Vor fast genau 40 Jahren haben die Österreicher per direktdemokratischem Volksentscheid den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen, in die man noch gar nicht eingestiegen war. Das Nein zur Kernenergie hat bis heute überlebt, die Hinterfotzigkeit angeblich demokratischer Politiker auch. Ein Fall von “gutem Populismus”.
Vorbemerkung: Dieser Blogger, damals 17 Jahre alt, war 1978 vehement gegen die Inbetriebnahme des bereits fertig errichteten KKW – auf einer zwar eher dürftigen Faktenbasis, aber in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit seiner Altersgenossen (ich war freilich ein Jahr zu jung um schon abstimmen zu dürfen).
Die Abstimmung vom 5. November 1978 ging hauchdünn gegen Zwentendorf aus – was freilich eine Sensation war und eine bis heute bestehende Politik-Tradition begründete.
Leider nicht auch die Tradition, bei großen staatspolitischen Entscheidungen “den Souverän” entscheiden zu lassen.
Der Begriff, der viele Deutsche und Schweizer zum ratlosen Kopfkratzen veranlasst, füllt in Österreich seit Tagen ganze Zeitungsseiten. Wir Ösis feiern den 40. Jahrestag einer Volksabstimmung, in der mehrheitich gegen das damalige Establishment votiert wurde
Hier, bei Wikipedia, findet sich ein grober Überblick über die Causa.
Die damals junge Generation, die gegen ein Kartell von Wirtschafts- und Gewerkschaftsinteressen anrannte, übernahm in den folgenden Jahren in Wien das politische Kommando
- und machte auf die gleiche Art Politik, gegen die sie sich anno dazumals erfolgreich gewehrt hatte: mit dem Schaffen vollendeter Tatsachen mithilfe kontrollierter parlamentarischer Mehrheiten.
Der Bau des KKW war 1969, unter einer ÖVP-Alleinregierung beschlossen worden. Er wurde nach 1970 von den nachfolgenden sozialdemokratischen Alleinregierungen Kreisky weitergeführt.
Formal gesehen wurde das Kernkraftwerk völlig legal errichtet und wäre – hätte es keine Volksabstimmung gegeben – auch völlig legal ans Netz gegangen. Der Gesetzesbeschluss des Parlaments war mit Stimmen von SPÖ und ÖVP gefasst worden und die Inbetriebnahme war eigentlich nur mehr eine administrative Angelegenheit.
“Hinter den Kulissen” war die Entscheidung der Parlamentarier von einer Koalition aus Wirtschaft ( = “Kapitalisten”) und Gewerkschaft (“Betonfraktion”) getragen (erzwungen) worden.
Gegen diese Verhältnisse kam es zu einer Massenmobilisierung der “Jungen”, der “Linken”, der “Umweltschützer” und – nicht zuletzt – großer Teile der ÖVP, die die Chance witterte, dem strahlenden sozialdemokratischen Serien-Wahlsieger Kreisky eins auszuwischen
- was gegen jede Wahrscheinlichkeit auch gelang. Die Folge war ein verfassungsmäßig verankertes Atomsperrgesetz, das bis heute Bestand hat (und das hierzulande als allerheiligste aller heiligen politischen Kühe gilt).
Die Art, in der danach Politik gemacht wurde, unterschied sich freilich kaum von der Heimtücke, mit der SPÖ und ÖVP in den 1970ern geglaubt hatten, eine große energiepolitische Grundsatzentscheidung am (laut Verfassung) “politischen Souverän” vorbeischmuggeln zu können.
Nur die Gesichter wechselten, wurden jünger.
Die Rebellen von 1978 rückten nach und ersetzen über die Jahre die Politicos der “Volksparteien” (SPÖ, ÖVP), die “zu ihrer Zeit” noch echte Volksparteien gewesen waren.
Das neue Polit-Gesindel begann zu glauben, dass es nun mit den Methoden der Vorgeneration reüssieren könne, die viele Milliarden Steuergeld in den Bau von Zwentendorf investiert hatte, in der Hoffnung, die Österreicher würden – käme es “hart auf hart” – die vollendeten Tatsachen schon akzeptieren.
Paradebeispiel für das Vorgehen der “Generation Zwentendorf” ist der “Staatsstreich in Zeitlupe”, der “Salami-Putsch” gegen die österreichische Verfassung, den dieser Blogger hier in einem längeren, nie gedruckt erschienenen Text analysiert hat.
Die einzige politische Kraft, die sich dieser Entwicklung oft widersetzte, waren die sogenannten Rechtspopulisten, von denen die heutige kleinere Regierungspartei (FPÖ) übrig geblieben ist.
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Ist das KKW Zwentendorf aus heutiger Sicht aus Versorgungsgründen nun wirklich notwendig gewesen, wie die Befürworter damals argumentiert hatten?
Die kurze Antwort lautet: Nein, aber nur wegen einer günstigen Sondersituation in Österreich.
Das Land konnte damals seinen Strombedarf zu mehr als 100 Prozent selbst decken – hauptsächlich wegen der großen Donaukraftwerke, die eine Generation davor gebaut worden waren.
Der Anstieg des Stromverbauchs war auch nicht so stark wie die KKW-Befürworter damals vorhergesagt hatten.
Das war die Folge mehrerer Faktoren:
- Die Wachstumsraten sanken deutlich, technologisch verursachte Effizienzgewinne traten dazu ( – “teilweise Entkoppelung des Stromverbrauchs vom BIP”).
- Aus dem Ausfuhrland wurde ein Nettostromimporteur. Bis heute. Laut E-Control hat die Alpenrepublik 2016 7.155 GWh mehr importiert als sie ausgeführt hat.
Noch heute produziert Österreich seinen Stromverbrauch zu gut 90 Prozent im Inland (vor allem mit “grüner Wasserkraft” – der Anteil der schwer geförderten Windräder und PV-Anlagen steigt trotzdem, siehe hier).
Aus “kleinösterreichischer Warte” – der heutige Bundespräsdident, ein ehemaliger Grünpolitiker, sagt mittlerweile “Kleinstaaterei” dazu – ist es also tatsächlich zu keiner “Energielücke” gekommen, jedenfalls zu keiner für die hiesigen Verbraucher spürbaren.
Das würde sich aus einem anderen Blickwinkel und pro futuro freilich deutlich ändern – beispielsweise aus der Perspektive der Schweiz, Deutschlands oder der von vielen anderen EU-Staaten, die über nur wenig eigene Wasserkraft verfügen.
Bild: Anne Lund (SmilingSun-Shop) [GFDL], via Wikimedia Commons
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