Allen Dulles, oder: Als der tiefe Staat noch rein republikanisch war

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Kennedy ehrt Dulles

David Talbot hat ein Buch über Allen Dulles geschrieben, den US-amerikanischen Oberspion aus der Mitte des 20 Jahrhunderts. Dabei zerrt er schonungslos die halbe Wahrheit über das Amerikanische Jahrhundert ans Tageslicht: dass nämlich finanzkapitalistische Interessen einen tiefen Staat unterhalten, der gegen “linke” Politiker auch schon mal exekutive Maßnahmen setzt – sogar in den USA selbst. Das ist politisch korrekt, reicht für einen Medien-Blackout aber noch immer aus.

Der Autor ist ein progressivistischer Journalist, der 1995 salon.com, eines der ersten Web-Magazine gründete. Seit seinem Abschied von dort schreibt er Bücher,wobei er sich auf versteckte Geschichte spezialisiert hat.

Sein bekanntestes Buch ist Brothers: The Hidden History of the Kennedy Years, in dem er beschreibt, wie sich die Jack und Bob aufmachten um die Welt zu verändern; wie Jack Präsident und drei Jahre später umgebracht wurde und was Robert danach alles unternahm, um die wahren Mörder seines Bruders zur Strecke zu bringen.

Das grenzte schon 2008 an Verschwörungstheorie, aber der Autor war gut gesinnt und die Protagonisten seines Buchs sowieso und deshalb ließ man fünf noch einmal  grad sein. Mit dem Schachbrett des Teufels scheint jetzt aber Schluss mit lustig zu sein.

Die idealistischen Jungpolitiker sind in den Augen Talbots der Inbegriff jenes hellen Amerika, das im schlechtesten Fall wenigstens nur das Beste gewollt hat. Auch die Feinde der Kennedys, das dunkle Amerika, sind etwas, worüber es sich zu schreiben lohnt.

Jedes der beiden Themen hat freilich eine andere Registerpfeife: empathisch oder kritisch.

Unwillkürlich wünscht man sich von Autoren dieses Schlags auch Bücher über die Versteckte Geschichte von z.B. Teddy Roosevelt, den fortschrittlichen Republikaner (“USS Maine”), Woodrow Wilson (“Colonel House”, “Lusitania”), Franklin D. Roosevelt (“Pearl Harbour”), Zbigniew Brzeziński (Afghanische Mudjaheddin), oder Bill Clinton (Kosovokrieg).

Auch in diesen Fällen gab’s jede Menge heimliche Regierung, aber sei’s drum: Talbot hat nun einmal über Allen Dulles, the CIA, and the Rise of America’s Secret Government geschrieben.

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Der Autor schildert darin den Weg des Wall Street-Anwalts und fast lebenslangen Geheimdienstlers Allen Dulles, der für ihn das Fleisch gewordene politisch-wirtschaftliche Establishment des Landes ist.

Allen und sein Bruder John Foster wurden zwar nicht direkt in den WASP-Geldadel geboren – der Vater war lediglich einkommensschwacher Pastor, aber weitschichtigere Verwandte hatten bereits Regierungspositionen bekleidet.

Die Brüder bekamen ihren echten Ritterschlag aber durch ihre Arbeit in der Kanzlei Sullivan & Cromwell (zu einer Zeit, in der sie mit dem “Vater Europas”, Jean Monnet, bekannt wurden. Der Franzose war in den Jahren vor und nach dem Börsekrach auch für Wall Street tätig. Monnet verband speziell mit dem späteren US-Außenminister John eine lebenlange Freundschaft).

Bei Sullivan & Cromwell vertrat man den Rockfeller Clan, so wie schon die anwaltlichen Gründerväter John Pierpoint Morgan vertreten hatten.

Natürlich bedienten die Anwälte auch Rockefellers Chase Manhattan, die erst “vor kurzem” (2000) zu JP Morgan Chase fusionierte.

Nelson und David R. waren zwar jünger als John Foster und Allen D., aber man bewegte sich in denselben Kreisen und half einander, wo es nur ging, auch “beruflich”.

Die Rockefeller-Brüder dienten als Privatbankiers von Dulles’ Geheimdienstimperium. David, der die Spenden des Stiftungsrats der Chase Manhattan Bank Foundation beaufsichtigte, war eine besonders wichtige Quelle für die schwarze Finanzierung von CIA-Projekten. (…) Unterdessen belieferte Dulles die Rockefellers mit CIA-Informationen über globale Brandherde wie Iran, Kuba und Venezuela, wo die Familie Erdölbeteiligungen besaß.”

Allen Dulles war bestenfalls wohlhabend, aber er besaß eine Vernetztheit und ein Wissen, über die seine Klienten nicht verfügten. Als deren Frontmann hat Dulles offenbar auch in seinen Jahren bei OSS und CIA fungiert.

Zwar hat ihn ein gewählter Präsident an die Spitze der CIA geholt (Eisenhower), aber das bedeutete nicht, dass sich Dulles dem Repräsentantenhaus, nicht einmal dem Präsidentenamt rechenschaftspflichtig gefühlt hat, speziell nicht bei grenzwertigen Unternehmungen.

Wenn es dazu kam, ‘exekutive Maßnahmen’ zu ergreifen, mochte Dulles der Vorsitzende des Vorstands sein, aber er verantwortete sich vor einer Gruppe von Männern, die viel reicher und in vieler Hinsicht mächtiger waren als er – Männer wie Doug Dillon. Dulles kontrollierte die Geheimmaschinerie der Gewalt des Landes während des Kalten Kriegs, aber die Macht des Spionagechefs beruhte auf der Tatsache, dass ihn seine reichen Schirmherren – selbst nach seinem Ausscheiden aus der CIA – weiterhin damit ausstatteten.”

Das, behauptet Talbot, sei der Beginn der amerikanischen Schattenregierungen gewesen (was mehr als zweifelhaft ist).

Den im Dunkeln sah man nicht

Er schildert, wie die demokratischen Kennedys, die ja auch aus einer sehr begüterten Familie stammten, immer mehr in Konflikt zu den republikanischen Plutokraten der Dulles-Fraktion gerieten, und das ging von der Sozial- über die Lateinamerika- bis hin zur Rüstungspolitik.

Selbst die familiäre Vergangenheit war nach dieser Darstellung nicht wirklich vergangen, eingedenk der “verräterischen” Rolle, die der vermögende Kennedy-Vater für Franklin Delano Roosevelt gespielt haben soll (FDR machte ihn zum Chef der neuen Börseaufsicht SEC).

Seit dem Wahlsieg Kennedys über Nixon 1960 war Dulles ein Ablösekandidat, aber es dauerte bis nach der fehlgeschlagenen Anti-Castro-Aktion in der Schweinebucht, ehe Dulles geschasst wurde.

Das war eine von der CIA geleitete Invasion, bei der die Ausführenden allerdings mit Unterstützung durch reguläres US-Militär gerechnet hatten – die ausblieb, weil Kennedy sie unterband.

Das und Kennedys angeblich defensive Haltung gegenüber der Sowjetunion führt zu einer regelrechten Abscheu, die sich im militärisch-industriellen Komplex und in der alten Oligarchie gegen Kennedy entwickelte.

Talbot beschreibt, wie der soeben aus Russland heimgekehrte Lee Oswald alle Anzeichen eines Mitarbeiters der CIA aufwies, dass dieser wie an unsichtbaren Fäden zum Standort des Attentäters, dem Texas School Book Depository, gezogen wurde und er schildert, wie Oswald offenbar erst ganz zum Schluss die Rolle durchschaute, die ihm zugedacht war, die des Patsys.

Weil man ihn aber nicht auf der Flucht erschießen konnte, musste er kurzfristig vom Nachtklubbesitzer Jack Ruby liquidiert werden, einem offenkundigen Mobster (“Du Ratte hast meinen Präsidenten umgebracht!”)

Dulles war formell nicht mehr im Amt, aber er hielt sich am Tag des Attentats in einem Kommandozentrum der CIA in Virginia auf, was für Talbot zeigt, dass der “Pensionist” damals wenigstens Teile der CIA noch kommandiert hat.

Auch Talbot hat kein widerspruchsfreies Bild von den Geschehnissen, geschweige denn endgültige Beweise, aber er macht deutlich, dass die offizielle Geschichte vom Tathergang praktisch und technisch unmöglich ist.

Und er macht geltend, dass der Chef einer CIA-Killereinheit knapp vor der Mordtat Dallas einen Besuch abgestattet hat (es handelte sich um einen nicht kubanischen, sondern amerikanischstämmigen Anti-Castro-Kämpfer).

Wie nach dem 11. September 2001 wussten die Medien unmittelbar nach dem Anschlag, wer diesen begangen hatte – ein Marxist, der ein paar Jahre zuvor in die Sowjetunion geflüchtet war und der sich nach seiner Rückkehr einem Fair Play for Cuba-Komitee angeschlossen hatte.

Dieser so motivierte Attentäter, lautete die wenig glaubhafte story, habe jenen Präsidenten ermordet, der notorisch soft gegenüber den Sowjets war und der jene Interventionen und Staatsstreiche abgestellt hat, die sozusagen ein Markenzeichen von Allen Dulles waren (Guatemala 1954, Kuba 1961).   :mrgreen:

Das Tüpfelchen auf dem I war aber, dass Dulles in die Warren-Kommission berufen wurde, den Untersuchungsausschuss, der letztlich zum Schluss gelangte, dass es sich um einen politisch motivierten Einzeltäter gehandelt habe.

Es war ein Gremium, das wegen der Umtriebigkeit des ehemaligen Geheimdienstmannes besser als Dulles Kommision hätte bezeichnet werden sollen, wie ein Beobachter meinte:

Mit dem Warren-Bericht sollte Dulles die Geschichte buchstäblich neu schreiben. Die Untersuchung des Todes von John F. Kennedy war ein weiteres erstaunliches Zauberkunststück des ehemaligen CIA-Direktors. Der Mann, der im Zeugenstand hätte sitzen müssen, kontrollierte am Ende schließlich die Untersuchung.”

Jacks Bruder, der Justizminister war, verdächtigte von allem Anfang an die CIA und die Mafia, die ja schon damals eine lange und wechselhafte Geschichte der Kooperation hatten.

Er verfolgte diese Spur auch in seinen drei Lebensjahren nach dem Ausscheiden aus der amerikanischen Regierung, als Senator. RFK wurde, wie bekannt, 1968 auch Opfer eines Anschlags, allerdings bevor er Präsident werden konnte.

Zum Schluss noch die erst 1997 bekannt gewordene Einschätzung, die Charles de Gaulle zur Kennedy-Ermordung hatte – jener französische Staatsmann, gegen den wegen seiner Algerienpolitik eine rechtsradikale französische Terrororganisation Attentate verübte.

Was mit Kennedy geschehen ist, das ist dasselbe, was mir beinahe passiert wäre (…) Seine Geschichte ist die gleiche wie meine…. Es sieht aus wie eine Wildwestgeschichte, dabei ist es nur eine Geschichte der OAS [Organisation der geheimen Armee]. Die Sicherheitskräfte steckten mit den Extremisten unter einer Decke.”

David Talbot, Das Schachbrett des Teufels. Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg von Amerikas heimlicher Regierung, 2016, siehe zum Beispiel hier.

Hier findet sich ein Interview mit dem Autor.

Bild: CIA photo, Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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