Ungarn: Was die “Schlappe” Viktor Orbáns wirklich bedeutet

Der ungarische Regierungschef ist mit seinem Projekt, “vom Wähler” einen Bruch des Lissaboner Knebelvertrags erzwingen zu lassen gescheitert. Stattdessen hat das Elektorat Viktor Orbán per Wahlenthaltung eher das Misstrauen ausgesprochen. Die geringe Wahlbeteiligung zeigt, dass das Referendum nicht als Fanal für eine nationale Befreiung verstanden wurde.

Lausige 40 Prozent Partizipationsrate deuten auch darauf hin, dass von Regierungsseite kein Wahlkampf mit der verbreiteten Angst vor den Migranten geführt wurde – und eben auch, dass Fidesz-KDNP nicht abgenommen wurde, dass es um die Selbstbehauptung gegen Brüssel gehe.

Ein substanzieller Teil des Elektorats scheint eher geglaubt zu haben, dass es um eine Bestätigung der Regierung geht und hat dazu nein gesagt.

Sieht man sich die Empfehlungen für die Abstimmng an, kann man sagen, dass nur Fidesz und die oppositionelle radikalnationalistische Jobbik ein Nein zu den EU-Quoten empfohlen haben. Die Opposition rund um die Sozialdemokraten trat für einen Boykott des Referendums ein.

Siehe dazu den Überblick hier, bei Wikipedia.

Das war auch der ausschlaggebende Grund für die schlechte Referendumsbeteiligung von nur 40 Prozent.

In der Regel lautete das Match Fidesz-KDNP plus Jobbik (“Nein”) gegen die Opposition minus Jobbik (Boykott).

Es gab nur nur eine bemerkenswerte Ausnahme dazu – die Ungarische Liberale Partei MLP. Das ist eine kürzlich gegründete “proeuropäische” Miniaturfraktion, die in Brüssel und Strassburg der ALDE angehört.

Die MLP war die einzige Gruppierung, die aktiv für das bestehende EU-Flüchtlingsquotensystem warb und die daher folgerichtig für die Teilnahme am Referendum und für ein “Ja” eintrat. Mit dieser Position wurde sie am Sonntag praktisch pulverisiert (1,7% der gültigen Stimmen).

Sieht man von den wenigen MLP-Wählern und ein paar Spaßguerilleros ab, haben alle, die sich am Referendum beteiligt haben, mit Nein gestimmt – wie es Fidesz und Jobbik empfohlen haben. Die Wahlbeteiligung von 40 Prozent entspricht auch ungefähr dem Anteil an den Wahlberechtigten, den Fidesz-KDNP und Jobbik bei den Parlamentswahlen am 6. April 2014 erreichten (65 Prozent der abgegebenen Stimmen).

Rein arithmetisch.

Man kann also rein arithmetisch sagen, dass die Rechte (Jobbik/Fidesz) gegen die Linke (Sozialdemokraten/Bündnispartner) abgestimmt hat und politisch, dass es Orban nicht gelungen ist, die Ungarn quer über das Parteienspetrum hinter sich zu versammeln (was immer das Motiv für diesen Versuch gewesen sein mag).

Ein super-korrektes Referendum

Nur – was war der wirkliche Beweggrund für das Referendum des Premierministers? War er innenpolitisch (wofür ein willkürliches und ungerechtfertigtes Schüren von Ängsten sehr wohl geeignet gewesen wäre)?

Oder war es sein Versuch, sich den Rücken vom Wahlvolk stärken zu lassen, also ein “populäres Mandat” zu holen um stärker gegen Brüssel und das europäistische Kartell auftreten zu können?

Die aus westlichen Staaten entsandten, “proeuropäischen”, “liberalen” Medien behaupten mehrheitlich Ersteres: Orbán habe gegen Ausländer gehetzt, um (innen)politisch zu profitieren.

Ich glaube das nicht, weil sich bei dem, was aus Österreich zu beobachten war, kaum ein Hinweis darauf findet.

Gräuelpropaganda gab es sowieso keine. Auch ein willkürliches Schüren von Ängsten scheint in der Regierungs-Kampagne nicht vorhanden gewesen zu sein – siehe z.B. die Plakataktion vom Juli/August, über die dieser Blog berichtet´. Sämtliche Slogans, die hier gezeigt werden, wurzeln mehr oder weniger direkt in Fakten. Auf grafische Elemente, die als hetzerisch empfunden werden könnten, wird überhaupt verzichtet.

Auch die Fragestellung des Referendums war akkurat, “korrekter” jedenfalls als die beim schottischen Unabhängigkeitsvotum vom September 2014.

Sie lautete:

Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?”

Genau darum geht’s beim Streit der Višegradstaaten mit dem europäistischen Kartell, nicht um die Flüchtlings-/Migrationspolitik per se.

Die ungarische Regierung war in ihrer Fragestellung sogar so korrekt, dass sie sich selbst in eine werbetechnisch ungünstige Position manövriert und ein Nein empfohlen hat.

Derlei wäre der schottischen Regierung bei dem von ihr initiierten Unabhängigkeitsreferendum nicht eingefallen. Bei der Abstimmung mussten die Gegner der schottischen Unabhängigkeit mit Nein stimmen (die schottischen Nationalisten haben trotzdem deutlich verloren).

Wenn etwas an der Fragestellung in Ungarn zu bemängeln ist, ist es der Umstand, dass man die Abstimmenden eigentlich informieren hätte müssen, dass die EU-Mitgliedsstaaten 2009 die Entscheidungen über Asyl an den EU-Ministerrat delegiert haben und dass die heutige Regierungspartei Fidesz im ungarischen Parlament für den Vertrag von Lissabon gestimmt hat.

Aber das hätte vielleicht nicht auf den Stimmzettel gepasst.   ;-)

Resümee

Viktor Orbán wollte mit dem Referendum einen Schulterschluss des ungarischen Wahlvolks erzeugen, der ihn gegenüber Brüssel gestärkt, ihn im besten Fall sogar “genötigt” hätte, gegen die EU-Asylquoten vorzugehen.

Das ist ihm aus innenpolitischen Gründen nicht gelungen. Die (liberalen, linken) Ungarn sahen in der Abstimmung nicht den Versuch, politische Kraft für die Auseinandersetzung mit dem EU-Kartell zu tanken, sondern primär den Wunsch des Regierungschefs innenpolitisch zu punkten.

Orbán wird aller Voraussicht nach trotzdem weitermachen, denn er verfügt noch immer beinahe über eine Verfassungsmehrheit und könnte in Fragen wie dieser wohl damit rechnen, dass ihm Jobbik aushilft. Ungültig ist wurscht und heißt nur, dass Orbán nicht behaupten kann, der ungarische Wähler habe irgendwas erzwungen.

Orbán wird weitermachen, wenn er von seinen Parteifreunden in der European People’s Party nicht umgedreht wird.

Die große Frage ist halt, ob die Kraft der ungarischen Rechten ausreicht, dass Budapest einen solch “nationalistischen” Kurs durchziehen kann.

Die Ungarn, die Tschechen, die Slowaken und die Polen brauchen nämlich ungeheurer viel Kraft, wenn sie diese Auseinandersetzung gewinnen wollen.

Es geht gar nicht um ein paar tausend Flüchtlinge.

Die Višegradstaaten sind gegen den Vertrag von Lissabon und das allmächtige EU-Kartell angetreten, das drei Viertel aller Regierungskanzleien und neun Zehntel aller Redaktionen in den europäischen Staaten beherrscht.

Sowie gegen die eigene Vergangenheit, in der sie den den europäischen Völkern aufoktroyierten Vertrag von Lissabon in ihren Parlamenten ratifiziert haben.

Edit, 7. Absatz von unten: Die Fidsz verfügt nach einer Nachwahl 2015 allein über keine Verfasungsmehrheit mehr und wäre bei eventuellen Verfassungsänderungen definitiv auf Jobbik angewiesen.

Unabhängiger Journalist

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