Warum ein EU-Austritt Österreichs sinnvoll und sogar geboten ist

No-EUEin 8 Millionen Einwohner-Land sollte sich selbst nicht wirtschaftlich isolieren, nicht ohne zwingende Gründe. Das wäre bei einem Austritt aber ohnedies nicht der Fall. Es gibt für Österreich nur wenige, ziemlich schwache ökonomische Gründe dabeizubleiben, aber einige ziemlich starke politische Gründe auszutreten. Zum Beispiel den vielleicht letzten Versuch, die politische Klasse zur Räson zu bringen.

Bis 1. Juli kann jeder Staatsbürger mit Wohnsitz im Inland das laufende EU-Austrittsvolksbegehren in allen Stadtmagistraten und Gemeindeämtern unterstützen. Benötigt wird nur ein amtlicher Personalausweis zum Nachweis der Identität. Ich selbst habe nach einem – wie ich glaube: gründlichen – Nachdenkprozess Donnerstag Mittag unterschrieben. Genau genommen ist bereits Staatsstreich in Zeitlupe Bestandteil dieses Vorgangs. Man könnte zugespitzt sagen, dass ich schon seit zweieinhalb Jahren am Anliegen des Volksbegehrens herumkaue.

Es ist nicht zu erwarten, dass die Initiative besonders erfolgreich sein wird, denn sie findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, zumindest unter Ausschluss der approbierten Öffentlichkeit. Das unterscheidet dieses Volksbegehren fundamental beispielsweise vom Bildungsvolksbegehren, wo über mehrere Wochen hinweg viele Dutzend goodwill-Berichte und -Beiträge erschienen. Die Bildungs-Initiative wurde von großen Teilen der polit-medialen Kaste aktiv unterstützt, das aktuelle Austritts-Begehr wird von derselben Clique aktiv boykottiert.

Die einzige Ausnahme bilden die Medien des Styria-Verlags, wo man sich – sporadisch und üblicherweise ablehnend-kritisch – mit dem Austrittsbegehren auseinandersetzt. Immerhin tun Kleine, Presse und Wirtschaftsblatt das. Der Rest der Totschweig-Presse hält dicht oder begnügt sich mit Platzhalter-Geschichten. Selbst die Kronen Zeitung berichtet nicht inhaltlich. Das Thema bleibt den Leserbriefen vorbehalten. Diesselbe Zeitung hatte 1994 vor der Beitrittsabstimmung für ein Ja kampagnisiert, aber wenigstens berichtet. Die heutige Kronen Zeitung schweigt die Sache redaktionell tot, so wie die anderen.

Freihandel mit EU-Ländern nicht gefährdet

Zunächst einmal sei auf diesen Blogeintrag verwiesen, in dem begründet wird, warum die Alpenrepublik kein Risiko läuft, aus dem  Binnenmarkt ausgeschlossen zu werden. So etwas würde nur dann eintreten, wenn die Austrittsverhandlungen mit der Kommission so ungeschickt oder selbstschädlich geführt würden, dass tatsächlich wieder Zollschranken errichtet werden müssten, wo diese bereits in den 1970ern abgebaut worden sind. Das ist angesichts der Tatsache, dass Österreich schon vor dem Beitritt, seit Anfang 1994 über den EWR vollen Marktzutritt hatte, aber auszuschließen.

Der Umstand, dass Österreich auch bei einem Austritt aus der Union nicht aus dem Binnenmarkt ausscheiden muss, wird auch gar nicht erst bestritten – auch von jenen nicht, die einen Austritt für eine “ganz dumme Idee” halten.

Der freie Außenhandel mit EU-Ländern ist aus meiner Sicht aber ein zentrales Erfordernis. Bestünde eine realistische Gefahr, dass die wirtschaftliche Integration bis vor das Jahr 1973 rückabgewickelt werden müsste, sollte man sich einen Austritt wirklich gut überlegen. Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral (bzw. das politische System).

Alle weiteren wirtschaftlichen Argumente, die z.B. in obigem Artikel gegen den Austritt genannt werden, sind entweder von geringfügiger Bedeutung oder überhaupt gegenstandslos. Sie werden offensichtlich wider bessere eigene Einsicht ins Treffen geführt – z.B. die Behauptungen, dass die EU.Zugehörigkeit zu mehr Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum geführt habe. Das ist lächerlich.  Noch nie in der Geschichte der 2. Republik lief die Wirtschaft so schlecht wie in den vergangenen 15 Jahren und das erwähnte Beschäftigungswachstum ist auf das von der EU unabhängige Entstehen von einer halben Million Teilzeitarbeitsplätzen zurückzuführen, oft zu Lasten von Vollzeitjobs. Herbert Geyer weiß das als alter Gewerkschafter.

Auch die Ausweitung der Exporte ist nicht jenes stichhaltige Argument als das es hingestellt wird – denn erstens stehen den Ausfuhren stärkere Zuwächse bei den Einfuhren gegenüber und zweitens hat – wie ein Vergleichsblick auf die Schweiz zeigt – die verstärkte wirtschaftliche Integration eine Diversifizierung etwa in Richtung Asien verhindert.

In jedem Fall zielen solche Argumente auf den gemeinsamen Markt. Sie sind damit nicht, worüber eigentlich abgestimmt werden soll. Fände eine Abstimmung statt, müsste eigentlich über die Frage der EU-Staatenbildung abgestimmt werden (bzw. über die Teilnahme daran).

Trotz der mageren Bilanz der europäischen wirtschaftlichen Integration gibt es m.E. keine einigermaßen überzeugende Alternative zum gemeinsamen Markt. In der reduziertesten Form lautet diese Überlegung: Es gibt für die österreichische Volkswirtschaft keine Option, in der Zollschranken zu Deutschland wiederaufgerichtet würden. Der Verlust der CEE-Märkte etc. wäre schmerzhaft, Zollschranken zu Deutschland aber wären tödlich (das bedeutet auch, dass Österreich eine Freihandelslösung mit dem deutschen Wirtschaftsgebiet suchen müsste, würde sich Berlin unter welchen Umständen immer aus dem Binnenmarkt zurückziehen). Mehr als 40 Prozent des österreichischen EU-Außenhandels werden allein mit Deutschland abgewickelt.

Bis hierher, könnte man sagen, hat sich ein lauwarmes Bild ergeben, eines, das weder eindeutig für einen Verbleib noch für den Austritt spricht. Man könnte sogar sagen, dass die Waage noch leicht zugunsten des Verbleibs geneigt ist – immerhin hat Wien im EU-Ministerrat Sitz und Stimme (wenn auch nur mehr 1,7 Prozent des Stimmgewichts, zwei Drittel weniger als 1995).

Der alles verändernde Punkt ist aber, dass der EU-Beitritt erst einen stillen Putsch ermöglicht hat, eine Umwälzung der politischen Grundlagen der Republik – ohne die Zustimmung und wahrscheinlich gegen den Willen des Souveräns, des österreichischen Staatsvolks. Dieser Umstand ist extrem schwerwiegend, stellt alles in den Schatten.

Königsmord am Staatsvolk

So ein Vorgehen käme, vergliche man es mit vordemokratischen Zeiten, einem Königsmörd gleich, der mit allen möglichen Todesarten bis hin zur Vierteilung bestraft wurde. Gottlob leben wir nicht mehr im Absolutismus und dieser unser heutige Souverän lässt sich sehr lange ungestraft auf der Nase herumtanzen.

Das Volk hat eigentlich gar nicht so sehr das Gefühl, der Herr im politischen Haus zu sein – zu sehr spricht seine Alltagserfahrung gegen eine solche Auffassung. Aber die Leute ahnen, dass das, was in Sachen EU abgelaufen ist, ein Machtmissbrauch der Sonderklasse war.

Sie wissen, dass ein Vorstand nicht eigenmächtig die Statuten eines Vereins ändern kann und dass von der Einführung des Euro bis zum ESM genau solche Statutenänderungen ohne Mitgliederversammlung durchgezogen wurden – wenigstens vier Mal, wahrscheinlich sogar öfter. Und das nehmen die Bürger dem von ihnen gewählten Vereinsvorstand vielleicht noch übler als dessen Anstiftern in Brüssel und Strassburg.

Viel gäbe es dazu noch zu sagen, aber ich will mich nicht wiederholen. Wer sich die über 25 Jahre hinziehende ganze Geschichte zu Gemüte führen will soll hier zu schmökern beginnen. Hier eine kurze Übersicht der vier eklatantesten “Kompetenzüberschreitungen des Vorstands”:

  • die Einführung des Euro mit 1.1. 1999 ohne Abstimmung war das erste dieser Vergehen. Damals hat sich niemand in der Bevölkerung und nur wenige außerhalb des engeren Putschistenkreises in SPÖ und ÖVP vorstellen können, dass dies möglich sein könnte. Und doch wurde der Währungswechsel durchgezogen. Der Euro wurde mit einer gerade eben noch vorhandenen Zweidrittelmehrheit im Nationalrat durchgewunken – obwohl SPÖVP vor der Beitrittsabstimmung 1994 aktiv den Eindruck erweckt haben, dass sie die Zustimmung des Staatsvolks zu weiteren Integrationsschritten einholen würden. In Dänemark und Schweden, wo sich die politische Klasse noch bemüßigt fühlte, die Zustimmung des Volks zu suchen, wurde ein Beitritt zum Euro (bzw. zu Maastricht) abgegelehnt.
  • Die Annahme des EU-Verfassungsvertrags von 2004/05 ist der zweite Fall. Es blieb in diesem Fall beim versuchten Königsmord, denn der Vertrag kam nicht zustande, nachdem das französische und niederländische Volk ihn in Referenden abgelehnt hatten. Das politische Faktum bleibt bestehen: Die Regierung, das Parlament und der damals neue Bundespräsident Fischer stimmten für die Inkraftsetzung dieses Vertrags ohne Volksabstimmung  (beziehungsweise: “Staatsnotar” Fischer setzte seine Unterschrift unter den Vertrag, nachdem bereits klar war, dass dieser scheitern würde).
  • Der Vertrag von Lissabon, der mit 1. Dezember 2009 in Kraft trat, ist der nur kosmetisch veränderte Wiedergänger des Verfassungsvertrags, den die politische Kaste am österreichischen Staatsvolk vorbeischmuggelte. Im Gegensatz zum Verfassungsvertrag geschah dies gegen den Willen der FPÖ, aber mit Billigung und Unterstützung der Grünen. Der Vertrag von Lissabon überträgt weitgehende Rechte an Brüssel bzw. an die als dessen Verbündeter agiende Bundesregierung – zum Schaden des österreichischen Parlaments. Er ist, wie gesagt, der alte Verfassungsvertrag ohne die Bezeichnung Verfassung.
  • Der letzte Streich war die Einsetzung der beiden Rettungsvehikel EFSF und ESM. Erst diese haben es ermöglicht, dass die Republik (nachhaltig) als Kreditgeber anderer EU-Staaten auftreten kann – in großem Maßstab tut sie es bereits bei Griechenland. Diese Aktion war und ist ein klarer Bruch des Vertrags von Maastricht bzw. des AEU-Vertrags - was mit nachträglichen Vertragsänderungen vertuscht werden sollte. Auch hier stimmten die FPÖ wieder dagegen und die Grünen dafür. 

So leid es mir tut: Die FPÖ war die einzige größere Paretei, die die “legitimatorischen” Grundlagen der Zweiten Republik respektiert hat und SPÖÖVP haben diese, zusammen mit Grünen und Liberalen, in Frage gestellt. Das zentrale Problem ist nicht so sehr die politische Integration an und für sich gewesen, sondern dass die Zustimmung des Souveräns dazu nicht eingeholt wurde.

Eine solche Anstrengung aber ist nicht einmal ansatzweise unternommen worden. Solche Mühe wollte man durch die Ausweitung des herrschenden politischen Kartells auf Liberale und Grüne vermeiden. Die politische Klasse hat, wie ich es hier ausgedrückt habe, die Abstimmung von 1994 systematisch als Freibrief für ihr selbstherrliches und eigenmächtiges Vorgehen genutzt.

Dafür bekommen SPÖVP Wahl für Wahl ihre Watschen. Das ist auch der tiefere Grund, warum die FPÖ immer mehr Stimmen kriegt – und nicht so sehr ihr (wirklicher oder eingebildeter) Populismus. Die Leute spüren, dass Verräter in den Regierungskanzleien sitzen, Verräter am eigenen Staatswesen und Verräter am Grundprinzip aller demokratischen Regierung: der Volkssouveränität.

Der Prozess, die Putschisten aus ihren Ämtern zu jagen, geht quälend langsam vor sich – und wenn nicht noch ein Wunder geschieht, werden die Kollaborateure fremder Mächte ungeschoren davonkommen. Sie haben es über eineinhalb Jahrzehnte hinweg geschafft einen unumkehrbaren Zustand herzustellen – einen Zustand, aus dem es ohne eine Form von Disruption wohl kein Zurück mehr gibt. Ganz wie es der rote Dany 2012 triumphierend formuliert hat: “Wenn Sie ein Rührei haben, dann kriegen Sie die Eier, aus denen Sie sie gemacht haben, nicht mehr zurück, da können Sie machen, was Sie wollen.”

Das und nichts anderes war von Anfang an die Handlungsmaxime unserer Renegaten in Amt und Würden. Damit haben sie sich selbst überflüssig gemacht. Wenn Nicht-Demokraten sie vertreiben wollen, werden es die famosen Volksverteter schwer haben, an jenes Prinzip zu appellieren, das sie selbst seit langem verraten.

Es ist wahrscheinlich zu spät, etwas an dem von den untreuen Geschäftsführern geschaffenen Zustand zu ändern (ohne “Disruption”). Ein vom Volk erzwungener Austritt aus der EU könnte ein Schock sein, der ein Umdenken unter den noch loyalen Teilen der Kartellparteien auslöst. Das ist eine vage Hoffnung, aber viel mehr ist nicht übrig.

Foto: Boban Markovic (Wiki Serbe), Wi9kimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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