Die New Yorker Investmentberaterin Lyn Alden hat mit “Broken Money” eine Bestandsaufnahme vergangenen und gegenwärtigen “Gelds” vorgelegt und meint pro futuro, dass nicht-(zwischen)staatliche, sozusagen echte Kryptowährungen a) die beste Lösung bzw. das kleinste Übel/Risiko für einen auch weltweiten Zahlungsverkehr darstellten, die überdies b) moralischer, weil “der Leistung angemessener” wäre. Ihr tief recherchierter Text bescherte diesem Blogger einige Aha-Erlebnisse, dieser beruht in seinen zukunftsgerichteten Passagen aber auf etlichen oft nur impliziten, nichtsdestotrotz fragwürdigen Annahmen.
Aldens bereits vergangenes Jahr erschienenes Buch ist eine Art Liebesarbeit, die ihr finanziell wohl viel, viel weniger einbringt als ihr Brotberuf an der Wall Street (“writing a book has a bad ROI”).
Es ist gewissermaßen die Summa Theologica eines freilich noch sehr jungen Lebens (die Autorin ist erst 33);
und eine Wiederaufnahme von Themen, die weiland Carl Menger oder Georg Friedrich Knapp umgetrieben haben,
vermehrt um gut 100 Jahre Technik- sowie Vor- und Frühgeschichte und Anthropologie
und natürlich gut 100 Jahre Erfahrungen mit staatlichem Geld, deren siegestrunken-manische heutige Endphase sich nicht einmal der alte Knapp hätte vorstellen können
(obwohl dieser in Academia und unter den Policymakers der vergangenen 100 Jahre ungleich einflussreicher war als z.B. Menger).
Die Hauptthese der Alden, die auch Technik studiert hat, ist, dass Technologie im umfassenden Sinn die Bezahlweise nachhaltiger geprägt habe als Politik
und ihr “Exhibit A” dafür ist die Erfindung des Telegraphen, der das weltweite Settlement in Fiat von Transaktionen in Lichtgeschwindigkeit ermöglichte;
eine Entwicklung, die noch heute
- die selbstverständliche Grundlage des Dollar-basierten weltweiten Finanzsystems ist
- und die “so nebenher” den Tod des für’s “Settlement” viel zu langsamen Warengelds mit sich brachte.
- Unnötig dazu zu sagen, dass solche Hyper-Schnelligkeit von Informationen und Transaktionen aus dem nie infrage gestellten Einmaleins ihres Berufsstands an der Wall Street kommt, der gleichen fixen Idee, die über ihre Branche hinaus als Inbegriff technischer Moderne gilt.
Nun wäre es unzutreffend, die Alden als Verfechterin des modernen Fiat Money-Systems zu zeichnen.
Das ist sie keineswegs – obwohl sie gewissermaßen in der “Höhle des Löwen” arbeitet und sich dort nach der Decke (der “Löwen”) zu strecken hat.
“Ihr” Geldsystem, das heutige, ist – wie es schon im Titel ihres Buchs heißt – “broken”.
Auch verfällt die Alden nicht jener heute modischen Kreditgeldtheorie, die in der Steinzeit-Urbanität des Zweistromlands die primären oder gar alleinigen Entstehungsbedingungen für menschliche Zahlungsmittel ortet;
noch turnt sie sich über die sozialen und humanitären Folgen des heutigen Papier- und Buchgeldsystems hinweg
- und ihre “angeheiratete ägyptische Verwandtschaft” mag dabei eine wichtige Rolle gespielt haben.
Alden hat ihrer nordafrikanischen Schwiegerfamilie zugehört und wohl ausgiebig von Mises gelesen, um die Nachteile und Ungerechtigkeitén ermessen zu können, die 160 “siloisierte Fiat-Währungen” für deren Nutzer haben.
Das Sünden-Register des Fiat-Money
Der Cantillon-Effekt ist der Frau natürlich bekannt – und auch, dass sich in ungedeckten Geldsystemen Einkommensbezieher (Arbeits- und Zinseinkommen) einem mörderischen Wettlauf mit der Inflation stellen müssen, den sie idR auch verlieren.
Aber sie ist eine Technik-studiert-Habende aus der X-Generation (oder schon Millenial?) und das Goldgeld-Faible der Austrians von vor 100 Jahren mag ihr hoffnungslos retro vorkommen.
Fallacy Elektrizität
Schließlich ist sie in eine Welt hineingeboren worden, in der ein globalisiertes Informationssystem (heute) via Internet als fixer Bestandteil der Condition humaine betrachtet wird
- wohl fälschlicherweise.
Fälschlicherweise hält auch Lyn A. die technische Moderne für irreversibel, “weil Menschen nicht mehr ‘verlernen’ können, was sie einmal wissen”, wie z.B. das Haltbarmachen von Speisen durch Kühlung.
Das ist ein weit verbreiteter Gedanke, der ein trügerisches Sicherheitsgefühl verschafft,
vermengt er doch heute vorhandenes Wissen um organische Prozesse mit jener als überzeitlich verstandenen menschlichen Fähigkeit,
diese natürlichen Vorgänge so zu verlangsamen, dass Fäulnis & Schlechtwerden erst später eintreten als dies bei höheren Temperaturen der Fall wäre.
- Hier geht es aber gar ncht um Wissen der organischen Chemie, das im 19. Jahrhundert entstanden sein mag, sondern um “Zivilisation”, konkret: ein Stromnetz mit einer Frequenz von um die 50 Hertz,
- das freilich nicht unbeherrschbar volatil sein darf,
- das die Verfügbarkeit von Kupfer-Erzen und raffiniertem solchem Industriemetall in Form von Drähten zur Voraussetzung hat sowie um
- die heutige (grundsätzlich verzichtbare) Verfügbarkeit von Steuerungs-Chips für Kühlschränke oder Transformatoren.
All das ist nicht selbstverständlich – das könnten, würden sie noch leben, die Generationen vor Thomas Alva Edison und Nikola Tesla bezeugen, ebenso wie beispielsweise die Auskenner der früheren, “vor-fossilen” Erzförderung unter Tag
(Haltbarmachen durch Kühlung/Einfrieren übersteigt übrigens mitnichten Umwelt und Kulturen, jedenfalls nicht vor der Versorgung der Haushalte mit Elektrizität).
Derlei scheint jungen Ingenieuren und -innen von heute aber eher am A. vorbei zu gehen – wohl auch der Lyn.
Techniker wie diese halten Elektrizität offenbar für eine Art Gott gegebenes Recht oder höchstens ein bloß kognitives Problem peripherer Völker, dem mit ausreichend technischer Bildung beigekommen werden kann.
Das gilt auch für Geld-Dinge, über die die Alden nachgedacht hat.
Aus der “Adler-Perspektive” der Buchautorin dreht sich die Geldgeschichte seit der Altsteinzeit um die Frage: Wer kontrolliert den (öffentlichen) Ledger?
- also gewissermaßen das Hauptbuch, in dem alle in einer Währungseinheit vorgenommenen Transaktionen verzeichnet sind.
In der langen Menschheitsgeschichte vor dem 19. Jahrhundert hält Alden eine Art Balançe zwischen Kredit- und Warengeld-Theorie (wovon u.a. das Subkapitel “A Unified Theory of Money” Zeugnis ablegt).
Mit der Erfindung des Telegraphen bzw. der Verlegung von dessen Kabeln am Meeresboden (im Atlantik 1866 und ein paar Jahrzehnte später im Pazifik) werden jedoch die Karten neu gemischt
und Transaktionen können nun “global” mit Lichtgeschwindigkeit erfolgen, eine Schnelligkeit, mit der das “Settlement” via Gold nicht mehr Schritt halten kann.
Die Antwort drauf sei eine (weitere) Zentralisierung des Geldsystems gewesen, schreibt Alden,
sodass physisches Gold nur mehr selten bewegt worden sei – zugunsten des ebenfalls hyperschnellen Handels mit “claims on gold”, das von “trusted counterparties” (angeblich) auch anderswo gehalten worden ist.
Der Preis dafür sei freilich die zunehmende Abstrahierung vom zugrunde liegenden Asset und letztlich eine “leverage ratio” von 20:1 gewesen, getreu dem Motto: Alles was missbraucht werden kann, wird auch missbraucht.
In der Beschreibung der “Technologiefolgen” für die Transaktionen und weiters für die Zentralisierung des Finanzsystems stützt sich die Autorin auf das vor etwa 150 Jahren erschienene “Money and the Exchange Mechanism” des William Stanley Jevons
(was IMO volllkommen “legit” abläuft – kein Plagiarismus hier zu sehen).
Jevons, Ökonomen höchstens noch als Vater des gleichnamigen Paradoxes bekannt, war ein Zeitgenosse des transatlantischen Telegraphen, der mit großer Geistesschärfe die Vorgänge und ihre zentralisierenden Weiterungen erfasste.
Im Gegensatz zu Alden, die den Vorteil des Rückblicks auf weitere 150 Jahre Geld- und Finanzgeschichte hat, hielt Jevons die Entfremdung von claims und underlying assets jedoch für beherrschbar.
Hier “biegt Lyn gewissermaßen Richtung Bitcoin” ab.
BTC, meint sie, erlaube einen lichtschnellen Transfer von funds inklusive “Settlement”, während der Ledger gleichzeitig dezentral und für alle transparent sei.
Der Ledger von BTC sei starr, ähnlich jenem von Gold, er beruhe aber auf Code und nicht auf natürlicher Seltenheit von verarbeiteten Edelmetall-Erzen, weshalb – anders als mit “flexiblem Fiat” – mit BTC kein welfare/warfare state finanziert werden kann (eigene Worte).
Wer die Essenz von “Broken Money” hören möchte, zusammengefasst durch die Autorin höchstselbst, lausche den Minuten 12 bis 20 in Aldens Interview mit Nate Hagens.
Der Frankly-Podcaster, der diesem Interview lang “nachgelaufen” sein mag, sagt in diesem Gespräch viel Gutes über “high IQ Lyn” und vielfach schwimmen die beiden auf gleicher Wellenlänge
(dazu kommt, dass Hagens in seiner Jugend an der Wall Street gearbeitet hat und deren Typen,Themen und Funktionsweisen von früher kennt).
Lyn Alden verabscheut wie Hagens die scheinbar nicht zu stoppende Aufschuldung von Kreditgeldsystemen (einmal abgesehen von verordneten Jubilees)
und weiß um die exponentielle Primärenergie-Kurve, die erst “vor kurzem”, nämlich etwa bei der Geburt von Aldens Dad senkrecht nach oben zu schießen begann (Minute 11)
- und es ist ihr natürlich klar, dass eine solche Kurve pro futuro nicht “sustainable” ist.
Hagens scheint Aldens These der “fiscal dominance” der jüngsten Vergangenheit ebenso nachvollziehen zu können wie ihre Erwartung eines “Commodity-Jahrzehnts”
und auch ihre Erklärung, warum ein (“breites”) Geldmengenwachstum von durchschnittlich sieben Prozent p.a. im industrialisierten Kern des “Weltsystems” keine Konsumentenpreisinflation ausgelöst hat, wird von “high IQ Nate” goutiert (“disinflationary events offsetting (monetary) inflation” wie beispielsweise der WTO-Beitritt Chinas).
Offene Türen rennt auch Aldens Vorhersage ein, dass die hiesige Konsumentenpreisinflation außer Rand und Band geraten werde, wenn
- entweder die Energieproduktion zurück geht (wie von vielen Peakoilistas vorhergesagt) oder
- wenn die steigende Energieproduktivität abflacht oder gar den Rückwärtsgang einlegt.
Aber.
Weltsicht aus Energie-Perspektive?
Aber deswegen “does Alden NOT look at the world through an energy lense”
und die Behauptung, dass Lyn Energie in ihre Weltsicht integriert habe, bedürfte eines “qualifyers”:
Natürlich wissen Techniker(innen), dass nichts von allein läuft und dass dichte Energie nicht einfach ein beliebiger Produktions-Input unter vielen ist.
Und natürlich ist Alden klar, dass, historisch gesehen, die Produktion von Währung Energie erfordert hat und dass das nur bei Fiat Money nicht (oder kaum) mehr so ist (ungedeckte CBDCs inklusive).
In diesem Licht ist letztlich auch der populäre Vorwurf gegen “internet native money” zu sehen, Miner, Blockchain und Netz gingen verschwenderisch mit Elektrizität um
sowie
die Aldensche Antwort drauf, dass der (“operative”) Energieaufwand für BTC & Co. sowieso nur der stranded energy bei Hydro, in Ölfeldern und bei Deponien entspreche, die sowieso keinem anderweitigen produktiven Nutzen zugeführt werden könne.
In “How Bitcoin Uses Energy” wird auch das Argument angezogen, dass Bitcoin-Mining als eine Art große Batterie für die Stromerzeugung funktioniere könne, in Zeiten, in denen es keine anderweitige Nachfrage nach Strom gebe.
Miners, die eine Unterbrechung ihrer Computing-Prozesse tolerieren können, könnten ja als Abnehmer der letzten Instanz fungieren und damit z.B. Elektrifizierungsprojekten in Entwicklungsländern eine Art Initialzündung (“bootstrapping”) verschaffen.
Das für die Mining-Branche Entscheidende sei nicht die Kontinuität der Versorgung, sondern der Preis der Kilowattstunde.
Das alles sind seltsame Ansätze, die auf ihre Realitätstauglichkeit abgeklopft gehörten, aber allein die durchgängige Ignorierung der gesamten (energetischen “upfront”) Aufwände wirft Schatten auf den Claim, Lyn sei nicht “energieblind”.
Darüber hinaus – und das muss wohl nicht extra betont werden -, wäre der Versuch, vom Fiat-System erzeugte Probleme mit Mitteln der HighTech-Kryptographie zu lösen alles andere als eine “great simplification”.
Lyn Alden, Broken Money: Why Our Financial System is Failing Us and How We Can Make it Better.2023
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