Zweierlei “Kapitalismus” und die souveränen Herren von Mammon

vogl_coverEs gibt Bücher, über die freut und ärgert man sich in einer Tour. Auf einer Seite vermitteln sie einem das Gefühl, als könnten sie helfen die Welt neu zu entdecken und auf der nächsten muss man sich über eine gedankenlose Phrase ärgern oder darüber, dass sich der Autor nun, da er einen bis zu einer unbekannten Lichtung geführt hat, weigert weiterzugehen. “Der Souveränitätseffekt” ist so ein Buch. Eine Besprechung.

Der Schmöker ist schon vor einem Jahr, Anfang 2015, erschienen und u.a. hier erhältlich. In der gebundenen Ausgabe kostet er 26 Euro. Vogl ist eigentlich nur Literaturwissenschaftler, aber als Ordinarius für eine Menge Expertise befähigt & befugt.  

Das ist ein Beispiel einer jener Passagen, die das Herz erfrischen (S. 160):

(…) dokumentiert sich eine historische wie ontologische Verknüpfung von Kapitalmacht und souveräner Autorität. Eine geopolitische Ordnung, in der starke Territorial- und Nationalstaaten dominierten, wurde zunehmend von einer geoökonomischen Ordnung überlagert, in der die Unabhängigkeit gegenüber Territorien und Staaten, das Vermögen der Geldschöpfung, die rechtliche und steuerrechtliche Mobilität sowie der Mobilitätsvorsprung des Finanzkapitals in den Netzwerken überhaupt für die Ent-Bindung der neuen Weltbürger, der supercitizens und ihrer Vertretungen sorgt.”

Kapiert ? Klein-Maxi würde das folgendermaßen übersetzen: “Territorialstaaten und Finanzkapital (zwei Entitäten von zweifelhaftem produktiven Wert) haben sich schon vor langer Zeit verbündet.

In den vergangenen hundert Jahren (oder so) hat das Finanzkapital aber zunehmend die Oberhand erlangt, weil ihm erlaubt worden ist, a) Geld zu schöpfen, b) den Steuern auszuweichen und weil es c) intelligenzmäßig sowieso besser drauf ist. An Stelle des Bürgers der alten Nationalstaaten schafft es sich jetzt einen neuen Weltbürger sowie die diesem zugehörigen Institutionen (was man als Globalisierung bezeichnet).”

Wau. Wenn das nicht Wissenschaft und so kompliziert ausgedrückt wäre, wäre es schon Verschwörungstheorie.

Immerhin bleibt Vogl im Ungefähren und sagt nicht, wer die Gruppen waren, mit denen sich schon die absolutistischen Fürsten verbündet haben, so dass selbst Kaiser und Könige nicht mehr als eine verschuldete Souveränität zusammenbrachten.

Stattdessen erfahren wir, dass deren Beamte Abhandlungen über Staatsstreich und Ausnahmezustand sowie die richtige staatliche Haushaltsführung verfasst haben. Letztere gehört für Vogl zur Vorgeschichte neoliberalen Regierens.

Der schlimmste Finger in der ganzen Geschichte ist sowieso der freie Markt, wie für 99 Prozent der Spezies des gemeinen Antikapitalisten.

Der Markt verlangt von den Untertanen angeblich, sich wie kleine Fabriken zu verhalten und von den Obertanen, solch ökonomisiertes Verhalten auch zu erzwingen. Von guter Gubernanz zu good governance ist es nur ein Katzensprung und ökonomisierte Politik ist und bleibt das gemeinsame Feindbild der Linken.

Der Kapitalismus, den der Autor meint, changiert ständig zwischen dem Industriekapitalismus, den Karl Marx im 19. Jahrhundert analysiert hat, und einem Finanzkapitalismus, der an den Debitismus Paul C. Martins im späten 20. Jahrhundert erinnert.

Von den Kapitalisten des “Kapitals” und ihrer Mehrwert-Aneignung ist trotzdem weit und breit nichts zu sehen, eher schon von Schuldner sucht Nachschuldner. Aber der ehemalige Bild-Journalist Martin hat für sozialistischen Feudalismus wenig übrig und eignet sich auch ganz und gar nicht für radical chic.

Für Vogl stellt das Finanzkapital spätestens seit der Gründung der ersten Zentralbank in London die Vierte Gewalt im Staat dar (nicht die Presse) und das ist eher noch eine Untertreibung. Eigentlich sollte er es an erster Stelle, in gleichem Atemzug mit dem modernen Territorial-/Nationalstaat erwähnen, mit dem es sich in Koevolution entwickelt hat.

Als jüngste Phase – die, in der sich die Wege der beiden Arten wieder voneinander trennen -, beschreibt Vogl die Finanzialisierung, den Schuldenimperialismus, sowie das Zeitalter von supranationalen Finanzorganisationen und der allgegenwärtigen Finanzderivate (die zunehmend traditionelle, echte Märkte simulieren, eigene Bemerkung). 

An dieser Stelle befinden sich die heutigen Bürger demokratischer Republiken. Sie kriegen von ihren Politikern und policy makern zu hören, dass sie wg. vernetzter Welt, freiem Markt etc. Souveränität abzugeben hätten, ihre Volkssouveränität.

Das macht besagten Funktionären nichts aus, obwohl sie ihre Funktion ursprünglich aus Volkssouveränität abgeleitet haben. Sie sind bereit, ihre Gestalt zu wechseln, von Volksvertretern zu Experten, oder von (indirekt) gewählten Ministern zu ungewählten Ratsmitgliedern.

Dann residieren auch sie in der “Grauzone zwischen Wirtschaft und Politik”, wo

Expertenkomitees, improvisierte Gremien oder informelle Konsortien aus politischen und ökonomischen Akteuren die Regierungsgeschäfte übernommen (haben und wo sie) mit ihrer Notstandspolitik ausschließlich durch Zwangslagen und Ausnahmefälle legitimiert werden.” (S.4)

Dort dürfen die bisherigen Politicos dann die Interessen der souveränen Herren von Mammon wahren. Es ist ein Fahnenwechsel historischen Zuschnitts, der, wie sie hoffen, weitgehend unbemerkt vonstatten gehen kann; so wie ihr scheibchenweiser EU-Putsch, den sie in den vergangenen 20 Jahren durchgezogen haben.

Disclaimer: Ich sehe mich selbst als Realisten, der Autonomie und/oder Selbstversorgung unter den heutigen Bedingungen nicht für einen gangbaren Weg hält, nicht längerfristig. Deshalb braucht es viel Freihandel und ein weltweit akzeptiertes, neutrales Zirkulationsmittel.

Foto: Screenshot thalia.at

Unabhängiger Journalist

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