Sharyl Attkisson, 21 Jahre lang Fernsehjournalistin bei CBS, erzählt im 2017 erschienenen “The Smear” über die wenig erfreulichen Veränderungen, die die amerikanische Medienlandschaft in den vergangenen 20 Jahren erfahren hat. Dieser Blogger hat im Wiener Goldfischglas Ähnliches wahrgenommen, was für die Haifischbecken in Washington & NYC geschildert wird. Ein Berichterl über den Bericht einer unzeitgemäßen Berichterstatterin.
“As a target, I’ve learned to sniff out smears a mile away. They’re inescapable. Turn on the TV. Fire up the computer. Flip on the radio. News, entertainment, philanthropy, advertising, social media, book reviews, rumors, memes, nonprofits, even comedy acts—they’re all used in smear campaigns. We’re living amid an artificial reality, persuaded to believe it’s real by astroturf engineered to look like grassroots (…).”
Was die Amis unter einem smear verstehen, ist ein wenig kompliziert zu erklären, gibt es im Deutschen doch keine zu 100% passende Übersetzung.
Manchmal ist es “nur” eine klassische, erkennbar tatsachenwidrige Verleumdung, oft aber handelt es sich um eine halb wahre, aber nachhaltige Beschmutzung, ein arbeitsteiliges, publizistisches und quasi-publizistisches Fertigmachen einer mehr oder weniger in der Öffentlichkeit stehenden Figur.
Viele (und die glaubwürdigsten und erfolgreichsten) smears beinhalten einen Kern von Wahrheit bzw. sind durch das Zielobjekt selbst getriggert – z.B. durch eine anstößige Bemerkung oder ein ebensolches Verhalten.
Statt angemessen und ggf. mit allem Drum und Dran (“Reaktionen”) zu berichten, wird dann aus jedem Zusammenhang und jeder Proportion gerissen, werden in heiliger Empörung Fakten und Meinung verwechselt, wird verkürzt zitiert oder ein dubioser Kontext hergestellt.
Opfer sind üblicherweise Politiker, Funktionäre und Journalisten, mitunter aber auch einfache Menschen, zum Beispiel, wenn diese was “nicht ins Narrativ Passendes” zu einer Person öffentlichen Interesses gesagt haben oder wenn sie z.B. gemeinsam mit einem späteren Politiker gedient haben und sich nicht erinnern konnten, dass dieser Heldentaten vollbracht hat.
Dann laufen sie Gefahr, auch schon einmal in ihrer höchstpersönlichen Lebenssphäre angegriffen und unglaubwürdig gemacht zu werden, ähnlich wie versucht wird, einen “unpassenden” Zeugen vor Gericht zu diskreditieren.
So ein Vorgehen hat freilich eine minimale Bekanntheit zur Voraussetzung, aber auch, dass sich die üblicherweise unsichtbar bleibenden Gegner gezielt und mit großem Aufwand der fraglichen Person “widmen” können.
Aus Funk und Fernsehen schon länger Bekannte sind in der Regel aber die “besseren Zielscheiben” -
für mittlerweile Zehntausende Mitarbeiter einer Branche, die Attkisson den Smear Industrial Complex nennt, den Verleumdungs-Industriellen Komplex analog zum Militärisch-Industriellen Komplex.
PR-Firmen könnte man vereinfachend sagen; PR-Firmen mit viel juristischem, publizistischem und geheimdienstlichem Know-how und weit reichenden Verbindungen in die (traditionellen) Medien.
Der “politische Markt” für diese entstand in den 1980ern und 1990ern, als es zunächst darum ging, z.B. von Reagan oder Clinton nominierte Kandidaten für den Supreme Court zu erschüttern oder unangenehme Berichte über die Vergangenheit der Clintons in Arkansas zu kontern/unterdrücken, geschäftliche und sexuelle.
Daraus entwickelte sich die heute bekannte Zweiteilung einerseits der Medienlandschaft in liberal und konservativ, aber auch die Entstehung von diesem “Geschäftszweig” gewidmeten Vorfeldorganisationen der beiden großen Parteien –
auf der demokratischen Seite des Media Matters-Imperiums David Brocks, finanziert hauptsächlich durch “liberale Milliardäre” (es gibt natürlich auch “konservative Milliardär-Sponsoren”).
Investigativ-Journalistin ohne Transaktions-Moral
Attkisson scheint vor allem über die erste Gruppe Bescheid zu wissen – und das liegt weniger daran, dass sie besonders konservative Werthaltungen hätte, sondern eher an eigener Berufserfahrung während der Obama-Jahre.
Die Frau hat sich schon immer als investigative, weitestgehend unabhängige Reporterin identifiziert und als solche glaubte sie, bis zum Rentenantritt einfach weitermachen zu können (z.B. mit Berichten über Benghasi oder Sting-Operationen des FBI).
Das entpuppte sich als Irrtum.
Das war einfach nicht drin, wie Attkisson 2012/13 eindringlich klar(gemacht) wurde, weshalb sie sich 2014 von CBS “einvernehmlich getrennt” hat (sie arbeitet heute für Sinclair Broadcasting).
In ihrem 2014 erschienenen Stonewalled und anderen Texten schildert sie, wie sie im Sender der Unterstützung wesentlicher editors verlustig gegangen ist, dass whisper campaigns gegen sie geführt wurden (eine Spezialität gewisser smear artists) und wie in ihren Computer eingedrungen wurde (worüber bis heute prozessiert wird).
All das hat ihr Sensorium für die Praktiken auf der Linken geschärft, ohne dass sie die Angreifer beim wirklichen Namen nennen konnte – nur die “politische Himmelsrichtung” war und ist ihr klar.
Es ist die gleiche Seite, auf der der Begriff fake news kreiert wurde (nicht etwa von Donald Trump!) und wo man schon früh mit der angeblichen Notwendigkeit einer (quasi)staatlichen Informationslenkung argumentiert hat.
Das tat etwa Obama höchstselbst, der im September 2016 Nachrichten betreut (“curated”) sehen wollte – siehe dazu zum Beispiel hier.
Von dort bis zur Mainstream-Erzählung, der Aufstieg Trumps sei fake news (sowie russischen Hackern und Bots) zu verdanken, ist es nicht allzu weit.
Bevor die Attkisson schildert, wie sich Medien und Verleumdungs-Industrieller Komplex mit vereinten Kräften auf den Donald stürzten, erklärt sie Branchenunkundigen noch, was z.B. Astroturfing und Transaktions-Journalismus sind.
Astroturfing ist, wie Attkisson in “Conjuring an Astroturf Reality” erläutert, die Erzeugung von “Grassroots-Bewegungen” mit medialen Mitteln, sei es durch selbst organisierte Demonstrationen von ein paar Dutzend Leuten, die in den Kameraeinstellungen von Journo-Komplizen wirken, als wären Hunderte oder gar Tausende auf der Straße;
oder durch die massenhafte Erzeugung von Cyber-Identitäten, die sich wie eine Armee für oder gegen etwas einsetzen können und die dabei den Eindruck erwecken, es handle sich um eine echte Massenbewegung.
Transaktions-Journalismus schließlich heißt die “Kooperation” zwischen Journalisten und einer Partei bzw. einer Vorfeldorganisation von dieser.
Eine Kooperation zu beiderseitigem Vorteil: die Partei bekommt freundliche Berichte und/oder Platz für die Selbstdarstellung;
und die Journos (“Aufdecker”) kriegen “Exklusivgeschichten” aus der Organisation oder den von dieser kontrollierten Teilen der Bürokratie, “Exklusivinterviews” oder auch nur Einladungen zu “Partys mit wichtigen Menschen”.
Dieser Transaktions-Journalismus war vor den Präsidentenwahlen 2016 um die Demokratische Partei und die US-amerikanischen “liberalen” Medien weit verbreitet – was durch die von Wikileaks vor der Wahl veröffentlichten DNC-Emails dutzendfach belegt werden kann (deren Authentizität nie in Frage stand).
Innenpolitischer Transaktions-Journalismus ist übrigens auch im kleinen, rückständigen Österreich eher die Regel als die Ausnahme, bis heute.
Feinheiten und Details davon bilden das Know-how von “Presse-Sprechern der ersten Liga” sowie von größeren PR-Playern, die sich (nicht nur) in Washington manchmal als Vereine oder nicht-profitorientierte Interessensgruppen tarnen (alles nur eine “Frage der ‘richtigen’ juristischen Konstruktion”).
Trump und der Schmieranten-Komplex
Die gesamte zweite Hälfte ihres Buchs widmet Attkisson der Analyse des Wahlsiegs Trumps, beginnend von der 2015 erfolgten Erklärung, für die Reps antreten zu wollen bis 2017, in die ersten Monate seiner Präsidentschaft.
DJT wird insoferne als “Anti Smear-Kandidat” (Kapitel 7) geführt, als er von Beginn weg im Fadenkreuz der professionellen Schmieranten steht, der “PR-Profis” ebenso wie der Innenpolitik-Journos, die Trump zu geschätzt 95 Prozent ablehnen und für die die Sache zunehmend “persönlich” wird.
Trump gibt insofern eine gute Zielscheibe ab, als er jede nur denkmögliche Inkorrektheit irgendwann einmal gesagt zu haben scheint, und wenn sich in Ausnahmefällen nichts Echtes findet, wird durch selektives oder schlicht falsches Zitieren nachgeholfen.
Nur: Das Ziel Trump ging nicht in die Defensive, sondern keilte zurück und setzte oft noch eins drauf - wie’s scheint “eigenhändig” (und mit orthographischen Fehlern).
Yet Trump refuses the demands to apologize, resists the calls to drop out of the race, and defies the pleas to soften his tactics (…) Doing his dirty work directly, and owning it, makes Trump a wild card the likes of which establishment smear groups have never seen.”
Zunächst hat Trump so gut wie keine (sichtbare) Unterstützung, weil die sogenannten Super-PACS fest in der Hand der Demokraten oder rivalisierender Republikaner sind – etwas, das sich im Mai 2016 nach der offiziellen Nominierung als republikanischer Kandidat ändert – “ein bisschen zumindest”.
Ed Rollins konservativer Super-PAC Great America beginnt Trump zu unterstützen, nachdem sich dieser in den primaries gegen die republikanische Konkurrenz durchgesetzt hat
(es gibt einen zweiten, kleineren PAC, der Trump von Anbeginn unterstützt hat – eines Konservativen, der schon für Richard Nixon gearbeitet hat und über den Attkisson schreibt, dieser habe “über vier Jahrzehnte hinweg den Markt für schmutzige Tricks gecornert”).
Aber das republikanische Establishment bleibt auch nach der Nominierung sichtbar auf Distanz.
Dieser Umstand, die unablässigen Anschmier-Kampagnen und die “echte Vulgarität/Hemdsärmeligkeit” des republikanischen Kandidaten verleiten das demokratische Establishment und seine medialen Bundesgenossen dazu, Trump sträflich zu unterschätzen.
Die einen beteten (vor der republikanischen Convention) dafür, Trump als Gegenkandidaten zu bekommen und die anderen zelebrierten bei jeder Gelegenheit Meinungsumfragen, die Hillary weit vorne zeigten und übten sich in (falschen) Wahl-Voraussagen.
All das schildert die Attkisson nüchtern-faktisch und dennoch irgendwie genüsslich.
Umso stärker fiel die Ernüchterung am 8. November aus – und umso größer war auch das Bedürfnis von Hillary, der Washingtoner Verleumdungsindustrie sowie der Journos, einen Schuldigen für das Desaster zu finden (was die Russen-Hysterie nicht schlecht erklärt).
Heute wird Russiagate schon seit einem Jahr untersucht – und wenn man nach den Zwischenergebnissen urteilt, dürfte DOJ-Sonderermittler Robert Mueller in der Hauptsache nicht viel herausfinden.
Unterdessen wird Trump mit lauteren und unlauteren journalistischen Mitteln weiter am Zeug geflickt – was manchmal ein Schritt in die richtige Richtung sein könnte, vorausgesetzt, die Mainstream-Medien hätten vor der Wahl 2016 nicht so viel Glaubwürdigkeit verspielt.
Sharyl Attkisson, The Smear: How Shady Political Operatives and Fake News Control What You See, What You Think, and How You Vote. 2017
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.