Pushing on a string – Österreichs Malaise bei den Investitionen

Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben gesprochen und nur wenig Hoffnung auf eine ernsthafte Belebung durch die Steuereform genannnte geplante Cashback-Akion gemacht. Im Zentrum des Problems liegt, wie schon seit Jahr und Tag, eine (mysteriöse?) Investitionsschwäche der privaten Unternehmen. Daran ändern auch Niedrigstzinsen und der Rückgang des Ölpreises nichts. Die Pferde wollen nicht saufen und die Wirtschaft will und will nicht investieren – jetzt schon das vierte Jahr. Deficit spending ist trotzdem keine Lösung. Neue Nachbemerkung zu den Gründen des Investionsboykotts.

2011, im zweiten – und bisher letzten – Jahr der Erholung nach dem Einbruch von 2009 sind die Investitionen zum letzten Mal nennenswert gestiegen. Seither haben die Unternehmer ihren Kinderglauben an die höhere Nachfrage verloren; ihren Glauben daran, dass nach der Krise alles wie vorher sein wird und es sich lohnt, neue Kapazitäten aufzubauen. Der Staat kann und darf nicht mehr über die Stränge schlagen (zumindest offen).

Folgend die Entwicklung der Bruttoanlageinvestitionen und ihrer beiden Hauptkomponenten. Der Vollständigkeit halber werden auch die Prognosewerte des Wifo mit angegeben (ab 2015) – die sind ja nicht unbedingt ernst zu nehmen.  Quelle ist ein Handout des Wifo, das bei der Präsentation der Sommerprognose am Donnerstag verteilt wurde.

Investitionswachstum in %
2011 2012 2013 2014 2015 2016
Bruttoanlage-I, real  +6,8  +0,5  -1,5  +0,4  +0,5  +1,5
Ausrüstungen  +9,8  -0,6  -1,5  +1,7  +0,5  +2,5
Bauten  +2,6  +1,2  -2,2  +0,1  +0,5  +1,0

Würde der Konjunkturzyklus so weitermachen wie vor der Krise, hätten sich nach 2011 noch ein, zwei Jahre mit hohen Bruttoninvestitionen anschließen müssen (“Hochkonjunktur”, “Motor brummt”)  – oder sie hätten sich wenigstens mit kurzer Verzögerung wieder einstellen müssen. Das hätte in Sachen Investitionen ähnlich ausschauen können wie in den beiden Jahren vor der Krise, als die realen Bruttoanlageinvestitionen 4,7 und 5,2 Prozent wuchsen (2006 und 2007)Damals beliefen sich die Leitzinsen der EZB aber zwischen 2,5 und vier Prozent und der Ölpreis galoppierte wie ein Araberhengst.

Heute wird der Ölpreis künstlich niedrig gehalten, so niedrig es geht ohne dass kurzfristig Knappheiten entstehen. Auch die europäischen Leitzinsen liegen bei faktisch null (0,25 Prozent  seit Ende 2013 und 0,05 Prozent seit Ende 2014).  Dazu kommt seit Frühjahr 2015 auch bei uns Quantitative Easing, die massive Ausdehnung der Geldbasis über ein EZB-Kaufprogramm für Staatsanleihen (de facto, real geht das indirekter vor sich). Begründet wird es mit der Halbwahrheit, dass man damit die Konjunktur ankurbeln wolle.

Was damit angekurbelt wird, sind freilich nur Gewinne und Eigenkapitalstöcke der noch immer moribunden Banken sowie die Verschuldung (Umschuldung) der Staaten mit Nullzinsen – wenn das die Wirtschaft ist, dann ok. Zahlen tun das letztlich die sparsame Oma Pschistranek und Versicherungsnmehmer Pollatschek, aus jenem Geld, das sie sich selbst abgeknausert haben. Die pompösen Ärsche gutgesinnter Staats- und Gewerkschaftsökonomen finden nichts dabei. Sie reden einfach nicht drüber.

Totes Pferd, betäubter Drache, dickes Monster

Nun befindet sich der heutige Ölpreis auf dem Niveau von 2005, die Zinsen liegen bei Null und die Zentralbank druckt Geld bis zum Abwinken – und trotzdem ist tote Hose. Das Pferd, das man Jahrzehntelang zuschanden geritten hat, regt sich nicht mehr.

Die alten Indianer empfahlen in diesem Fall, vom toten Pferd abzusteigen – aber das ist nicht die Vorgangsweise, die unsere langjährigen Pferdetrainer, die Keynesianer, sehen möchten. Sie sagen, dass das Pferd ja gar nicht tot sei und dass man ihm nur richtig die Sporen geben müsse, durch eine expansive Ausgabenpolitik.

Werner Beinhart & seine Kapelle glauben das auf’s Wort. Nichts anderes wurde ihnen in den vergangenen 50 Jahren vorgebetet, Abend für Abend: “Aus der Krise hinausinvestieren”, lautet die neue, alte Devise (und auch etlicher anderer, die mehr Grips haben).

Obwohl sie Bundeskanzler o.ä. sind, können Werner & Co. das aber nicht einfach machen.  Das liegt ihrer Meinung nach an der Verbohrtheit von Zentralbankern, bürgerlichen Koalitionspartnern und akademischen Austeritätsfetischisten, die partout nicht akzeptieren wollen, dass der Konsumentenpreisinflationsdrache in den 1990er-Jahren das Zeitliche gesegnet hat und dass man heute gefahr- und konsequenzlos tun könne, wofür man früher einen Preis hatte zahlen müssen, den Preis der Geldentwertung.

“Die Inflation ist tot !”, rufen die Paläokeynesianer und die Zentralbanker schweigen und denken sich ihren Teil. Warum sollten sie auch einer Feststellung, die von der Öffentlichkeit als Lob & Preis für ihre segensreiche Tätigkeit aufgefasst werden muss, widersprechen !

Natürlich wissen die Zentralbanker, dass dabei ihr Verdienst und das ihrer Spießgesellen in den Investmentbanken begrenzt und vorübergehend war und dass dieser “Beitrag” nicht nachhaltig, über einen längeren Zeitraum hinaus aufrechterhalten werden kann. Sie wissen, dass der Konsumentenpreisdrache nur eingeschläfert ist und dass ein Dutzend Aktionen und Entwicklungen dazu beigetragen hat – von Derivativen zur Industrialisierung Chinas.

Die Zentralbanker wissen, wovon die Palaökeynesianer (offiziell) nichts wissen wollen: dass der wirkungsvollste Betäubungspfeil die (antizipierte) Eindämmung der öffentlichen Defizite war und dass die Bestie wieder aufwachen wird, sobald die Erhöhung der Staatsausgaben durch Kreditaufnahme wieder fesch wird.

Darüber hinaus, wissen unsere Frankenstein-Zentralbanker, gibt es ein weiteres schlafendes, trotzdem immer fetter werdendes Monster – das einer selektiven Asset-Inflation. Es kann nur durch die laufende Zufuhr von frischem Basisgeld ruhig gehalten werden. Ist der Tropf einmal verstopft, wird das dicke Monster aufwachen und alles kurz und klein schlagen.

Dieses Monster haben die Zentralbanker gebaut und ernährt und für dieses tragen sie auch die Verantwortung. Aber sie lieben es wie man auch ein behindertes Kind liebt. Für dieses Monster nehmen sie gern künftige Finanzrisiken und heutige Deflation in Kauf.

Metamorphosen des deficit spending

Die Paläokeynesianer hätten im Prinzip nichts dagegen, die höheren Staatsausgaben durch höhere Steuern zu finanzieren, aber sie hegen den (berechtigten) Verdacht, dass das die allgemeine Verstimmung noch vergrößern und die Ausgabefreudigkeit noch mehr dämpfen würde. Die Steuerlast für produktive Normalverdiener ist schon jetzt blanker Wahnsinn, so hoch ist sie. Also besser Staatsausgaben auf Pump. Auf jeden Fall glauben sie ein Rezept gegen eine Situation zu haben, in der (ohne gewünschtes Resultat) versucht wird, unwillige Unternehmer mit billigem Kredit vollzustopfen (“pushing on a string”).

Wenn/sobald Werner, François und Pablo ihren Willen bekommen, werden sie kurzfristig recht behalten und das kann auch gar nicht anders sein. Wenn mehr Kredit eingesetzt wird, wächst das BIP per definitionem. Das heißt freilich nicht, dass die Bevölkerung – vom Unternehmer bis zum Hackler – etwas von diesem Wachstum hat. Es ist ein Wachstum, wie es durch Aufreißen und Wiederzugraben von Erdlöchern auch erzielt werden kann.

Von einem solchen Wachstum haben vor allem Politiker wie Werner, François und Pablo etwas. Wenn später die Rechnung dafür ins Haus flattert, werden sie gespielt überrascht stottern: “Aber, aber…. wir dachten, der Drache sei tot !”

Aber wahrscheinlich sind sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr im Amt und es werden ihre Nachfolger sein, die sich um eine noch effizientere Massage der Inflationszahlen in den Statistikämtern kümmern müssen. Hauptsach’ die Austerität ist tot – dieses symbolhafte Untier hat schon viel zu lang sein Unwesen getrieben.

Hier soll wieder einmal funktionieren, was schon seit der Erfindung des politischen Keynesianismus nicht funktioniert hat – nämlich über Staatsausgaben die Wirtschaft zu kickstarten und dann über den Rest des Zyklus die entstandenen Kosten wieder hereinzubringen. Das ist der nie in der wirklichen Welt beobachtete Gründungsmythos des Keynesianismus. Und es ist der geheime Plot, der der Scharade vom strukturellen Defizit zugrundeliegt.

Wer sich die Herleitung des strukturellen Defizits aus der Differenz zwischen hypothetischem Potenzialoutput und tatsächlicher Produktion zu Gemüte führt, begreift sofort: Das strukturelle Defizit soll den Endsieg der Budgettechniker, Schönrechner und Zahlentrickser bringen. 

Die Inhaltsangabe des Stücks, die in allen Programmheften steht, sieht auf den ersten Blick maastrichtkonform aus – und ziemlich langweilig. Der  offizielle Plot besteht aus dem Oszillieren des strukturellen Defizits um den Nullpunkt (+/- 1 Prozent). Das ist natürlich nicht, was tatsächlich passieren, sondern nur wie es ausschauen soll. Dieser Plot ist für die ganz dummen Journos und ihre Leser sowie die Verfassungsrichter gedacht.

Dann gibt es, zweitens, den inoffiziellen Plot, über den jeder Politiker und Journalist, der sich damit befasst hat, Bescheid weiß und der ganz anders aussieht als das, was im im Programmheft steht.  Er wird durch umfangreiche Neudefinitionen ermöglicht, beispielsweise durch das Hinausdefinieren von  Einmaleffekten ( z.B. Ausgaben für kaputte Banken) und “keynesianischen” Staatsausgaben/Einnahmenverzichten in der Abschwungphase.Die letzteren Posten eistieren zwar wirklich, brauchen aber nicht am Papier des Budgetentwurfs erscheinen, denn sie sind nach dem originalen Geist von Maastricht nicht erlaubt. Es wird wie das Völlern mit erlesenen Fischen und geilen Süßspeisen am Karfreitag. Immerhin wird nichts gegessen, was als Fleisch bezeichnet werden muss.

Dieser immaterielle, zweite  Plot ist für die etwas weniger dummen Betrachter, die aber noch naiv genug sind zu glauben, dass die Defizite temporär sind oder sogar, dass die 60 Prozent übersteigenden Staatsschulden tatsächlich abgebaut werden (“Schuldenbremse”). Diese Gruppe ist etwas realistischer als die erste, leidet aber immer noch an erheblichen Störungen der Wirklichkeitswahrnehmung. Sie glaubt, dass der Gründungsmythos des politischen Keynesianismus, das claw-back der Schattenausgaben nach der Krise wirklich funktionieren wird, zu guter Letzt.

Und dann gibt es die dritte Gruppe. Die weiß, was tatsächlich vor sich gehen wird, zum Teil deshalb, weil sie den echten Plot mit konzipiert hat. Real geht es ihr um die Etablierung eines Ausgabenregimes mit open end, was zunächst nur mit weiteren Neudefinitionen sowie massiven Statistikfälschungen zu erreichen ist. Etwas später, hoffen diese Leute, werden die Ausflüchte nicht mehr notwendig sein. Dann wird das Volk gemerkt haben, dass Investitionen auf Pump keine Geldentwertung verursachen und dass die monatlichen staatlichen Veröffentlichungen zum Konsumentenpreisindex die Wahrheit sind, nichts als die reine Wahrheit.

Nachbemerkung, 20.6.2015: Ich habe, was die wenigsten überraschen wird, schon einen Verdacht, was die “mysteriöse” Investitionsschwäche der Wirtschaft betrifft. Der Verdacht stammt aus der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und der dort entwickelten Theorie des business cycle. Dabei werden die periodisch auftretenden Krisen als Folge von Fehlinvestments (mit Krediteinsatz) gesehen.

Die Fehlinvestments sind in letzter Konsequenz unvermeidlich, weil niemand hellsehen kann, sie werden aber durch die Verzerrung von Marktsignalen, an denen sich die investierenden Unternehmer orientieren, wesentlich verschärft und beschleunigt. Die Krisen sind Bereinigungskrisen, in denen schlechte Investitionen und überzählige Kapazitäten vernichtet werden. Das hat man 2008/09 – aus verständlichen sozial- und wirtschaftspolitischen Motiven – unterbunden. Und jetzt haben wir noch immer den Salat, eigentlich denselben alten wie bei Ausbruch der Krise 2007/08. Jede Verzögerung der Bereinigung durch geld- und wirtschaftspolitische Maßnahmen macht die Sache nur schlimmer, sagen die “Österreicher”.

Es gibt einen weiteren, davon unabhängigen, energiesystemischen Grund für die Wachstumsschwäche der Industrieländer. Es ist der säkuläre Fall des EROEI. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Unabhängiger Journalist

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