Nicht nur bei Wilhelm Busch läuft die Zeit im Sauseschritt, auch in den auf Erdgas angewiesenen Staaten des Alten Kontinents. Die vor einem Monat begonnene Beobachtungs-Mission zur aktuellen Energiekrise zeigt für vergangene Woche – wohl wetterbedingt – weitere Verluste bei den relativen Speicherständen. Einige kleinere kontinentale Länder sowie ev. sogar Oberitalien könnten in den kommenden Wochen den Kollaps ihrer Gasversorgung erleben. In West(mittel)europa dürfte dies erst spät in dieser Heizsaison oder überhaupt erst 2022/23 erfolgen.
Nach wie vor besonders schlimm sehen die aktuellen relativen Speicherstände in Österreich ( – 54,5% ggü. dem Stichtag des Vorjahres), in der Slowakei ( – 52,5%) und Ungarn aus ( – 44,2%).
Die Ukraine hat sogar einen noch höheren Verlust des Speicherstandes ( – 57%), es ist auf Basis der vorhandenen Daten aber unklar,
wie viel davon auf
- reduzierte “Durchflüsse” und
- wie viel auf den ukrainischen Eigenverbrauch entfallen (bzw. die “Nettobilanz” von Inlandskonsum und -produktion).
Die in drei kleinen kontinentaleuropäischen Staaten gespeicherten Mengen sind zum Teil zwar auch für den Konsum anderswo bestimmt,
aber zumindestens gibt es dort
- keine nennenswerte Eigenproduktion und
- deutet das Muster der Rückgänge darauf hin, dass es sich bei den bisherigen “Draws” um organischen Eigenbedarf gehandelt hat.
Ungarn hatte nicht einmal bei den “Lows” im Frühjahr 2021 einen Pegelstand ausgewiesen, der auch nur entfernt an den aktuellen Wert von 28,5 TWh heran gekommen wäre
und die Slowakei verzeichnete erst am absoluten Tiefpunkt, in den ersten zehn Tagen des Mai 2021, dem heutigen Stand vergleichbare Werte.
In Österreich entsprechen die aktuell gemessenen 28,1 TWh ungefähr dem Stand von Mitte März 2021.
Es ging hier bis zur letzten Aprilwoche aber noch einmal tiefer.
Ab diesem Zeitpunkt hantelte sich der österreichische Speicherstand über fünf Wochen an der Marke von 20 TWh entlang. Erst danach begann eine langsame Wiederbefüllung.
Fazit: Als erstes “kommt wohl Ungarn dran” und dann die Slowakei.
Österreich wird ceteris paribus mit einem Abstand von ca. 2 Monaten folgen. Es wird in der laufenden Heizsaison aber nur dann glimpflich davon kommen können, wenn dieser Winter besonders kurz wird und keine tiefen Temperaturen mit sich bringt.
Das ist nicht unbedingt wahrscheinlich.
Auf alle Fälle steht die im mehrgeschoßigen Wohnbau lebende, auf Raumwärme angewiesene urbane Bevölkerung Mitteleuropas hier “in der ersten Schlachtreihe”. In Tschechien sieht die Lage aus welchen Gründen immer noch deutlich besser aus.
Welche Auswirkungen auf die Stromerzeugung der mitteleuropäischen Staaten zu erwarten sind, lässt sich auf Basis der diesem Blogger zur Verfügung stehenden Daten nicht sagen.
Der Fall Italien
Noch etwas weiter zurück scheint der “der große Brocken Italien” zu liegen.
Dieser Blogger muss an dieser Stelle gestehen, dass er – wegen Übertragungs- oder Rechenfehlern – den relativen AGSI–Speicherstand des Stiefelstaats bisher viel zu optimistisch kalkuliert hat, siehe z.B. hier.
Richtig ist jedenfalls, dass der aktuelle Speicherstand Italiens bei 113,4 und vor einer Woche noch bei 123,3 TWh gelegen ist. Dies entspricht einem Rückgang von 12,2 bzw. 11,9% gegenüber dem Stichtag des Vorjahres.
Damit liegt die gesamte Halbinsel zwar nicht so gut wie bisher dargestellt, aber immer noch ziemlich respektabel.
Dieser Eindruck (ver)birgt jedoch folgende Schwachstellen:
- Italien ist ein äußerst heterogenes Land und der warme und wenig industrialisierte Mezzogiorno erzeugt in der nationalen Statistik eine Verzerrung zugunsten des industrialisierten und kalten Oberitalien. Eine Bilanz für die Provinzen bis hinunter zu Emilia-Romagna oder Toskana würde wahrscheinlich viel schlimmer aussehen.
- Trotzdem ist auch der Gesamtstaat stark auf Erdgas angewiesen- sogar deutlich mehr als die Ukraine (aber weniger als die Russische Föderation), nämlich zu fast 42%; siehe dazu die unten stehende Tabelle mit Zahlen aus der BP Statistical Review 2021. Dieses Risiko ist wahrscheinlich im Norden konzentriert und läuft im Eintrittsfall auf eskalierende soziale und wirtschaftliche Kosten hinaus.
- Und schließlich steht und fällt alles mit dem relativ frühen Ende der Heizsaison im März – so wie in den vergangenen Jahren. Das verträgt sich zwar mit dem zentralen Glaubenssatz der allgegenwärtigen CO2-Warmisten – so sicher wäre ich mir da aber nicht. Sollten künftig bis April oder gar Mai Heizerfordernisse entstehen, müssen die Karten neu gemischt werden. Allerwenigstens stellt sich dann die Frage, ob Algerien und Libyen bzw. Russland wie gewohnt für die nächste Heizsaison liefern können.
Die Niederlande wiederum sind ein eigener Fall, der eng mit der Erschöpfung der Eigenproduktion von Erdgas zusammen hängt und
der vor Augen führt, dass die Aussage, die Erhöhung/Volatilität der europäischen Gaspreise sei auf “Putin” zurückzuführen, pure Propaganda ist.
Abhängigkeit von Erdgas
Hier nun die Tabelle, die die gesamte in einem Jahr verbrauchte Primärenergie sowie die dabei auf Erdgas entfallende Menge zeigt. Die letzte Spalte kalkuliert den Gas-Anteil (eigene Rechnung).
Die Tabelle zeigt u.a., dass Italien viel stärker auf natural gas angewiesen ist als z.B. Deutschland und dass der unangefochtene Spitzenreiter dabei Russland ist. In Ermangelung tiefenschärferer Daten darf davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil des dort eingesetzten Erdgases dazu verwendet wird, die Wohnungen städtisch lebender russischer Bürger zu heizen.
Wenn sich in den nächsten Jahren die von der russischen Führung höchstselbst immer wieder belebte Botschaft vom unendlichen Energiereichtum des Landes zunehmend als Mythos erweist, darf geraten werden, was dem dortigen Regime wichtiger ist:
- Die Versorgung der eigenen urbanen Bevölkerung, die in verzweifelter Lage zu Revolutionen neigt, oder
- der Export des Erdgases ins Ausland.
Primärenergie (in EJ) | Pimärenergie-konsum Gas (in EJ) | Anteil Erdgas | |
D | 12,11 | 3,12 | 25,8% |
I | 5,86 | 2,44 | 41,6% |
NL | 3,37 | 1,32 | 39,2% |
A | 1,38 | 0,31 | 22,5% |
SK | n/a | n/a | n/a |
H | 0,97 | 0,37 | 38,1% |
RF | 28,31 | 14,81 | 52,3% |
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