Panamapapers: Selektive Coverage liefert ein Zerrbild der Tatsachen

Das “größte Datenleck der Weltgeschichte” und die blauäugige Art, mit der “400 internationale Journalisten” mit diesem Material umgehen, werfen Fragen auf – umso mehr als die selektive Art ihrer Berichterstattung von Stunde zu Stunde deutlicher wird.  Während die Unterstellungen gegen z.B. russische und chinesische Politiker massiv sind, fallen die veröffentlichten “Vergehen” anderer schon auf den ersten Blick in sich zusammen. Beispiele für derlei Unschuldslämmer mit unvorteilhaftem Aussehen sind der saudische König Salman und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Ergänzung zu den zwei Poroschenko-Storys.

Der Guardian bringt die eklatante publizistische Doppelmoral des Panama Joint-ventures hier am besten auf den Punkt: Ein guter Teil des geleakten Materials werde vertraulich bleiben, schreibt die Zeitung, aber

es gibt zwingende Gründe, einen Teil der Daten zu publizieren. Die Dokumente enthüllen eine große Bandbreite bisher nicht wahrgenommener Aktivitäten.”

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Etwas weiter unten dann diese Passage (die Hervorhebungen stammen von mir):

Gibt es Transparenz, wenn einige Aktivitäten geheim bleiben und andere nicht? Und wer entscheidet darüber? Das sind große Fragen, die die Regierungen bisher nicht beantworten konnten.”

Die Pressefritzen und ihre Führungsoffiziere in den Geheimdiensten trauen sich diese Antwort offenbar zu.

Tote und grenzdemente Oasenbewohner

Am auffälligsten ist der Umstand, dass bei dieser Enthüllung praktisch keine Freunde des Westens vorkommen – und wenn, dann auf eine Art und Weise, die keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken würde. Die vielleicht einzige Ausnahme dazu ist der regierende isländische Premier – bei diesem ist aber ziemlich zweifelhaft, ob er in die obige Kategorie einzuordnen ist.

Alles andere fällt maximal unter

  • alt/grenzdement/tot und (oder)
  • “schlechte Optik, aber legal”.

Das gilt u.a. für:

Der neue argentinische Präsident Mauricio Macri scheint, der Vollständigkeit halber, als Direktor einer offshore-Firma auf – und die Enthüllung bereitet ihm ein paar politische – nicht aber rechtliche Schwierigkeiten, siehe z.B. hier.  

Zwei Poroschenko-Stories

Ein eigener Sonderfall ist der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Er ist ein besonders lieber Freund einer bestimmten Nomenklatura des Westens - und wird von deren handzahmen Schoßhündchen auch so behandelt.

Über Poroschenko und Panamaleaks ließe sich ein ganzes Buch schreiben.

Hier nur so viel: Poro taucht z.B. in der Berichterstattung der Süddeutschen als jemand auf, der – bereits als Präsident – eine Briefkastenfirma für seine eigenen geschäftlichen Belange einrichten ließ (obwohl er versprochen hatte, während seiner Amtszeit keiner geschäftlichen Tätigkeit nachzugehen).

Das mag für ihn ein politisches Problem sein. Aber: Es gibt unter den Panama-Dokumenten eine ältere, potenziell aber wesentlich brisantere Poro-Geschichte, über die derzeit der Mantel des Schweigens gebreitet wird.

Diese Story wird nirgendwo außer in Österreich berichtet. Und dort auch nur, weil vielfältiges Interesse daran besteht, eine (frühere) österreichische Bankverbindung Poroschenkos zu implizieren.

Die Story, die ich meine, findet sich hier. Es ist eine Story aus der Zeit, als sich das Kompradorenbürgertum, die Oligarchenelite der Ukraine herausgebildet hat. Diese Story vermittelt einen Eindruck davon, wie sich in den Wildostjahren zwischen 1990 und 2005 die Prozesse der Geldwäsche und der Kapitalbildung abgespielt haben könnten.

Erzählt wird folgende Geschichte: Eine offshore-Gesellschaft unbekannter wirtschaftlicher Eigentümer unterhält ein prall gefülltes Konto bei der Osteuropabank von Raiffeisen-Österreich, RBI. Dieses Konto dient als Sicherheit für Kredite in dreistelliger Millionenhöhe, die RBI an Unternehmen des Firmenimperiums Poroschenkos vergibt (die Bank beteuert heute, dass sie alle gesetzlichen Auflagen erfüllt hat).  

RBI ist in diesem Fall also als Kreditgeber bekannt geworden. Ausgeblendet bleibt aber der wirtschaftliche Eigentümer der Pfand gebenden Firma Linquist Services Ltd. – obwohl diese von eben jener Anwaltskanzlei gegründet wurde, wo die Hunderttausenden geleakten Daten herkommen.

Wie in unzähligen anderen Fällen auch, müsste hier klar sein, wer der wirtschaftliche Eigentümer der Firma ist, für die Mossack Fonseca die Strohmänner stellt.

Ist aber nicht der Fall.

Medien wurden Gassi geführt

Dieser Umstand scheint nicht einmal jenen österreichischen Journalisten aufgefallen zu sein, die sich als einzige der alten Poro-Geschichte angenommen haben (immerhin haben sie es getan. Die SZ zieht es vor, ausschließlich die andere Poro-Geschichte aus dem Jahr 2014 zu bringen).

Mehr als seltsam ist das alles.

Ich erlaube mir auf dieser – zugegeben begrenzten – Basis den Verdacht zu deponieren, dass hier investigative Schoßhündchen ausschließlich in jene Gebiete äußerln geführt wurden, in denen sie tätig werden sollten.

Storys wie die Falter-Veröffentlichung von Josef Redl sind eher ein Betriebsunfall. Es ist wenigstens zweifelhaft, ob unsere Pinscher in Kiew wirklich Geschäftchen machen sollen.

In Russland sollten die Hunde das auf jeden Fall tun, und sie haben es auch getan. Sie haben Spuren gefunden, die das private Umfeld Putins mit Briefkastenfirmen verbinden und daraus den Schluss gezogen, dass dieses Umfeld im Auftrag des russischen Präsidenten agiert und dabei Macht und Reichtum konzentriert hat.

Das ist nicht unbedingt absurd. Wenn z.B. die hier geschilderten Praktiken/Zugänge von Sandalwood Continental zu (russisch)staatlich garantiertem Kreditgeld einer Überprüfung standhalten, sind das Dinge, die streng nach einer speziellen Sorte von Korruption riechen, egal wer der echte Eigentümer/reale Verfügungsberechtigte über die Firmen ist.

Wenn. Wenn es sich nicht nur um Fabrikationen handelt, mit denen man auf die Schnelle ein paar Journalisten täuschen kann, aber nicht mehr.

Solange die Dokumente, die diese Lesart untermauern, nicht offengelegt und auf Herz und Nieren geprüft werden können, sind die mit ihnen verbundenen Behauptungen zweifelhaft.

Die einfache Übernahme der Umfeld-Lesart ohne Offenlegung der dieser zugrundeliegenden Dokumente ist bestenfalls Spekulation. Sie ähnelt einem Mordvorwurf gegen eine unbescholtene Person ohne das Vorlegen von Sachbeweisen.  

Wünschenswert wäre also

  • die Veröffentlichung des gesamten geleakten Datenbestandes (beispielsweise in einer Internet-Datenbank) sowie
  • eine qualifizierte öffentliche Auseinandersetzung über zentrale Dokumente; vor allem über jene, aus denen die weitreichendsten und politisch brisantesten Schlüsse gezogen werden.

Beides wird aus unterschiedlichen Gründen freilich nicht stattfinden.

Die Alternative, steht zu befürchten, ist der Informations-Weltkrieg.

Es wird ein Krieg, in dem sich Information und Desinformation bis zur Unkenntlichkeit vermischen. Und weil auch der Westen jede Menge Skelette im Schrank hat, wird auch dort die Wahrheit die fürchterlichste Waffe werden.

Ergänzung zu den zwei Poroschenko-Storys, 5.4. 16.30 Uhr:  Man bat mich um meine Einschätzung zu den zwei unterschiedlichen Poro-Geschichten im Falter und der Süddeutschen.

Wieso hat man die bejahrten Linquist-Files überhaupt “freigegeben”, wenn sie ein an und für sich protegiertes Freunderl gefährden und ein zentrales Finanzierungsmodell von ukrainischen (und russischen) Oligarchen zu verraten drohen, zumindest potenziell ?

Hängt davon ab.

So ist es durchaus möglich, dass mancherorts der Wunsch besteht, Poro loszuwerden bzw. ihn zu erpressen. Die Offenlegung der Finanzierungsquelle seiner Anfangsjahre wäre ein probates Mittel. Gelegenheiten dafür, Machtkämpfe zwischen den Alpha-Tieren in der Ukraine gibt es ja genug.

Ich denke allerdings, dass das momentan nicht die bevorzugte Option ist. Wenn sie das wäre, hätte gleich die Süddeutsche die Falter-Geschichte gebracht und die dubiosen Wurzeln des Poroschenko-Imperiums entblößt. Ein funding über bestimmte fremde Financiers würde dem Politiker Poro wenigstens genauso übel genommen werden wie die Geldwäsche, die seit der Falter-Story im Raum steht. 

Also hat man sich darauf verlassen, dass die Linquist-Sache (noch) gar nicht bemerkt wird. Mit Linquist ist unter P’s Präsidentensessel allerdings ein Sprengsatz angebracht worden, der jederzeit zur Explosion gebracht werden kann.

Unabhängiger Journalist

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