Wie EZB und Politicos deutsche Sparer vor den Bus stoßen

Ein Interview mit dem ehemaligen Chef des Münchener IFO-Instituts zeigt die Katastrophenmischung verkorkster Strukturen, die mit der Eurozone entstanden ist. Es bietet Aufklärung zur Unterbewertung des Euro, über dessen verzerrte relative Preise sowie über den Plan, mit dem man die Malaise ausbügeln will. Das listig geführte Gespräch findet sich bei YT:
>

Nach zehn Minuten über den drohenden Trump’schen Protektionismus erklärt Hans-Werner Sinn dem interviewenden Blogger die widersprüchlichen Effekte, die die doppelte Unterbewertung des “deutschen Euro” (= des in Deutschland verdienten Euro) auf unterschiedliche Akteure hat, nämlich

  • einen äußerst wohltuenden für die Exporteure, die ihre Waren aus Währungsgründen unschlagbar günstig anbieten können.
  • Die Kehrseite der Medaille ist freilich der volkswirtschaftliche Schaden, der dadurch angerichtet wird, etwa bei Konsumenten und Sparern.

Die Exporte sind so stark und wir haben so viele Jobs im Verarbeitenden Gewerbe wegen dieser Unterbewertung. Von Gewinnern würde ich hier nicht reden, denn ich glaube, wir ( = die Deutschen) haben große Verluste dadurch, dass wir so billig sind. Wir kaufen nicht genug Importgüter ein für die Exportgüter. Wir verschleudern unsere Exportgüter” (13:39)

Würde eine hypothetische deutsche Währung aufwerten,

wären zwar die Exporte ein bisschen kleiner. Das heißt (zwar), es würden nicht mehr so viele Menschen im Export beschäftigt. Die könnten aber andere Dinge in der Binnenwirtschaft tun. Wir würden für die Exportgüter mehr Importgüter einkaufen, weil sie dann relativ zu unseren Eimnkommen billiger werden.”

Im Großen und Ganzen, sagt Sinn, sei der Euro, gemessen an seiner Kaufkraft um ein Fünftel unterbewertet und der “deutsche Euro” sei gegenüber den Handelspartnern in der Eurozone auch um ein Fünftel unterbewertet.

Weil die südlichen Länder durch eine von der Gemeinschaftswährung induzierte Kreditblase gegangen seien, seien die “relativen Preise” von Club Med und Deutschland nicht mehr stimmig.

Auf dieser Basis, ist zu ergänzen – sowie mit Hilfe des Austeritätskurses in den Südländern -, haben es die Zentralplaner  geschafft, die Leistungsbilanzungleichgewichte innerhalb der Zone zum Verschwinden zu bringen, dem Anschein nach.

Die echte Austerität passierte über die Helfer der Zentralplaner in den Mitgliedsländern (“nationale Politiker”), die sich dadurch freilich selbst schwer beschädigten (wer das nicht glaubt, sollte z.B. “Matteo Renzi”, “Cinque Stelle” oder “Spaltiung der italienischen Sozialdemokraten” googeln).

Dass diese falschen relativen Preise (und mit ihnen die vorgegaukelte Normalisierung bei den Leistungsbilanzen) tatsächlich vorhanden sind, sei unumstritten, erklärt Sinn.

Es besteht Konsens, dass die (relativen) Preise geändert werden müssen, nur wer macht das? Inflationieren wir (die Deutschen) oder gehen die Südländer in die Deflation? Oder machen wir’s durch temporäre Austritte mit offener Abwertung?

Inflation in Deutschland statt Deflation im Süden

Der Weg dorthin, schwindelt Sinn, sei “noch unklar” (Interviewer Roland Tichy stellt dagegen unwidersprochen fest, dass dieses Wie ja bereits beantwortet sei und die Strategie gerade umgesetzt werde, eine “Problemlösung” über eine Inflationierung in Deutschland)

Sinn deutet an, dass er für den “dritten Weg” eines temporären Austritts aus dem Währungsgebiet samt offener Abwertung sei – dass er aber, vor die Wahl gestellt, eine Inflationierung Deutschlands für das kleinere Übel hält, gegenüber einer brutalen inneren Abwertung im Süden.

An der Gewerkschaftsforderung nach kräftigen Lohnerhöhungen in Deutschland sei “sogar was dran” – er selbst sei wegen drohender Jobverlerluste allerdings für eine Auf- bzw. Abwertungen im Süden.

Sinn begründet seine Absage an die Deflationierung des Club Med mit dem historischen Hinweis auf Brüning und Hitler. Der Letztere sei ja auch durch fallende Löhne und Preise an die Macht gespült worden.

Aber so toll ist das mit der Inflation (in Deutschland) auch nicht, denn die ist (wird) schon sehr exzessiv. Wir müssen zehn Jahre lang um 4,5 Prozent inflationieren, während Italien und Co. auf der Stelle treten, also eine Inflationsrate von Null haben.”

Inflation als Erleichterung der relativen Preisanpassung (..) führt (aber) eben zu massiven Vermögensverlusten bei Leuten, die eigentlich gar nicht betroffen sind (…). Die Sparer verlieren Vermögen und die Gewinner, die Kreditnehmer, gewinnen ungerechtfertigterweise.”

Es kommt also zu einer zunehmenden Enteignung der Sparer durch diesen Prozess.”

Warum das?

Weil angesichts der fortbestehenden Null- und Negativzinsen die Kaufkraft der Guthaben binnen zehn Jahren um etwa vierzig Prozent weg inflationiert wird (sagt Tichy und Sinn nickt dazu).

Ab diesem Punkt scheint die betuliche Zurückhaltung des Professors mit dem Backenbart zu Ende zu gehen.

Er beginnt darüber zu plaudern, wie die EZB ihren Raubzug exekutieren wird - ohne dabei ihre Fassade der Preisstabilität aufgeben zu müssen.

Das ist eine technicality, auf die unsere Strauchdiebe im Nadelstreif freilich viel Wert legen.

Es geht letztlich um die Frage, wie die völlig willkürliche Benamsung von “Preisstabilität” durch die EZB auszulegen ist.

Für die EZB hat Preisstabilität von Beginn bedeutet, dass die Verbraucherpreise um etwas weniger als zwei Prozent pro Jahr steigen.

Sinn teilt in dem Interview mit, was sonst kaum jemand weiß bzw. interpretieren kann (will) – dass nämlich die EZB dies als mittelfristigen Zielwert betrachtet.

Das bedeutet, dass nach Jahren statistisch induzierter Nullinflation die Verbraucherpreise in der bevorstehenden Zeit um bis zu preisstabile vier Prozent zulegen dürfen.

***

Sinn deutet das stellenweise mehr an als er es ausspricht.

Er hat offenkundig keine Lust, sich mit Politikern und policy makern der Eurozone ernsthaft anzulegen.

Der Leser darf jedoch davon ausgehen, dass sowohl Zentralbanker als auch finanzpolitisch versierte Politicos in Deutschland voll im Bild sind.

Ich kenne zwar niemanden aus dieser Gruppe, erlaube mir aber von Österreich aus auf den Kenntnisstand der deutschen Politiker zu schließen.

In der Alpenrepublik hoffen und warten deren Brüder und Schwestern seit Jahr und Tag auf die erlösende Nachricht von der Inflation.

Einer Inflation, die das geräuschlose Abschmelzen überzähliger Guthaben sowie die Fortsetzung ihrer Spielchen um die parlamentarische Demokratie ermöglichen würde.

Unabhängiger Journalist

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.