In einer atemberaubenden Verdrehung der Tatsachen hat der griechische Außenminister den europäischen Hauptkreditgeber zum Profiteur der de facto-Pleite seines Lands erklärt. Er argumentiert dabei ähnlich wie viele europäische Ökonomen – was aber nicht heißt, dass er recht hat. Deutschland sollte sich endlich mit den harten Tatsachen abfinden und die Kredite abschreiben bzw. für deren Ausfall geradestehen – es sollte aus dem Fall aber zwei ebenso harte Konsequenzen ziehen.
Erstens müssen die Politiker, die das zu verantworten haben, vor ein ordentliches Gericht gestellt werden. Der Glaube, dass ihnen mit den Bundestagswahlen Narrenfreiheit gewährt wurde, ist irrig.
Zweitens sollte Deutschland künftige Kredite (Garantien) nur mehr gegen werthaltige Sicherheiten vergeben, auf die auch zugegriffen werden kann. Beides gilt sinngemäß auch für die Republik Österreich.
Hier ist das Zitat des griechischen Außenministers Nikos Kotzias, in der englischen Übersetzung des griechischen Außenministeriums. Das Original stammt von der italienischen Huffington Post. Die Hervorhebung kommt von mir.
“First of all, we need to improve the climate in public opinion in the two countries. The Germans need to understand that we are neither thieves nor frauds, for the simple reason that they haven’t given a cent to Greece – but provided guarantees – and have made €80 billion.”
“I am referring to the 7-8 billion euros in their annual budget that come from the reduction in the interest on their bonds and from the equal gains that come from the reduction of interest rates on loans to large enterprises, which was between 8 and 5 percent and fell to 1-1.5 percent, to the gains distributed to Germany by the ECB from the Greek bonds that were purchased at very affordable prices on the secondary market.”
Die Hauptaussage lautet also, dass die Deutschen gar kein echtes Geld gegeben, aber als Volkswirtschaft mit 80 Milliarden Euro von der (von Griechenland ausgelösten) Eurokrise profitiert hätten.
Zunächst ist dazu zu sagen, dass das Statement zwei faktische Unwahrheiten enthält, die nichts mit irgendwelchen unterschiedlichen Sichtweisen zu tun haben.
Kotzias bzw. seine Redenschreiber/Beamten kennen ja die Entwicklung der Dinge seit 2010. Sie müssen daher wissen, dass die Behauptung, dass Deutschland “keinen Cent” direkt an Griechenland gezahlt hat, schlichtweg falsch ist – deswegen, weil vor der Einführung des EFSF die solidarischen europäischen Staaten sehr wohl bilaterale Kredite vergeben haben (im Fall von Deutschland müssen das – aus dem Gedächtnis – etwa 15 Milliarden Euro gewesen sein).
Die Behauptung, dass Deutschland von Anleiheoperationen der EZB profitiert habe, ist auch ein Unsinn, weil die solidarischen Eurostaaten (ich glaube) 2011 beschlossen haben, die Ausschüttung aus diesen EZB-Buchgewinnen an Griechenland weiterzureichen. Dass sich Kotzias das aufzutischen getraut, zeugt von der “hohen Meinung” Athens von der Integrität/Erinnerungsstärke der EU-Lügenpresse.
Dennoch sollte hier festgehalten werden: Kotzias, ja, die ganze Regierung Tsipras scheint für ihr Land und dessen Bürger zu kämpfen – im Gegensatz zu seinen (ihren) Vorgängern und zu den Verrätern in Berlin und Wien. Wenn man Kotzias diese seine Äußerung vorwirft, müsste man einem Rechtsanwalt auch vorhalten, wenn er sich für seinen Klienten als Tatsachenverdreher betätigt – offenkundig wider besseres Wissen. Das ist faktisch aber Teil seines Jobs.
Also: Kotzias ist ein Ehrenmann, die Argumentation Athens hinkt trotzdem – und zwar gewaltig.
Lückenhafte Milchmädchenrechnung
Sie scheint auf einem Modell zu beruhen, das im Interview (naturgemäß) nicht ausgewiesen wird. Auf den ersten Blick dürften die für Deutschlands Regierung und Unternehmen gesunkenen Zinskosten um 30 bis 50 Prozent überhöht sein – aber das ist nicht der eigentliche Punkt.
Der wirkliche Punkt ist: Die Deutschen zahlen – volkswirtschaftlich gesehen – sehr wohl für die niedrigen Zinsen der vergangenen drei Jahre, und zwar Länge mal Breite.
Es stimmt zwar, dass das Budget der Bundesrepublik von den Nullzinsen profitiert. Es könnte sogar noch viel mehr profitieren, würden die Verräter in Berlin keinen solchen Austeritätskurs fahren. Schließlich kann sich die Bundesrepublik für die Aufnahme von Fremdkapital ja Geld zahlen lassen (“Negativzinsen”). Sie könnte damit noch ein paar tausend Kilometer Autobahnen und goldene Gehsteige bauen (im Ernst: man könnte zur Abwechslung auch ein paar Schulen renovieren).
Es ist auch richtig, dass jene deutschen Unternehmen, die sich in den vergangenen drei Jahren neu/wieder verschuldet haben, das zu unschlagbar günstigen Zinsen tun konnten.
Nur: Gezahlt haben dies die deutschen Sparer, Steuerbürger und Transferempfänger. Diese Gruppen haben das gezwungenermaßen, im Weg der finanziellen Repression, der kalten Progression und der immer stärkeren Knausrigkeit der öffentlichen Hand getan.
Ich weiß, das ist weder für Kotzias noch für ähnlich gelagerte Ökonomen ein Thema. Letztere regen sich höchstens über die deutsche Knausrigkeit bei den Sozialausgaben auf und lassen geflissentlich unter den Tisch fallen, dass das nur die andere Seite der gleichen Medaille ist. Sie ignorieren den Rest einfach.
Werner Sinn vom Ifo-Institut kommt auf einen Zinsentgang von 300 Milliarden Euro allein für die deutschen Vermögensbesitzer, siehe hier.
Das müsste zumindest zum Teil gegengerechnet werden. Tut man das, sieht Kotzias Rechnung plötzlich völlig anders aus.
Regierungskriminelle in Berlin und Wien
Die Politiker der Geberländer müssen das im Lauf der vergangenen drei Jahre verstanden haben – trotz ihrer intellektuellen Unbedarftheit. Sie müssen auch verstanden haben, dass die Nullzinspolitik nicht primär ein Marktphänomen ist, sondern logische Folge der EZB-Zinspolitik. Wahrscheinlich haben sie diese sogar in ihrem Sinn beeinflusst.
Das eröffnet über kurz oder lang die Frage nach Regierungskriminalität, denn das Mandat, für das die Politiker gewählt wurden, beinhaltet nicht die vorsätzliche Schädigung ihres Wahlvolks. Es beinhaltet auch nicht die gezielte Täuschung des jeweiligen Parlaments. Wenn fähige Staatsanwälte mit umfassenden Informationen über die rechtliche Sachlage gelassen werden, finden sich sicher ausreichend Tatbestände, um die Verdächtigen hinter Gitter zu bringen und ihr Vermögen zu konfiszieren.
In Deutschland ist die Identität der primär Verdächtigen klar. Es handelt sich um Mutti und den Rollstuhlfahrer. In Österreich ist die Sachlage bei Faymann auch klar. Josef Pröll ist heute Privatmann, aber (noch) greifbar. Wie weit die restlichen Regierungsmitglieder seit 2010 in die Pflicht zu nehmen sind, muss wohl von Fall zu Fall geprüft werden.
Bild: Bundesministerium für Europa, Integration und Äusseres (Wien) Wikimedia Commons
Nachbemerkung, 7.5.2015: Nein, das ist keine Aufforderung zu einem Putsch und soll auch nicht dazu anregen, die Justitz zu Revanchezwecken zu missbrauchen. Es ist nichts als der Traum vom Rechtsstaat. Niemand steht über dem Recht – nicht über den Gesetzen und nicht über dem Naturrecht. Auch keine demokratisch gewählten Politiker.
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