“Flüchtlinge”: Dubiose Rechtsbasis und Doppelte Standards

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Flüchtlinge an österreichisch-deutscher Grenze

Die rechtliche Begründung, mit der hierzulande alle Asylwerber aus Syrien und rund 75 % aus Afghanistan aufgenommen werden, ist fadenscheinig. Asylentscheider machen Antragsteller, die typischerweise Vertriebene aus (Bürger)Kriegen sind, zu Konventionsflüchtlingen. Es folgen krachende Sozialsysteme sowie Rechtsungleichheit zu Lasten der Europäer.

Ein Vergleich zwischen Österreich und der Schweiz zeigt, wie unterschiedlich sich die Asylwerberzahlen der Nachbaränder entwickelt haben. Folgende Tabelle zeigt die Anträge nur von Jänner bis November. Quellen sind das österreichische Innenministerium hier und das Staatssekretariat für Migration hier (Ganzjahreszahlen sind öffentlich noch nicht erhältlich).

Asylgesuche 2015
2014 2015 Δ in %
Österreich  23861  81127  + 240 %
Schweiz  22251  34653  + 55,7%

Die Zuwächse in der Schweiz sind hoch: + 56 Prozent, aber in Österreich haben sich die Anträge mehr als verdreifacht.

Vor der aktuellen Flüchtlingskrise hatten die Eidgenossen mehr Asylwerber. Erst 2014 sind die Schweizer “zurückgefallen”, weil in der 2. Jahreshälfte bei uns die großen Steigerungen begonnen haben. In den ersten sechs Monaten hatte die Schweiz noch deutlich “die Nase vorn” (10.278 ggü. 8.395 Ansuchen).

Diese Tabelle zeigt die Asylanträge seit 2011. Wegen fehlender Datenverfügbarkeit und der Vergleichbarkeit mit den vorangegangenen Zahlen sind auch hier nur die ersten elf Monate erfasst. Aussage und Trend verändern sich dadurch nicht.

Asylgesuche Ö – CH 2011 – 2014
2011 2012 2013 2014
Ö 13166 16361 15985 23861
CH  20016  27043  19683  22251

Hauptgrund, warum Österreich (sowie Deutschland, Schweden und Finnland) im Vergleich zur Schweiz so viel attraktiver geworden sind, ist offenbar, dass die Länder an unterschiedlichen Migrationsstraßen liegen.

2015 war das Jahr der Balkanroute.

Da ist einmal Syrien. Dort lässt sich die Entwicklung anhand der Zahlen des UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR einigermaßen nachvollziehen. Der Bürgerkrieg bzw. die von außen vorangetriebene Zerschlagung des Landes hat 2011 begonnen und über vier Jahre zu einem massiven Zuwachs von Vertriebenen innerhalb und außerhalb seiner Grenzen geführt, siehe folgende Tabelle: 

Opfer des syrischen Bürgerkriegs
2012 2013 2014 2015 (06)
Vertriebene im Land (Mio.)  0,73  6,5  7,6  7,6
“Flüchtlinge” (Mio, v.a. Lager uml. Ausland)  2,0  2,5  3,9  4,2

Die Zahl der aus Syrien stammenden, in türkischen Lagern lebenden Vertriebenen hat sich zwischen Mitte und Ende 2014 auf 1,5 Millionen etwa verdoppelt. Das hat zweifellos beigetragen, die Wanderung nach Mitteleuropa anzuheizen.

Würde es den wandernden Syrern primär um den Schutz vor Verfolgung gehen, könnten sie viel früher um Asyl ansuchen: Zwischen der Arabischen Republik und z.B. Österreich liegen (je nach Zählung) sechs bis acht Staaten, die alle Unterzeichner der Flüchtlingskonvention von 1951 bzw. von deren Ergänzung 1967 sind. Siehe Wikipedia:

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Unterzeichner in dunkelgrün

Der Exodus der Syrer aus den Lagern in den Nachbarstaaten hinterlässt den Eindruck eines einigermaßen organischen Geschehens in Europas unmittelbarer Nachbarschaft: das Migrationspotenzial hat sich über vier Jahre aufgebaut und schwappt nun nach Nordwesten (organisch nur bis zu einem gewissen Grad: irgendwer muss die Vertriebenen mit dem Geld ausgestattet haben, das nötig ist auf eine griechische Insel überzusetzen und von dort gen Norden zu wandern).

Missbrauch der Konvention?

Eine etwas andere Sache ist Afghanistan. Dort herrschen spätestens seit der Invasion der Amerikaner bürgerkriegähnliche Zustände, aber der große Run auf Asyl in Mitteleuropa hat erst 2014 begonnen.

Warum ist das so ? Warum beginnen Afghanen erst 13 Jahre nach dem Beginn (Wiederaufflammen) des Konflikts in Mitteleuropa aufzutauchen – obwohl dem UNHCR westlich des Iran sonst kaum afghanische Flüchtlinge bekannt sind ?

***

Der Verdacht massenhaften Missbrauchs selbst der in Westeuropa empfundenen Rechtsbasis liegt nahe – hier besonders deutlich.

Nehmen wir das Beispiel Österreich: Im vergangenen Jahr haben in der Alpenrepublik gut 25.000 “Afghanen” um Asyl angesucht, etwa gleich viel wie Syrer.

Zusammen stellen die (angeblichen) Angehörigen dieser beiden Staaten mehr als die Hälfte aller Asylwerber, aber wenigstens 89 Prozent der in der ersten Instanz vergebenen Asyl- oder Schutzplätze (exklusive Bleiberecht aus humanitären Gründen), wie aus der vorläufigen Bilanz des BFA im Jänner hervorgeht.

Die erste Instanz (BFA) hat praktisch allen Antragsstellern, die von sich behauptet haben aus Syrien zu kommen, Asyl oder subsidiären Schutz gewährt (was bedeutet, dass es entweder keine betrügerischen Antragsteller gab, die sich als Syrer ausgegeben haben, oder dass die Plausibilitätsprüfungen im Verfahren für die Katz’ sind). Aber auch 70 bis 75 % der “Afghanen” bekamen Asyl oder subsidiären Schutz.

Das heißt, dass der Löwenanteil der erfolgreichen Antragsteller 2015 aus sogenannten failed states kommt, Staaten, in denen Bürgerkrieg herrscht bzw. die durch Einmischung von außen zerschlagen wurden. Syrien und Afghanistan sind zwei, die sich auf der schwarzen Liste des Welthegemons befinden, die sieben Länder umfasst.

In letzter Konsequenz kommt der (bisherige) Druck auf die mitteleuropäischen Sozialsysteme von da: von wirtschaftlich motivierten Migranten aus armen Staaten, deren Strukturen durch “innere Konflikte” zerstört worden sind. Letztere sind scheinbar die notwendige Voraussetzung, damit die europäischen Entscheidungsinstanzen die Antragsteller einlassen können.

Eritrea ist auch so ein Land, in dem eine Mischung aus chaotischen Verhältnissen und bitterer Armut zum Anlass genommen wird, Migranten “auf Basis der Flüchtlingskonvention” ins Land zu bitten.

Das kleine Land am Horn von Afrika entwickelt sich zur Nemesis der Schweiz. Die Armutsflüchtlinge von dort haben sich Helvetia herausgepickt, weil dieses an ihrer Ausfallsstraße nach Norden, über Libyen/das mittlere Mittelmeer/Italien liegt.

Ginge es den Eritreern primär um Sicherheit, würden sie spätestens in Italien um Asyl ansuchen. Das haben vergangenes Jahr aber nur 265 von ihnen gemacht (von Jänner bis September, siehe hier). In der Schweiz waren’s dagegen 9.800 (von Jänner bis November, siehe hier).

Fragwürdige Rechtsbasis

Nun muss einem bewusst werden, dass es sich bei Afghanistan, Syrien (und Eritrea) um vergleichsweise bevölkerungsarme Länder handelt, dass aber der von diesen ausgehende Migrationsdruck völlig ausreicht, um Mitteleuropa zwischen Wien und Oslo politisch zu destabilisieren (und die Schweiz unter Handlungsdruck zu setzen).

Es gibt in der MENA-Region und im Mitteren Afrika aber noch ein paar heiße Kandidaten auf einen Status als Bürgerkriegsland/gescheiterter Staat, beispielsweise Ägypten mit seinen 87 Millionen Einwohnern. Oder Nigeria mit 177 Millionen, ein Land, aus dem laut einer Umfrage sowieso jede(r) Zweite auswandern will.

Wenn Kriege und kriegsähnliche Zustände in den kleinen Ländern das Motiv sind, Asylbewerber von dort weitestgehend zu schützen, warum sollte das nicht auch für die großen Länder gelten, wenn diese ein vergleichbares Schicksal ereilt (ist bereits in Arbeit :mrgreen: ) ?

Die Asylbürokratie in Mitteleuropa hat gezeigt, dass sie bereit ist, das Recht der Flüchtlingskonvention auf Länder wie Afghanistan oder Eritrea anzuwenden und dabei populäre Vorbehalte zu ignorieren und eigene Sozialsysteme zu unterminieren, fiat iustitia et pereat mundus.

Diesselbe Bürokratie würde derlei zweifellos auch mit Millionen Antragstellern aus Ägypten oder Nigeria tun – selbst wenn Kriege und Bürgerkriege eigentlich kein Asylgrund nach der Flüchtlingskonvention von 1951 sind.

Die legale Basis, auf der die Entscheidungen etwa des BFA ruhen, ist jedenfalls ziemlich dünn. Nicht wenige Völkerrechtler argumentieren, dass die anerkannten Flüchtlinge zu einem Großteil keine Konventionsflüchtlinge sind und dass ihre Aufnahme auf einem freiwilligen Akt der Republik Österreich beruht, siehe z.B. hier:

Das wird auch dem juristischen Laien plausibel, der sich die Mühe macht, den Text der Konvention zu lesen. Diese hebt auf eine Verfolgung aus rassischen, religiösen und politischen Gründen ab. Sie begründet kein Asylrecht für Opfer von Kriegen und Bürgerkriegen, wenigstens nicht unmittelbar.

Darauf macht auch das im vergangenen Jahr entstandene Wiener Memorandum aufmerksam – und empfiehlt eine “Aufkündigung bzw. Revision der Genfer Flüchtlingskonvention”, mit der Argumentation, dass die heutige Situation weder den Intentionen der damaligen Akteure noch deren historischem Umfeld entspreche.

Rechtsanwältin Eva Maria Barki, Lead-Autorin des Memorandums, schätzt, dass “nicht einmal drei Prozent die Voraussetzungen nach der Flüchtlingskonvention und damit die Voraussetzungen für einen dauernden Aufenthalt” haben.

Die mitteleuropäische Asylbürokratie (und das Hochkommissariat der UNO) sind anderer Meinung. Für diese sind in Kriegen Vertriebene Flüchtlinge, denen Asyl oder subsidiärer Schutz zusteht – was mit Hilfe ahnungsloser Politicos und gutgläubiger Journalisten auch durchgesetzt wird – auf dem Alten Kontinent, und nur dort.

Es ist eine internationale Zweiklassengesellschaft, die auf dieser Basis entsteht, eine institutionalisierte Rechtsungleichheit, die sich seltsamerweise auf ein- und derselben rechtlichen Basis erhebt. Im Memorandum des Wiener Akademiker Kreises wird das so formuliert:

Es ist unhaltbar, dass mangels völkerrechtlicher Vereinbarung lediglich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ausgenommen das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark) verpflichtet sein sollen, Migranten aus kriegerischen Konfliktzonen aufzunehmen.”

Nach dem Motto Quod licet Iovi, non licet bovi ist Ländern der Europäischen Union nicht erlaubt, was der Rest der Welt ohne weiteres tut. Während die einen aus innenpolitischen Gründen gegen Lager von Vertriebenen mobilisieren, ohne dass das mehr als ein Gähnen hervorrufen würde, ist für europäsische Staaten kein Mindeststandard zu hoch und für deren Bürger keine Ausgabe nicht zumutbar.

Absurd – und bezeichnend – ist, dass derlei auf Betreiben der institutionellen Zentren der Union stattfindet (Kommission, Europäischer Gerichtshof).

Der Schluss, der sich daraus ziehen lässt, ist, dass besagte Institutionen nicht die Interessen der europäischen Völker wahren. Letztere täten daher gut daran, nicht nur aus der Flüchtlingskonvention, sondern auch aus dieser Union  auszusteigen.

Edit, 26.1., 12.00 Uhr, zu afghanischen Flüchtlingen in Österreich, Erläuterungen siehe hier.

Foto: Christian Michelides, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, IdiotSavant assumed [Public domain], Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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