Professionelle Schreiberlinge verfügen über zu wenig Phantasie um so einen plot zu erfinden: Einen russischen Botschafter, der erklärt, dass Polen eine Teilverantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs trage. Daraufhin wird ihm vom polnischen Außenminister vorgeworfen, er unterminiere die historische Wahrheit. Der Amtsträger ist derselbe Mann, der zuvor behauptet hat, dass die Ukrainer Auschwitz befreit hätten.
Über den ersten Teil dieser Farce habe ich im Jänner geschrieben, siehe hier.
Die aktuellen Aussagen des russischen Botschafters fielen in einem Fernsehinterview mit einem britischen Sender und kamen in Warschau umso schlechter an, als Andrejew die der deutschen Invasion folgende Besetzung Ostpolens als defensives Vorgehen der Sowjetunion charakterisierte. Zu allem Überfluss bezeichnete der Diplomat das in Frage stehende Gebiet als westliches Weißrussland und westliche Ukraine.
Uijegerl, schwerer Patzer ! Ostpolen war dank Marschall Pilsudski nach 1921 nicht mehr Westrussland (wie seit dem 18. Jahrhundert) !
Das wiedererstandene Polen wurde im Hitler-Stalin-Pakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt und seine Offiziere wurden etwas später zu Tausenden vom sowjetischen Geheimdienst massakriert (Katyn).
Warschau war mit der Reue Moskaus darüber nie zufrieden. Kein Wunder. Die Sowjetunion war eine Siegernation des Zweiten Weltkriegs und hielt Polen danach noch 45 Jahre unter seiner Knute.
Und von den Nachfahren der Henker/Kerkermeister gesagt zu bekommen, man habe den Krieg mitverschuldet, mag schwer zu schlucken sein. Immerhin hat sich Andrejew danach entschuldigt, mit einer Formel, die an geschichtspolitische Sünder in Deutschland erinnert (“Wollte niemanden beleidigen.”)
Andrejew scheint sich jedenfalls auf die Schaukelpolitik der Dreißiger bezogen zu haben, mit der Polen seine Haut zu retten versuchte; darauf, dass es sich mehrfach Initiativen zur Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit verschloss sowie auf den Umstand, dass sich Warschau nach dem Einmarsch Hitlers ins Sudetenland das tschechoslowakische, aber vorwiegend polnisch besiedelte Teschen unter den Nagel gerissen hat (den zweiten Teil davon, Teschen war seit 1920 eine geteilte Stadt).
All das haben die Russen nicht erfunden, wie sich ein Geschichtsprofessor aus Montréal beeilte klarzustellen.
Auf der anderen Seite gibt es deutsche Revisionisten, die den Polen – im Gegensatz dazu – vorwerfen, den “Führer” unnötig provoziert und dadurch zum Ausbruch des Kriegs beigetragen zu haben – die Mitschuldthese à la Michael Jabara Carleys, nur spiegelverkehrt.
Inhaltlich enthalte ich mich in dieser Frage. Man kann nur kommentieren: Die Geschichte is a Hundling. Auch, dass “historische Wahrheiten” Kinder der Zeit sind – und dass wer im Glaushaus sitzt, nicht mit Steinen werfen sollte.
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