Die gemeindeeigene “Wien Energie” befindet sich mit ihren Derivatgeschäften tief unter Wasser und will sechs bis 10 Mrd. Euro Hilfe von der Republik Österreich. Die – gar nicht so subtile – im Raum stehende Drohung ist ein Lieferausfall für zwei Millionen Haushalts- und kommerzielle Stromkunden im Großraum Wien. Dieser Blogger ist weder Spezialist für Futures-Märkte, noch war er jemals “Finanzer” in einem großen Unternehmen. Dennoch verfügt er – u.a. aus einer früheren beruflichen Tätigkeit – über gewisse Basiskenntnisse und erlaubt es sich daher, sich einen (oder zwei) Reim(e) auf die Causa zu machen.
Grundsätzlich könnte es sich um eine Zockerei nicht (kaum) rechenschaftspflichtiger subalterner Angestellter handeln, verbunden mit dem Versuch des Managements bzw. der “Wiener Politik”, dem Bund ein paar Milliarden aus den Rippen zu leiern.
Es könnte aber auch sein, dass bisher routinemäßig, z.B. für jedes Finanzjahr abgeschlossene Absicherungsgeschäfte einen jetzt schlagend werdenden, tatsächlich nicht vorhersehbaren riesigen Finanzbedarf (“Sicherheitskaution”) erzeugt haben
(wie das Unternehmen bisher beteuert hat).
Drittens und wohl am Wichtigsten: Unabhängig von der sozusagen tagesaktuellen Frage nach konkreten manageriellen und politischen “persönlichen Verantwortlichkeiten” geht es im Großen Bild darum,
- was die Gründe für das explosionsartige Anwachsen und die Volatilität des Strompreises seit 2021 sind und
- wie es mit diesem weiter geht (möglicher weiterer steiler Anstieg versus Rückgang auf ein vielleicht erhöhtes, letztlich aber tragbares Niveau).
Hedge oder Zock?
Ob dem zuletzt eskalierenden Finanzbedarf der Wien Energie womöglich kriminelle oder leichtfertige, womöglich “von oben gedeckte” Spekulationsgeschäfte zugrunde lagen und wie viel von den jetzt (absehbaren) margin calls tatsächlich verlustwirksam wird, ist auf Basis des bisher “sicher Bekannten” nicht zu beantworten (das Unternehmen dementiert “Zockerei”).
Mit dieser Frage wird sich mit großer zeitlicher Verzögerung, aber auf einer viel umfassenderen Informationsbasis wohl ein Richter auseinander setzen müssen (generisches Maskulinum), vielleicht auch mehrere.
Um die Frage Hedge oder Zock vorläufig beurteilen zu können,
- müsste man die Geschäfte kennen, aus denen die “Nachschussverpflichtungen” des Unternehmens erwachsen,
- speziell wann und bei welchem akuellen Kurs sie abgeschlossen wurden und
- ob sie ggf. in einer Zeitreihe mit den Vorjahren stehen und z.B. im Herbst bei der Budgetplanung für das kommende Jahr abgeschlossen wurden. In einem solchen Fall könnte es durchaus sein, dass z.B. der damalige Spotpreis 150 oder 200 Euro pro MWh betrug, der unglückselige Finanzer mit einem Rückgang auf das langjährige Niveau von 35 bis 50 Euro rechnete und z.B. einen Kontrakt über einen Verkauf für 100 Euro abschloss. Das hätte bei einem tatsächlichen Rückgang auf das “historische Niveau” den Preis tatsächlich mehr als abgesichert (und sogar einen netten Profit erbracht). Mit einem weiteren rasanten Anstieg auf 500 bis 700 Euro pro MWh hat der Finanzer-Budgetplaner damals wirklich nicht rechnen können.
Die Stadt Wien hat diese Details aber bisher nicht herausgerückt (nicht einmal “geleakt”) und das mag “unternehmensstrategische Gründe” haben. Ein besonders “vertrauensförderndes Verhalten” ist das aber nicht.
Wien verlangt nun einen bundesweiten “Schutzschirm” mit einer Garantiesumme von zusammen (wenigstens) 10 Milliarden, im Wissen um oder im Vertrauen darauf,
dass auch Energieversorger in anderen Bundesländern “Dreck am Stecken” haben und Hilfe vom Bund benötigen. Das brächte wenigstens die (“freudigere”) Kooperation der schwarz-türkisen Regierungspartei im Bund und womöglich deren Verzicht, “propagandistisch in den Wunden der ‘Wiener Roten’ zu wühlen”.
Dem “Michael” mag die Sache peinlich sein, aber wie gesagt: “non olet”, ein paar Milliarden bekommen oder nicht, macht schon einen großen Unterschied.
Die Frage, wie teuer Strom-(und natürlich auch Gas) ist/wird, ist natürlich von enormer Tragweite und geht weit über österreichische Innen- oder gar Wiener Kommunalpolitik hinaus. Letztlich entscheiden sich mit ihr Hunderttausende, ja Millionen Existenzen.
Verzehnfachung des Strompreises binnen einem Jahr
Zweifellos hängt speziell die “Volatilität” der Spotpreise
- stark vom “Stand der Sanktionen” und dem (empfundenen) Kriegsverlauf in der Ukraine ab
- und auch “die Spekulation” spielt eine große Rolle.
Aber, wie gesagt: der Spotpreis (auch) für Strom hat sich binnen kurzer Zeit von 35 bis 50 Euro pro MWh auf heute über 500 mehr als als verzehnfacht
- und dahinter steckt wohl viel mehr als der Ukraine-Krieg (dessen “Ausbruch im Februar” übrigens nicht der Beginn von Preisauftrieb & Volatilität war).
Unterbrechungsfreier Strom ohne ausreichend grundlastfähige, nicht-intermittente Energieträger wie Gas geht einfach nicht.
Für die meisten Westeuropäer ist es aktuell “Putin”, der die Lieferung dieser Energieträger aus einem politischen Kalkül heraus verunmöglicht
- eine Minderheit macht dagegen “Selbstmord-Sanktionen des Westens” für die Situation verantwortlich.
Für Letzteres spricht mehr als für Ersteres.
In letzter Konsequenz, glaube ich aber, können die Russen nur mehr bedingt Erdgas liefern und bräuchten keinen Krieg, sondern (echte) Hilfe bei Exploration und neuer Förderung bzw. bei der “Restlverwertung” vulgo Redevelopment.
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