Wien Energie – Rückschlüsse und Fragen auf Basis der Bilanz 2021

Zuerst möchte ich festhalten, dass ich weder Insider noch Branchenexperte bin. Ich verstehe vielleicht mehr als der Durchschnittsbürger vom Derivat- bzw. vom Energiemarkt und auch mein Verständnis von Bilanz liegt leicht über dem Durchschnitt. Ich bin auf Grund der Betragshöhen in dieser Causa einfach stutzig geworden und habe mir die Sache näher angeschaut. Alle hier verwendeten Daten sind frei, öffentlich zugänglich. Warum haben die Journalisten diese bisher nicht verwendet??? Traurig. Von Gastautor Freundschaft.

Ich werde einige Thesen aufstellen. Diese können natürlich falsch sein und man kann die Fakten auch anders bewerten. Das ist klarerweise zulässig. Da mich abweichende Meinungen interessieren und ich davon lernen kann, freue ich mich auf kritische, fundierte Kommentare. Diese bitte an a.mostfee@gmx.at richten.

Grundsätzliche Zahlen zur Wien Energie

Kennzahlen Wien Energie
2020 2021
Stromerzeugung (GWh) 6850 6281
Stromabsatz (GWh) 9453 10051

Die Zahlen sind der APA/ORF-Graphik in dieser Geschichte entnommen.

Meine Definition für Spekulation bei Wien Energie

Aus diesen Daten ist klar erkennbar, dass die Wien Energie mehr Strom an ihre Kunden verkauft, als sie selbst produziert. Somit ist der Stromzukauf eine Notwendigkeit. Der Kauf an der Börse ist prinzipiell notwendig und eine Absicherung.

Der Verkauf von Strom über die Börse ist prinzipiell als Spekulation einzuordnen. Daraus folgt folgende einfache Regel:

a) Käufe sind prinzipiell eine ABSICHERUNG.
b) kurzlaufende Verkäufe bis max. 6 Monate (ohne Überrollen) betrachte ich als NEUTRAL.
c) Verkäufe über 6 Monate sind in diesem Geschäftsmodell als SPEKULATION einzustufen.

Manche Kommentatoren sehen die Situation folgendermaßen:

“Strom auf Termin zu verkaufen ist eine Absicherung, da man den Strom ja sowieso produziert.”

Diese Einschätzung ist meiner Meinung nach falsch. Warum? Man produziert weniger, als die 2 Mio. Vertragskunden benötigen. Wenn man theoretisch über die Börse verkauft, muss man entweder mehr von Dritten zukaufen, oder man beliefert seine 2 Mio. Kunden nicht.

Also Spekulation, da man über das Gut, das man verkauft, nicht in ausreichender Menge verfügt.

Ich gebe zu, meine Darstellung ist ein wenig vereinfacht, aber es hilft die Lage ungefähr einzuordnen.

Ein Gegenbeispiel: Bei einem Produzenten der mehr produziert als seine Vertragskunden abnehmen, würde ich einen Verkauf über die Börse NICHT als Spekulation bewerten, da er ja seine “überschüssige” Energie am Markt los werden muss.

Meine Befürchtung: der Kapitalbedarf stammt aus Spekulationsverlusten (gem. meiner Definition)

Aktuelle Lage

Bis heute (31.8.) hat weder die Wien Energie, die Stadt Wien, noch der Bund Näheres zum aktuellen Derivatbuch veröffentlicht. Es gibt aber Indizien, die meine Auffassung bekräftigen.

„Stromverkäufe als Akutproblem?
Verändert sich der Preis nun in der Folge stärker als erwartet, müssen entweder Käufer oder Verkäufer bei den Sicherheiten nachbessern. Dabei gilt ganz generell: Bei sinkenden Marktpreisen muss der Käufer die Margin erhöhen, bei steigenden Preisen der Verkäufer. Dahinter steht die Idee, dass beim Ausfall eines der beiden Vertragspartners, die Börse den anderen schadlos halten kann.

Um beim vorigen Beispiel zu bleiben: In den zwölf Monaten seit Abschluss des Termingeschäfts stieg der tagesaktuelle Strompreis auf die fünffache Höhe des vereinbarten Preises. Wenn nun der Verkäufer nicht liefern kann, muss die Börse den Strom zum hohen Tagespreis kaufen, ihn aber zum ursprünglich vereinbarten Preis an den Käufer weitergeben. Die Differenz von 400 Euro muss durch die Margin abgesichert sein, die deshalb laufend angepasst wird. Das so gebundene Kapital erhält der Verkäufer zurück, wenn das Geschäft wie geplant über die Bühne geht.

Wenn nun Wien Energie von stark gestiegenen Sicherheiten auf – bereits getätigte – Termingeschäfte spricht, ist davon auszugehen, dass sie dabei die Verkäuferin ist. Mit anderen Worten: Wien Energie hat – in der Vergangenheit – Termingeschäfte über den Verkauf von Strom abgeschlossen. Und muss nun angesichts explodierender Strompreise die Sicherheiten dafür stark aufstocken.“

Entnommen: https://orf.at/stories/3282999/

Nach meiner Einschätzung ist das eine absolut korrekte Einschätzug der Tatsache und somit resultiert das Problem aus einer SPEKULATION.

Da wir über keine validen aktuellen Daten verfügen, habe ich mir erlaubt, die Konzenbilanz der Wr. Stadtwerke zu konsultieren. (alles öffentlich einsehbar)

Relevante Daten der Konzernbilanz 31.12.2021 der Wiener Stadtwerke
Entnommen:  Geschäftsberichte – Wiener Stadtwerke (Gesamtkonzern)
In der Bilanz (Finanzbericht) wird bereits eine Derivat-Schieflage von € 482 Mio. ausgewiesen. (unter dem Punkt “Bewertung von Sicherungsgeschäften auf Seite 55)
Seite 55Auf Seite 106 findet der geneigte Leser eine andere Darstellung mit gleichem Ergebnis. Wer sich näher in die Materie vertiefen will, dem lege ich den Punkt 11.7 “Derivate Finanzinstrumente und Hedge Accounting” ab Seite 121 ans Herzen.Auf Seite 122 findet man ein paar spannende Details.
Seite 122
So werden die Gastermingeschäfte per 12/21 mit € 601,3 Mio. positiv bewertet. Auf Seite 123 werden diese auch als “Gaskäufe” bezeichnet.
Jedoch werden die Stromtermingeschäfte mit € -1.075,6 Mio. bewertet. Also liegt man hier entsprechend schief. Auf Seite 123 werden diese Transaktionen als “Stromverkäufe” bezeichnet.
Zumindest ein Teil dieser Verluste resultiert aus Spekulationen (gem. meiner Definition), da ein Verlust von € 190,1 mi einer Laufzeit von länger als 2022 ausgewiesen wird.
2020 waren diese Positionen noch sehr überschaubar.
Woher kommt jetzt der Verlust 12/21? Das ist leicht erklärt.
Strompreisentwicklung 20_21
Geschäftsbericht 2021, S.9

Seit August 2021 ist der Strompreis deutlich angestiegen. Offenbar hat man auf sinkende Strompreise gepokert und verloren. Die Werte sind oben dargestellt. Das alles war natürlich vor dem Ukraine-Krieg. Danach wurde die Situation noch schlimmer. Bisheriger Höhepunkt im August 2022.

Wie sich die Positionen seit 2022 entwickelt haben, entzieht sich meiner Kenntnisnahme. Auf Grund des aktuellen Kapitalbedarfs gehe ich nicht davon aus, dass man in der Zwischenzeit die Positionen wesentlich zurückgefahren ist.

Man wird weitergerollt haben und das Volumen vielleich auch noch erhöht haben. Mit Absicherung hat das aber wenig zu tun. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren. Ich wäre aber sehr überrascht, wenn ich weit daneben liegen würde.

Meine Fragen
Nachdem ich als kleiner Steuerzahler für die Speulationen der Stadt Wien jetzt gerade stehen soll, erlaube ich mir einige Fragen zu den Derivatpositionen in die Runde zu werfen (jeweils per 31.12.2021, 31.03.2022, 30.06.2022 und aktuell per 31.08.2022):
1) Nominalvolumen der Strom/Gaskäufe und -verkäufe
2) Nettobuchwerte der Strom/Gaskäufe und -verkäufe
3) Wie ist das Verhältnis zwischen Strom/Gaskäufen und -verkäufen?
4) Wurden in diesem Zusammenhang auch Optionen geschrieben? (Fixer Ertrag – unlimitiertes Risiko)
Ich gehe natürlich davon aus, dass unsere Bundesregierung diese Daten erhalten hat, BEVOR sie heute € 2 Mrd. Kreditlinie an die Stadt Wien zusagte. Im Sinne der Transparenz hätte ich mich gefreut, wenn sie dieses Wissen mit uns geteilt hätten.
Viellecht hören wir ja noch etwas, wenn die Experten von Rechnungshof die Daten gesichtet haben. Aber das wird noch dauern…..
Meine Forderungen
Sollte der Kapitalbedarf aus Spekulationsverlusten resultieren bzw. die spekulativen Positionen überwiegen, wovon ich ausgehe, stelle ich folgende Forderungen:
1) Rücktritte der verantwortlichen Politiker in Wien
2) Prüfung ob hier strafrechtliche Tatbestände seitens des Managements und der handelnden Politiker vorliegen (auf Basis der gestrigen Pressekonferenz würde ich das nicht ausschliessen)
3) Spekulationsverluste sind von der Stadt Wien zu tragen, oder die Stadt Wien wird unter Kuratel gestellt.

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