Stricken am Habsburg-Mythos 2.0

Vor etwa 60 Jahren ist ein Sachbuch eines Triestiner Germanisten erschienen, das bald so einflussreich geworden ist, dass es selbst das Studium dieses mittlerweile über 60-jährigen Bloggers überschattet hat. Es heißt “Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur” und interpretiert das Schrifttum des Habsburgerreichs (eigentlich: der -reiche) seit dem Ende des 18. Jahrhunderts neu. Viel Tinte ist darüber vergossen worden und dieser Eintrag soll NICHT an dieser Übung teilnehmen (schließlich soll die Charakterisierung dieses Blogs als “semiaktuell” nicht überstrapaziert werden). Aktueller ist freilich die Sachlage, wenn ein (weiblicher) ORF-Journo einen (männlichen) ORF-Journo in dessen Italien-Urlaub interviewt, wobei der Anschein erweckt wird, dass Italien noch heute Bestandteil der österreichischen Identität sei. Aber vielleicht ging’s ja nur um eine “unauffällige” Promotion des jüngsten Buchs des Interviewten.

Nun könnte man den Sukkus dieses Interviews durchaus als eine Art republikanisch-industriegesellschaftlichen Italien-Mythos interpretieren, oder – in der Magris- Nachfolge – als “habsburgischer Mythos 2.0″

- wobei um Himmelswillen nicht der Eindruck entstehen soll, dass G. Heidegger mit J.N. Nestroy sowie die “Kontext”-Redaktion mit R. Musil gleich zu setzen sei.    :mrgreen:

Dieser Blogger mag darüber hinaus insofern die “falsche Person” sein, als er es mit Mythen & Interpretationen schon während seines Studiums nicht so sehr hatte.

Dafür kann er in Fakten machen, F. wie “historische Fakten”.

Auf dieser Basis sieht’s mit der vom ORF so gehypten Österreich-Italien-Connection eher mau aus.

Um in Sachen Historie sozusagen “hinten zu beginnen”

soll mit dem heute vielleicht bedeutsamsten Faktor angefangen werden,

der Teilung Tirols bzw. der Zuteilung von dessen südlichem Teil zu Italien, nach 1918.

Danach, d.h. vorher, folgt das “Küstenland” auch der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie ab 1867, das – mit einer größeren Ausnahme – auch nicht gerade durch rasende Italianitá besticht.

Die größere Ausnahme ist die reichsunmittelbare Stadt Triest, ein altes habsburgisches Lehen.

Der Rest ist eher slawisch oder kärnten-deutsch.

Danach – also wieder davor – folgen die drei bis fünf Jahrzehnte Lombardo-Venetien zwischen Wiener Kongress und der nationalstaatlichen Einigung Italiens.

Hier kann man tatsächlich davon sprechen, dass

  • der ganze Osten Norditaliens zum Kaiserreich Österreich gehörte und
  • die italienische Staatsbildung gegen ebendieses mit militärischen Mitteln erfochten wurde.

Nur

  • währte diese Periode nicht allzu lange,
  • weil sie Teilstück einer vergänglichen post-napoleonischen “neuen Weltordnung” war und
  • drittens hatte sie eher wenig mit “traditionellen habsburgischen Lehen” zu tun, und auch nicht allzuviel mit den (heute) italienischen Gebieten des Heilig-Römischen Reichs.

Davor wird die Story sowieso total unübersichtlich und

hat in jedem Fall mehr mit Reichs- oder dynastischer Politik bzw. mit der Konkurrenz frühneuzeitlicher Könige bzw.Territorialherren zu tun.

Jedenfalls nicht mit “Austria”.

Und jetzt frag’ ich mich:

Wenn schon die Verbindung von Jesolo, Caorle & Grado zu “Österreich egal welchen Zuschnitts” (historisch) derartig fragil ausfällt,

welche sachdienlichen Zusatzinformationen können von einem Ligurien-Urlauber kommen, das doch auf der anderen Seite des italienischen Stiefels liegt?

Unabhängiger Journalist

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