In den Kinos läuft gerade die Königin der Wüste, in der Nicole Kidman die englische Orientkennerin Getrude Bell spielt. Die gute Gertie wäre in ihrer Brillianz und Widersprüchlichkeit eine hoch interessante Figur, zum Beispiel weil sie eine der ersten Frauen mit abgeschlossenem Oxford-Studium war oder weil sie die Region viel besser kannte als die um 20 Jahre jüngere Legende Lawrence von Arabien. Regisseur Werner Herzog machte aus dem Stoff trotzdem einen Hollywood-Schinken, der sich hauptsächlich um Bells unglückliche Liebschaften dreht. Die wirklich interessanten Perioden ihres Lebens werden systematisch ausgeblendet.
Das mit Bells Unabhängigkeit vom Empire ist natürlich Unsinn – spätestens seit 1915 arbeitete sie dem britischen Geheimdienst zu, was per se ja nichts Ehrenrühriges ist. Die Briten wollten dem türkischen Feind den südlichen Teil seines Reichs abjagen und das deckte sich mit den Wünschen und Zielen eines großen Teils der Scheichs.
T.E. Lawrence war ein britisches Asset in diesem Kampf und die Bell war ein weiteres. Die Bell hatte es in der Männerwelt der Beduinen und der britischen Armee schwerer als Lawrence. Dafür war sie Tochter schwerreicher Eltern und hatte mehr Geld. In gewisser Weise war sie auch unabhängiger als Lawrence, weil sie nie auf ein Beamtengehalt oder militärische Ehren schielen musste.
Aus ihr eine Kämpferin für einen arabischen Nationalstaat oder einen Freigeist zwischen den Fronten zu machen, ist aber verfehlt – ebenso wie sie zur Feministin zu erklären. Sie traute den Arabern mehr zu als die meisten in der britischen Kolonialverwaltung – exekutierte letztlich aber immer die Vorgaben aus London. She did it her way, but she did it.
Die Politik machten andere, wie beispielsweise Mark Sykes, dem eine unsympathische Mini-Rolle gewidmet ist. Ihm sagt die Kidman-Bell ins Gesicht, dass er sich brausen gehen solle und sie sich nicht als Spionin anwerben lasse – Guten Tag.
Das ist echt Hollywood und wer solche Gschichterln glaubt, ist selber schuld.
Sykes ist übrigens der Typ vom zunächst geheim gehaltenen Sykes-Picot-Abkommen, in dem die Briten Paris einen Teil vom nahöstlichen Kuchen versprachen. Ähnliches sagten sie auch den Arabern (McMahon-Briefe) und den Zionisten zu (Balfour-Deklaration).
Das Interessante ist nun, dass die Bell das viel ktitisierte Sykes-Picot-Abkommen ziemlich genau umsetzte, indem sie einen Sohn des Sharifs von Mekka zu König Faisal I machte und die Grenzen jenes Staats etablieren half, der bis vor kurzem als Irak bekannt war. Sie verhalf dessen Bruder Abdullah auch zur Krone von Transjordanien. 1958 wurde der letzte Haschemiten-Herrscher in Bagdad gestürzt, in Amman sitzt noch immer Abdullah, der Zweite allerdings.
Der einzige größere Unterschied zu Sykes-Picot war, dass der Irak ursprünglich als direktes Einflussgebiet der Briten konzipiert war, der neue Staat im Zweistromland aber als eine Art von Protektorat unter britischer Herrschaft gegründet wurde. Das dürfte aber eher die Entscheidung des damaligen Kolonialministers namens Winston Churchill gewesen sein (Churchill sitzt im obigen Foto von der Kairo-Konferenz in der ersten Reihe, ganz rechts).
Wie Lawrence protegierte die Bell die Haschemiten-Dynastie und wie dieser nahm auch sie Ibn Saud als realpolitische Gegebenheit zur Kenntnis.
Das nach dem Ersten Weltkrieg grundgelegte Gesicht des Nahen Ostens hat bis ins 21. Jahrhundert, bis vor etwa 10 Jahren überdauert – trotz des Endes des Kolonialismus und der Mandatsgebiete, der Gründung Israels und des Sturzes der Haschemiten im Irak.
Seither wird die Nachkriegsordnung von WK I revidiert – und zwar von den Amerikanern und unter Mitwirkung der zum Pudel der USA reduzierten Briten. Auch die Russen sind wieder im Spiel.
Man könnte das, was im Irak und Syrien seit etwa zehn Jahren abläuft, als Beseitigung des Vermächtnisses von Getrude Bell bezeichnen – und es gibt in der Region kaum jemanden, der das wirklich beadauern würde. Doch Faktum ist, dass der instabile und blutige alte status quo des Jahres 1921 gerade durch einen noch instabileren und blutigeren neuen status quo ersetzt wird.
Das neue, alte Imperium will die Grenzziehungen von vor 90 Jahren rückgängig machen und die Waffe seiner Wahl nennt sich Islamischer Staat.
Foto: Eva Rinaldi, Beaugosses/Wikimedia Commons
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