Über Jahrzehnte wurde die (östliche) Alpenrepublik von einer Koalition zweier (ehemaliger) Großparteien regiert, die nach einem kitschigen Mythos erst anno nazimal zueinander gefunden haben (“Geist der Lagerstraße”) Tatsächlich ruhte die politische Ruhe an der Oberfläche auf zwei Säulen: der “Aufteilung der Ämter zwischen rot und schwarz”; und einer “Balançe der Kompromate“. Dieses Gleichgewicht des Schreckens gehörte seit 2017/18 der Vergangenheit an und ironischerweise war das erste politische Opfer ein sg. Rechtspopulist, dessen Partei gegen den “rot-schwarzen Proporz” angerannt war.
Die Rede ist natürlich von HC Strache, der sich im Sommer 2017 mit versteckter Kamera bei Äußerungen filmen ließ, die 1:1 aus jener Realpolitik stammen könnten, wie SPÖ und ÖVP sie über sechs oder sieben Jahrzehnte praktiziert haben.
Rückblickend scheint die “Wasserscheide” die Ablöse der traditionellen rot-schwarzen Koalition durch die schwarz-blaue Regierung 2018/19 gewesen zu sein.
Seither funktioniert das “Gleichgewicht des Schreckens” nicht mehr, das bis dahin auch jene Ausnahme-Zeiten überdauert hatte,
in denen Sozial- und Christdemokraten nicht koaliert hatten – die Alleinregierungen Klaus (V) und Kreisky (S) sowie eine kurzlebige Regierungs-Allianz von SPÖ mit einer liberalen Vor-Haider-FPÖ (Sinowatz-Steger).
Sogar während der ersten schwarz-blauen (bzw. blau-schwarzen) Koalition unter W. Schüssel zwischen 2000 und 2006 blieben die Türen der Giftschränke verschlossen.
Kompromate gab es schon damals im Überfluss – obwohl sie zum Teil ihre Sprengkraft bereits verloren hatten
(wer konnte oder wollte im neuen Millennium noch etwas mit dem Verbrechen eines mittlerweile vergessenen Spitzenpolitikers anfangen, der vor Jahrzehnten verstorben war?)
Natürlich gab es auch “Frischeres”, das “blieb aber auch unter der Tuchent”
- eben bis vor ca. einem Jahr und es stellt sich die Frage, ob das Bekanntwerden des Ibiza-Videos nur ein zeitlich zufälliges Zusammentreffen war..
Seither “dringt die schmutzige Realpolitik” der Zweiten Republik in die Öffentlichkeit, wobei die Journaille sich Mühe gibt, Vorgänge aus der Ära Kurz-Strache auf eine Weise darzustellen,
die dazu verleiten soll, “Postenschacher” nicht mit sieben Jahrzehnten rot-schwarzem Proporz, sondern mit eineinhalb Jahren “schwarz-blau” zu assoziieren.
Mittlerweile hat die Veröffentlichung von Kompromaten, die keine Verbrechen im engeren Sinn mehr sein müssen, auch die ÖVP erreicht, “eigentümlicherweise” aber nicht die Sozialdemokraten.
Der Eindruck, der sich daraus ergibt, ist mit dem eines gut exekutierten Taschenspielertricks vergleichar;
Ihm liegt freilich ein billiges Imitat von Rechtsstaatlichkeit zugrunde – nämlich selektive Justiz, wie sie manchmal “illiberalen Regimen von nebenan” angelastet wird.
Selektive Justiz – so wie selektiver Journalismus oder selektive Öffnung von politischen Giftschränken.
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