Die dahinter liegende Geschichte muss bei Adam & Eva anfangen, weil sie bis jetzt nicht adäquat berichtet worden ist.
Es beginnt damit, dass der wohl größte “Erfolg der heimischen Arbeitsmarktpolitik” in der jüngeren Zeit in der Schaffung von Hunderttausenden schlecht bezahlten Teilzeitjobs bestand – während gleichzeitig die Zahl der Vollzeitposten stagnierte (die Politik hat das immerhin zugelassen).
Hier sind die Angaben der Statistik Austria für die Jahre 2004 und 2015 samt Steigerungen (selbst errechnet).
2004 | 2015 | Δ (in %) | |
Vollzeit | 2.559,6 | 2.589,9 | + 1,2 |
Teilzeit | 661,7 | 1.019,3 | + 64,9 |
Das war die Reaktion auf eine Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt.
Politisch stand nicht etwa “schwarz-blau”, sondern “rot-schwarz” dahinter – Sozialdemokraten, Arbeiterkammern und ÖGB haben also auch mit gewirkt (wie bekannt, wird das Land seit 2006 wieder von SPÖ und ÖVP regiert und die sogenannten Sozialpartner trugen schon immer rot-schwarz).
Nun geht es hier nicht nur um Flexibilität und Arbeitnehmerwünsche, wie man das der Öffentlichkeit weis macht, sondern auch um Qualifizierung und – damit verbunden – um das Lohnniveau, in diesem Fall: ein niedriges.
Das lässt sich zweifelsfrei der folgenden Tabelle entnehmen.
Ein Teil der Daten entstammt diesem Kurier-Artikel, der sich den Branchen widmet, auf die ein (Vollzeit-)Mindestlohn von 1.500 Euro Auswirkungen haben würde. Dort heißt es:
Auch diese Daten kommen von der Statistik Austria und gemeint sind Unselbstständige.
Vergleichen wir also die unselbstständig Beschäftigten in beiden Kategorien mit den Geringverdienern, also mit jenen, die weniger als 8,67 Euro pro Stunde verdienen (was der monatlichen Kern-Grenze von 1.500 Euro entspricht). Es ergibt sich folgende Tabelle:
gesamt | Geringverdiener | Anteil | |
Vollzeit | 2.589,9 | 149,1 | 5,8% |
Teilzeit | 1.019,3 | 207,4 | 20,3% |
Das bedeutet, dass das “Einkommensproblem”, das der Gesetzgeber wegdekretieren soll, in jenem Segment entstanden ist, das in den vergangenen Jahren
- unter den Augen von Regierung und Sozialpartnern sowie
- vor der Nase der angeblich sozialkritischen Mainstream-Presse
entstanden ist (die Presse-Leute merken selbst Dinge, die ihnen ideologisch in den Kram passen nur, wenn sie mit der Nase drauf gerstoßen werden).
Nun ist wenig Lohn für unselbstständige Arbeit gar nicht toll - aber immer noch besser als gar kein Lohn für Jobs, die nicht angeboten werden.
Ob das zutrifft, lässt sich nur im konkreten Fall beantworten.
Manche Tätigkeiten lassen sich einsparen bzw. durch Maschinen ersetzen, bei anderen ist das nicht möglich.
Darüber muss letztlich der anstellende Arbeitgeber befinden. Er/sie muss die Frage beantworten, ob das Engagement für den Betrieb notwendig ist bzw. sich lohnt.
Herr Mag. Kern und das Parlament haben diesbezüglich keine Ahnung – übrigens noch weniger als die ÖGB-Funktionäre, die die KVs verhandeln.
Ein gesetzlicher Mindestlohn bzw. entsprechender staatlicher Druck auf die Verhandler sind daher keine so guten Ideen.
Bestenfalls kommt dabei ein zweischneidiges Schwert heraus, das den einen Lohnerhöhungen und den anderen Arbeitslosigkeit bringt (der Verweis auf die “Erfolgsgeschichte in Deutschland” taugt aus mehreren Gründen nicht – u.a. wegen ungeeigneter Vergleichsbeispiele).
Man wird den Eindruck nicht los, dass Kern die success story, die seine Genossen zugelassen haben, leid ist.
Er will den Robin Hood der Minderverdiener spielen und glaubt, den Blauen damit das Wasser abgraben zu können.
Vielleicht, denkt er sich, “wählen mich ein ja paar von den 356.500 Arbeitnehmern die von einem Mindestlohn profitieren können.”
Ein guter Teil davon würde das freilich gar ncht können, weil sie als Ausländer nicht wahlberechtigt sind.
Wie viele, wissen nur der Liebe Gott und das Amt für Statistik.
Beide schweigen aber.
Die Staats-Statistiker wissen aus ihrer Sonderauswertung der Verdienststruktur 2014 zwar haarklein, dass 149.100 Voll- und 207.400 Teilzeitbeschäftigte weniger als 8.67 Euro pro Stunde verdienen, nicht aber, zu welchem Prozentsatz es sich um Ausländer handelt – weswegen man diesem Blogger mitteilte , dass eine weitere Untergliederung “leider nicht zur Verfügung” stünde.
Macht aber nix.
Jeder, der über ein bisschen Realitätssinn verfügt, weiß, in welchen Branchen
- bei viel Teilzeitarbeit besonders wenig gezahlt wird und
- wer dort arbeitet – zum Beispiel Ungarn in Gastronomie und Hotellerie in Ostösterreich.
Womit sich dem/der Fragenden auch der Sinn der in Plan A erhaltenen 1.500 Euro-Forderung erschließt: Es geht Kern & Co. primär um Einkommenspolitik für hier beschäftigte Staatsangehörige aus Niedriglohnländern.
Das ist zwar kontraproduktiv, aber nicht ehrenrührig.
Ein Motiv die SPÖ zu wählen, ist es eher keines. Es klingt nur so, als wären dieser Partei die österreichischen Kleinverdiener ein besonderes Anliegen.
Nachbemerkung, 19.1.2017, 04.15 Uhr: Der Tamtam, den die Recherche dieses Eintrags in diversen Institutionen verursachte, hat dazu animiert, die Kurier-Story kurzfristig vom Netz zu nehmen.
Das ist ungefähr so, als würde man sich die Augen zuhalten und glauben, man würde deswegen nicht gesehen – kukuck !
Die Kurier-Geschichte, die das Lohndifferential zwischen Voll- und Teilzeit zeigt, ist in Wahrheit eine APA-Geschichte, die am 13. Jänner verschickt und einen Tag später korrigiert wurde.
Der Kurier korrigierte am 14. Känner um 15:40 Uhr auch und ließ die Meldung die nächsten vier Tage online. Das Agentur-Original sowie Screenshots von der Kurier-Veröffentlichung existieren.
Man darf davon ausgehen, dass die oben thematisiertem amtlichen Angaben zum Lohnniveau der Teilzeitjobs korrekt wiedergegeben sind.
Edit, 19.1.2017, 10.00 Uhr: Folgende Passage entfernt: “möglicherweise handelt es sich schon um die Zahlen 2016 – aber das hätte maximal eine kleine Unschärfe zur Folge“. Das sind keine Zahlen von 2016, sondern welche von 2014. Also doch Unschärfe, aber durch Zahlen vom vorangegangenen Jahr.
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