Jerusalem: Überlauf-Tropfen oder längst fällige Normalisierung?

US-Präsident Trump hat angekündigt, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und damit Empörung ausgelöst. Seine Erklärung (Beginnzeit eingestellt), die sich in der Substanz nicht von der russischen Anerkennung “West-Jerusalems” unterscheidet, erfolgte 22 Jahre nachdem der Kongress beschlossen hatte, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen – was seither durch an die 40 Verzichtserklärungen dreier Präsidenten verschoben wurde.

Die New York Times kommt hier ihrem publizistischen Kern-Auftrag nach und veröffentlicht ein Transkript von Trumps Bemerkungen.

Trump, hinter dem auf dem Video sein Vize Mike Pence steht, begründet das Nein zu einem weiteren präsidenziellen waiver damit, dass die Verzichtserklärungen der Vorgängerpräsidenten Clinton, Bush und Obama nicht den angestrebten Effekt gehabt hätten (nämlich eine Einigung zwischen Israel und Palästinensern).

Er wolle sein Wahlkampfversprechen einlösen und

das Offensichtliche anerkennen – dass Jerusalem Israels Hauptstadt ist. Es ist die Anerkennung der Realität und die richtige Handlung.

Die Vereinigten Staaten bezögen dabei freilich

keine Position in Bezug auf endgültige Vereinbarungen (final status issues) und damit auch nicht im Hinblick auf die israelische Souveränität in Jerusalem oder auf Lösungen für umstrittene Grenzen. Diese Fragen müssen von den beteiligten Parteien gelöst werden (…) Die USA würden eine Zweistaaten-Lösung unterstützen, wenn sich beide Seiten darauf einigten.”

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Als Vergleich dazu die vor acht Monaten erfolgte russische Erklärung, die zwar anders “geframt” ist, die aber auch auf den Umzug der russischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem (West) hinausläuft – zu einem unbestimmten künftigen Zeitpunkt (wie oben eigene Übersetzung und Hervorhebung).

Wir bekräftigen unsere Unterstützung der von der UNO gutgeheißenen Prinzipien für ein Abkommen zwischen Palästinensern und Israelis, einschließlich des Status von Ost-Jerusalem als Hauptstadt für einen künftigen Palästinenserstaat. Gleichzeitig müssen wir in diesem Zusammenhang erklären, dass wir West-Jerusalem als Hauptstadt Israels betrachten.”

Zwischen den beiden Erklärungen besteht nur eine geringe Differenz.

Der größte Unterschied ist wohl, dass die Russen die Zweistaatenlösung als von der UNO vorgegebene Konstante betrachten, während Trump im Konditional spricht (“… wenn sich beide Seiten darauf einigen”).

Nur die Entstehungsumstände unterscheiden sich merklich voneinander.

Exkurs: Hartnäckig ausbleibende Ostjerusalem-Einigung

Sowohl Russen als auch Amerkaner scheinen darauf abzuzielen, die Hauptstadt-Realität Jerusalems mit der bisherigen völkerrechtlichen Nicht-Anerkennung der israelischen Annexion Ostjerusalems 1980 kompatibel zu machen.

Trump hebt zu Recht zwei Umstände hervor, nämlich:

  • dass in Jerusalem alle Institutionen zu finden seien, die Hauptstädte auszuzeichnen pflegen (Parlament, Regierung, Oberstes Gericht, etc.) sowie
  • dass der bisherige Verzicht “das Offensichtliche anzuerkennen” nicht dabei geholfen habe, eine Friedenslösung herbeizuführem.

(Die Frage ist nur, warum das so ist und ob dies nicht vielleicht primär an den Israelis liegt).

Faktum ist jedenfalls, dass spätestens seit dem Beginn des sogenannten Friedensprozesses von Oslo über Ost-Jerusalem verhandelt wird (in den vergangenen Jahren praktisch überhaupt nicht mehr).

Vergeblich verhandelt wird (wurde).

Faktum ist auch, dass der rechtliche Status von Ostjerusalem in den vergangenen 70 Jahren rein militärisch entschieden wurde – zuerst von den Jordaniern, die 1948 Westbank und Ostjerusalem besetzten und 1967, im Sechstagekrieg, durch israelische Soldaten, die damals Ostjerusalem eroberten.

Tatsache ist ferner, dass die heute noch mehrheitlich arabischen Bewohner dieses Stadtteils zu mehr als 90 Prozent nicht wahlberechtigte “permanent residents” sind (die leichter “hinausgeworfen” werden können als israelische Staatsbürger).

Darüber hinaus scheinen jüdische Siedlungsbewegungen an einer ethnisch-kulturellen “Umvolkung” von Ostjerusalem zu arbeiten.

Faktum ist drittens, dass sich in Ostjerusalem fast alle heiligen Stätten von Juden, Christen und Muslimen befinden und dass lediglich die Westmauer des früheren jüdischen Tempels (“Klagemauer”) direkt unter israelischer Verwaltung steht.

Der Rest des Tempelbergs, die Al Aksa-Moschee, befindet sich rein formell unter einer arabisch-muslimischen Sonder-Jurisdiktion.

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Tempelberg, Wiki Commons

Genau da könnte freilich der eigentliche Hund begraben liegen.

Konkurrenz der Eschatologien

Nämlich in miteinander konkurrierenden religiösen (Endzeit)Vorstellungen von fundamentalistischen Juden, Christen und Muslimen – Vorstellungen, die auf allen Seiten die stillschweigende Unterstützung (quasi)staatlicher Institutionen zu genießen scheinen.

Das ist ein vielschichtiges Thema, das mittlerweile ganze Bibliotheken füllt und das hier nur vereinfacht angesprochen werden kann.

Die Moschee steht an der Stelle, an der einst König Salomons Tempel gestanden ist, der “zuletzt” ( = vor knapp 2.000 Jahren) von den Römern zerstört wurde.

Endzeitlich gestimmte Juden erwarten, dass bei (vor) dem Kommen ihres Messias der Tempel zum dritten Mal aufgebaut wird, genau an der Stelle, wo sich seine beiden Vorgänger befanden (und wo heute die Moschee steht).

Evangelikale Christen glauben Ähnliches, nur dass für sie der Messias wieder kommt und die Juden sich bei dieser Gelegenheit zum Christentum bekehren (und Jesus Christus als Sohn Gottes anerkennen) werden.

Für Muslime schließlich ist es der Ort, von wo aus dereinst der Mahdi, der islamische Messias, mit Hilfe des Propheten Jesus die Welt zum Islam bekehren und wo er sein Welt-Kalifat regieren wird.

Solch Interpretation der Endzeit würden sunnitische ISIS-Terroristen beispielsweise mit der schiitischen Regierung in Teheran teilen, wie verschiedene Gelehrte (oft mit jüdischen Wurzeln) meinen.

Islamische Extremisten versuchten, durch das Säen von Chaos das Kommen des Mahdi zu beschleunigen, sagen die einen

während andere ein vergleichbares Vorgehen durch “jüdische Endzeitsekten” konstatieren, beispielsweise durch den superreichen und gut vernetzten Lubawitscher Chabad.

Sowohl Trump als auch Putin hätten enge Kontakte zu dieser Gruppe, behauptetete beispielsweise politico.com im vergangenen April.

Hier ein deutschsprachiges Video von einem Sympathisanten dieser These (Tilman Knechtel):

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Naturgemäß ist keine der Endzeit-Stories für die jeweiligen Gläubigen “in irgendeiner Weise verhandelbar” (wie die deutsche Bundeskanzlerin vielleicht formulieren würde).     ;-)

Weswegen der Jerusalem-Konflikt in einem rationalen Verhandlungsprozess womöglich gar nicht lösbar ist.

Bild: Andrew Shiva / Wikipedia, via Wikimedia Commons

Literatur:

Gershom Gorenberg, The End of Days. Fundamentalism and the Struggle for Temple Mount. 2000

Wolfgang Eggert, Israels Geheimvatikan, Bd. 1 – 3. 2002

Michael Baigent, Racing toward Armageddon. The Three Great Religions and the Plot to End the World. 2009

Erik Freas, Nationalism and the Haram al-Sharif/Temple Mount. The Exclusivity of Holiness. 2017

Unabhängiger Journalist

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