Sinkende Zinsjungfrau: Kapitel 06B

 

Zentralbanker bei der Arbeit
Zentralbanker bei der Arbeit

Dieser Abschnitt beschreibt die zwei bisherigen Phasen der Eurokrise.  Der Ende 2011 einsetzende Rückgang in der Verzinsung von Problemstaats-Anleihen wird mit dem Zaubertrick mit der schwebenden Jungfrau verglichen – mit dem Unterschied, dass keine natürlichen Personen, sondern Finanzwerte mysteriös in der Luft schweben. Seit dem Wendepunkt wurden die (alten) Anleihen immer mehr wert – während die Renditen gleichzeitig unaufhaltsam sinken. Heute, zwei Jahre danach, haben sie bereits 60 Prozent ihrer ursprünglichen Höhe eingebüßt.

Gleichzeitig haben sich die sogenannten Spreads zu den deutschen Anleihen stark verringert (ohne schon ganz die Zeit vor der Krise erreicht zu haben). Die deutschen Bunds, die seit 2011 ebenfalls ein wenig zugelegt haben, bieten einen Maßstab, an dem sich die restlichen Bonds gut messen lassen.

Die Banken führen die Erholung auf die verbalen Interventionen der EZB sowie auf ein Wiedererstarken der Vertrauens in die Währung sowie in die Staatsanleihen der Problemländer zurück – also auf eine organische, marktgetriebene  Entwicklung, auf eine von der EZB “getriggerte” Normalisierung der Lage. Das ist nicht unbedingt plausibel – unter anderem wegen des zeitlichen Musters des Zinsrückgangs.

Auch die öffentlich bekannten Aktionen der EZB bieten keine alternative Erklärung an. Die Zentralbank hat in den fraglichen zwei Jahren weder Staatsanleihen angekauft noch andere unkonventionelle Maßnahmen gesetzt. Die einzigen – öffentlich erkennbaren – auffälligen Aktionen waren zwei massive Geldspritzen für die Kommerzbanken, LTROs genannt. Diese führten aber zu einer nur vorübergehenden Ausweitung der Basisgeldmenge, die seither aber fast wieder zur Gänze aufgesogen worden ist.

Die Kreditvergabe an die Realwirtschaft wurde durch die beiden “dicken Berthas” (Draghi) jedenfalls nicht stimuliert. Seit fast zwei Jahren herrschen in der Eurozone Kreditklemme und Deflation.

Ohne dass dies wirklich bewiesen werden könnte, sind auch in Europa moderne Finanzinstrumente zur Zinskontrolle eingesetzt worden, sagt der kanadische Analyst Rob Kirby, der einzige einer größeren Öffentlichkeit bekannte Experte für solche arkanen Wertpapiere.

Wenn es aber stimmt, dass die Zentralbank(en) die Zinsen tatsächlich kontrollieren können, scheint es wahrscheinlich, dass die Turbulenzen von beginn weg unter politischen Vorzeichen gestanden sind. In der heißen Phase, im November 2011, übernahm nicht nur ein neuer Notenbankchef das Ruder. Es ergab sich auch eine gute Gelegenheit, unzuverlässiges politisches Personal auszutauschen – etwa Silvio Berlusconi (Italien) und Andreas Papandreou (Griechenland).

Erst nachdem das geschehen war, durften bzw. mussten die Zinsen wieder sinken. Nur das konnte sowohl die Staatsfinanzierung als auch die Banken in Südeuropa – und vielleicht sogar den Euro selbst – vor dem Untergang bewahren.

In der zweiten Phase wurden die Zinsen schließlich auf das heutige Niveau zurückgeführt. Dies geschah in unmerklichen, kleinen Schritten. Obwohl das für das freie Auge kaum wahrnehmbar war, hat es in Summe zu einer jahrelangen Zinsbaisse geführt, die sich in ihrer Dimension nur mit jener vor dem Start der europäischen Gemeinschaftswährung vergleichen lässt.

Schon mit der offiziellen und öffentlich erkennbaren EZB-Politik ist seit 2008 eine Ära permanenter Nullzinsen eingleitet worden. Nun lassen die ZBs auch jene der Staatsanleihen ihren eigenen “Eckzinsen” folgen. Der Endpunkt ist erreicht, sobald jeder, der kreditwürdig ist ist, kostenlos Fremdkapital bekommt. Das bedeutet im Umkehrschluss freilich, dass die jedes Gebrauchsnutzens baren Finanzanlagen allen Wert verlieren.

Derivativexperte Kirby: “In einem Fiat-Geldsystem muss die Menge des im Umlauf befindlichen Gelds ständig gesteigert werden. Am Anfang ist die Steigerung (des Basisgelds, Anm.) noch sehr flach – bis man an einen Wendepunkt, kommt, an dem der Mengenzuwachs senkrecht in die Höhe schnellt. Wir sind in diese Phase bereits eingetreten. Das Einzige, was die monetären Eliten tun können um die Entwicklung zu verzögern, ist, die Zinsen auf Null zu senken.”

Foto: Ewan Shiels (Collection Ewan Shiels) Wikipedia Creative Commons 3.0

Unabhängiger Journalist

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