Fall Biró: Was Wahrheitsmedien für aufgeklärten Journalismus halten

Nämlich die Wiedergabe dessen, was in Politik und Unternehmen so von sich gegeben (bzw. was nicht offiziell dementiert) wird. Die Konstruktion der Realität geht in den Wahrheitsmedien, vormals Lügenpresse, ähnlich vor sich wie bei deren Konkurrenz, den Verschwörungstheoretikern. Die berichtete Wahrheit fußt hier wie dort auf einem selektiven Umgang mit den Fakten – nur dass der Mainstream noch eine Menge offiziöses Gequake mitliefert. Das nennt sich dann Gegenrecherche.

Der Fall des zwischenzeitig zurückgetretenen Steirerkrone-Chefredakteurs erlaubt tiefe Einblicke in das Selbstverständnis des Metiers. Zurückgetreten wurde am 26. Oktober, weil die Krone aber einen Schlingerkurs fährt, kehrt Biró schon Mitte November wieder zurück.War wohl eher ein Rücktrittchen.

Den Anfang machte eine Krone-Kolumne am vorangegangenen Wochenende. In ihr hatte Christoph Biró gemeint, dass die Stimmung in der Bevölkerung gekippt sei und dass es sexuelle Belästigungen und Sachbeschädigungen durch die über die Südgrenzen des Landes strömenden Flüchtlinge gegeben habe. Damit löste er Proteste in der österreichischen Empörungs-Gemeinde aus, wo Volksverhetzung vermutet wurde.

Am Tag drauf ruderte Biró zurück. In einer ausgefeilten Erklärung gab er Fehler zu, und dass er in dem kritisierten Kommentar das Augenmaß verloren habe. Deshalb, kündigte er an, wolle er sich für eine Weile aus der Redaktion zurückzuziehen, gewissermaßen freiwillig.

Das war der Vorgang, wie er von außen wahrgenommen werden sollte. Selbst für branchenunkundiges Publikum war zu jedem Zeitpunkt aber erkennbar, dass der Schritt erzwungen war und wie es auch nach dem Ableben von Hans Dichand um die innere Pressefreiheit der Krone bestellt ist.

Die Inszenierung war eine Co-Produktion, an der wenigstens drei Seiten beteiligt waren: Diejenigen, die Biró sofort und permanent weghaben wollten, die Akteure, die bemüht waren, den Schaden für die Zeitung zu minimieren und jene, die den worst case für Biró selbst verhindern wollten. Dabei wurde ein politisches Lehrstück konstruiert, das der Chefredakteur der Schwesterzeitung Kurier folgendermaßen zusammenfasste:

Wir müssen dem Chef der Steirer-Krone dankbar sein. Kein Zynismus. Christoph Biró hat unwahre, erfundene Geschichten aus dem Internet abgeschrieben, seinen Fehler erkannt und ist zurückgetreten. Damit wird die Aufmerksamkeit endlich darauf gerichtet, dass das Internet voll von Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen ist. Verschärft wird das dadurch, dass die technische Logik von Facebook und anderen Seiten der Social Media dazu führt, dass Nutzer im Prinzip auf Seiten geführt werden, wo ihre Meinungen und Ansichten nicht hinterfragt, sondern stets bestätigt werden. So entsteht in Wahrheit die “Lügenpresse”, Aufklärung und kritischer Journalismus sehen anders aus.”

Was Brandstätter hier tut, ist folgendes: Er thematisiert etwa zehn Prozent dessen, was in der Causa vorgefallen ist – nämlich die jugendfreien,  für den öffentlichen Konsum bestimmten zehn Prozent – und ergänzt diese um eine eigennützige Werbebotschaft: Trau nicht dem Internet – den kritischen Journalismus findest du bei uns, in den seriösen Zeitungen.

Diese ebenso selbstgerechte wie Leser-verarschende Grundhaltung ist der wohl wichtigste Faktor, der Käseblätter wie den Kurier so rasend schnell Auflage verlieren lässt. Der gute Brandy versteht unter kritischem Journalismus wohl auch seine Version der Geschehnisse, die nicht einmal mehr von der APA verzapft wird (“Rücktritt nicht ganz freiwillig”).

Dabei ist Brandstätter viel detaillierter über die Geschehnisse in der Krone unterrichtet als Außenstehende das sein können. Das mag vor 1988 anders gewesen sein. Doch die Mediaprint hat nicht nur Nach- sondern auch ein paar Vorteile. Einer von diesen ist, dass die redaktionellen Chefetagen heute viel besser über die Geschehnisse beim jeweiligen Haus-Freind Bescheid wissen.

Hier gelangt man an eine Problemstelle, an der sich am vergangenen Samstag wohl auch der Krone-Kolumnist befunden hat. An dieser Stelle dreht sich alles um das tatsächlich heikleThema (fehlende) Beweisbarkeit. Wer Behauptungen aufstellt, sollte in der Lage sein, diese notfalls mit Beweisen und/oder Zeugenaussagen zu untermauern.

Eigentlich müssten Dinge thematisiert werden, die

  • nur ein kleiner Personenkreis weiß und die keinesfalls weitergeben dürfen; Informationen, die,
  • tief in die Privatsphäre bzw. in Redaktionsinterna hineinleuchten würden – die in der allgemeinen Öffentlichkeit aber sowieso niemanden interessieren. Trotzdem wäre es leicht nachvollziehbar, aus welcher Ecke der Wind weht. Es steht schlicht nicht dafür, darüber zu reden.

Biró selbst könnte die Geschichte in allen Details erzählen, aber er wird das nicht tun, wenn ihm die Ansprüche, die er in den vergangenen 35 Arbeitsjahren erworben hat, lieb und wert sind. Brandstätter, der ein …nun ja: Redakions-Umbauprofi ist, ist sich dessen bewusst. Er wäre sich dieser Tatsache auch bewusst, wenn er über keine privilegierten Informationszugänge verfügte.

Biró muss schweigen, wenn er nicht endgültig abserviert werden und vor einem Arbeitsgericht um seine Ansprüche kämpfen will. Letztere sind, das darf man ruhig glauben, kein Pappenstiel.

***

Auf dieser Grundlage. auf Basis eines mundtot gemachten “Angeklagten”, kann Brandstätter behaupten, dass die von Biró gebrachten Beispiele unwahre, erfundene Geschichten aus dem Internet seien.

Nun, wir kennen die für das Urteil zur Verfügung stehende Faktenbasis nicht (dem Vernehmen nach war sie nicht so schlecht – Angestellte und Fahrgäste haben aber Angst, öffentlich zu ihren Erfahrungen zu stehen).

Brandstätters Darstellung deckt sich mit jener der Krone-Chefredaktion (überregional) jedenfalls nicht. Diese sagt, Biró habe sich zu “vermeintlichen Tatsachenfeststellungen und Schlussfolgerungen (…) hinreißen lassen, die nicht restlos überprüfbar sind”.

Das kann natürlich ein Euphemismus sein, mit dem die Krone sagen will, dass ihre Artikel immer auf heroischen Rechercheanstrengungen und/oder unmittelbaren Erfahrungen ihrer Redakteure beruhen. Selbst in diesem Fall heißt das noch nicht, dass Biró  einfach “aus dem Internet abgeschrieben” hat.

Dass 37 Beschwerden beim Presserat eingegangen sind und die Staatsanwaltschaft ermittelt, tut noch viel weniger zur Sache. Das ist Gedöns.

Beschwerde beim Presserat kann jeder und jede einreichen – die Frage ist nur, ob das jemand zur Kenntnnis nimmt.Wahrscheinlich haben die Medienjournalisten die künftigen Beschwerdeführer schon erraten, bevor die Anzeigen überhaupt eingereicht waren. Und der Staatsanwalt ermittelt praktisch immer, wenn ihm z.B. eine mögliche Volksverhetzung zur Kenntnis gebracht wird. Das ist eine Frage des beruflichen Überlebensinstinkts.

Die Staatsanwaltschaft ist ein gutes Marketinginstrument, wie Aufdecker wissen. Diese pflegen ihre G’schichterln damit aufzupeppen, sind aber manchmal so schlampig, dass die anonymen Sachverhaltsdarstellungen erst nach Erscheinen der story in die Post geben. Shit happens, aber üblicherweise kräht ohnedies kein Hahn nach sowas   ;-)   .

Das Killerargument des aufgeklärten Journalismus im Brandstätterschen Sinn sind freilich die Pressesprecher. Wenn die sagen: Stimmt nicht, dann stimmt’s nicht. Per definitionem.

 Das ist auch im Fall Biró so. Die passende Zwischenüberschrift lautet hier:

ÖBB_DementiDass man die Auskunft einer Schlepperorganisation, die unter Umgehung des Fremdenrechts Zehntausende durch’s Land schleust, vorsichtig behandeln sollte – auf so eine Idee kommen mediale Schoßhündchen natürlich nicht; eine Organisation, die ein großes Herz für Nicht-Staatsbürger hat und ein Arbeitgeber, der sich anmaßt, über die richtige Gesinnung seiner Mitarbeiter zu rechten.

Ach was, denken sich unsere Schoßhündchen da: Dementiert ist dementiert ist dementiert.

Leider taugt ein Dementi nur eine Ausgabe lang und muss danach seine Erscheinungsform ändern. Es ist ein echter shapeshifter. Ein paar Tage später taucht es dann als längst widerlegte Geschichte oder eben als Verschwörungstheorie wieder auf.

Großartig !

Die daraus entstehende Situation bringt allen was: dem aufgeklärten Journalismus, der Politik und ihre Handlangern in den nachgeordneten Betrieben, aber auch Leuten, die blöd angemacht wurden oder in ramponierten Waggons reisen mussten. Die wissen dann wenigstens, dass sie bestimmte Zeitungen nur dann kaufen sollten, wenn sie etwas einzuwickeln haben.

Unabhängiger Journalist

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