen von gestern nicht “ung’schauter in die Tonne”).

Dieser Blogger hofft richtig gerechnet zu haben, ist aber für ggf. doch vorhandene Rechen-/Übertragungsfehler allein verantwortlich.

 Brutto-Importe D, in TWh
2022 2024 δ
N   75,1  50,0  -33,4%
NL   37,5  28,4  -24,3%
B   46,8  24,2  -48,3%
gesamt (bereinigt)  162,6 111,2  -31,6%

 

 

 

 

 

 

***

Dazu ist zu bemerken, dass die zweimonatige Durchrechnung zwar den Vorteil hat die Tages-Volatilität zu glätten, aber den Nachteil, nicht “den letzten Stand zu zeigen”.

Das trifft konkret auf Norwegen zu, das im September seine Lieferungen deutlich verringert, ja fast halbiert hat. Auch die Importe aus Belgien sind im September erkennbar rückläufig.

Die Lieferungen aus den beiden Ländern waren bis Ende August noch “relativ normal” gewesen, wenn man den bis dahin wirklichkeitsmächtigen Status quo so bezeichnen kann.

In beiden Fällen sind der Öffentlichkeit unbekannte Details aus Lieferverträgen oder Wartungsarbeiten mögliche Erklärungen für diese “Septemberflaute”,

dass das in der obigen Tabelle sichtbar werdende “große Bild” darauf zurück geht, ist freilich auszuschließen.

Womit sich für einen deutschen Staatsbürger die Frage nach der (politischen) Verantwortung für

  • die Zerstörung der Gas-Drehscheibe Deutschlands,
  • zumindest aber deren Geheimhaltung

stellen müsste.

Dieser Blogger ist kein deutscher Staatsbürger, sondern ein österreichischer

und kann sich legitimerweise nur insofern einmischen, als Ö. nur ein Zehntel so groß ist und Entwicklungen beim großen Nachbarn im Norden “über die Grenze schwappen”, im Guten wie im Schlechten.

Stimmrecht in D hab ich keines.

Ich hab nur eines in Ö., das ich morgen, Sonntag, auszuüben gedenke.     :mrgreen:

Unabhängiger Journalist

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