Auf mehrfachen Wunsch eine Erläuterung zum Geheimdienst-Slang, den Wolfgang Eggert in seiner von mir nacherzählten Version der Ereignisse in München vom 22. Juli benutzt: z.B. “Patsy”. Der angebliche Täter von München, Ali David Sonboly, sagt E., sei ein sorgfältig vorbereiteter Patsy (gewesen). Ein guter Sündenbock, ergänzt dieser Blogger, ist für den politischen Erfolg eines Amoklaufs/Attentats wichtiger, als dass es dabei genügend bzw. die richtigen Opfer gab. Ein Erklärungsversuch.
Das Phänomen P. ist generell schwer zu erklären, denn Patsies existieren in allen Farben, Formen und Geschmäckern – je nachdem, was mit der nachrichtendienstlichen Intervention gerade erreicht werden soll.
Als es 1963 um die Beseitigung des US-Präsidenten ging, bestand die zentrale Funktion des mutmaßlichen Patsy Lee Harvey Oswald in der Verschleierung des Umstands, dass es mehrere Schützen, mithin eine “Verschwörung” (auch im Sinn des amerikanischen Gesetzes) gab.
Solches zu vertreten gilt im Mainstream bis heute als unseriös und die scheinrationale Begründung dazu ist darin zu finden, dass die vom Mainstream bekämpften Versionen einem dickleibigen Bericht einer Parlamentskommission widersprachen – dem Warren-Report, der versicherte, dass Oswald ein von politischen Motiven beseelter Einzeltäter gewesen sei (der im Übrigen ohnedies schon umgebracht worden war – daher: Täter tot, Klappe zu.)
Dieser Zudeck-Report wurde nach Erscheinen von allen Seiten und mit guten und weniger guten Argumenten zerlegt, sodass sich die CIA 1967 genötigt sah, ein Argumentarium zu verfassen, wie auf Kritiker der offiziellen Wahrheit am besten reagiert wird. Das mittlerweile freigegebene Dokument 1065-960 RE findet sich z.B.hier.
Dieser Text gilt als Geburtsstunde des Kampfbegriffs Verschwörungstheorie, der bis heute dazu verwendet wird, Menschen zu diffamieren, die von offiziellen Wahrheiten abweichen. Eine treffende deutschsprachige Zusammenfassung der historischen Gegebenheiten findet sich bei Konjunktion, hier.
Nun gibt es nach mehr als 50 Jahren gute Gründe anzunehmen, dass dieser junge Mann immer schon der CIA verpflichtet gewesen war, beginnend vom zarten Alter von 19 Jahren, nach seiner Abmusterung bei den Marines.
Exkurs zu Lee Harvey Oswald
Wenige Tage nach seinem (zunächst) ehrenhaften Abschied reiste Oswald in die Sowjetunion, um dort um Asyl anzusuchen.Wer sich das lieber in Bewegtbildern ansieht, geht z.B. hierher:
Der KGB riet (vorerst) von der Asylgewährung ab, weil ihm bekannt war, dass die Amis über falsche Überläufer systematisch Agenten einschleusten, siehe z.B. hier, die in diesem Buch abgedruckten Dokumente.
Dann freilich ließen die Russen Oswald doch ins Land, gaben ihm aber nur einen untergeordneten Fabriksjob in Weißrussland, ohne Zugang zu irgendwelchen interessanten Informationen.
Zweieinhalb Jahre später hatte Lee – er war inzwischen mit einer Russin verheiratet – genug und so flog er auf Kosten der Verenigten Staaten wieder zurück, wo er eine neue Karriere als Castro-Befürworter – und eben Präsidentenmörder – startete.
Viele Details dazu waren früher noch unbekannt – aber heute kennt man sie, weil eine Menge Dokumente bereits deklassifiziert sind - und das lässt die Frage, ob Oswald ein CIA-Asset war, in einem anderen Licht erscheinen.
Für nicht wenige (mich auch) ist Oswald sogar die Mutter aller Patsies und wie alle seine Kollegen wollte der gute Mann offenbar nicht glauben, dass es unkomplizierter war ihn zu entsorgen, als ihn behutsam mit einer neuen Identität auszustatten und von der Bühne verschwinden zu lassen.
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Aber ich schweife ab. Was hat das alles nun mit dem angeblichen Sündenbock Sonboly zu tun?
Worauf ich hinaus will, ist: Oswald war schon anno Schnee ein geheimdienstlich gut vorbereiteter Sündenbock, aber sein Patsytum war einfacher gestrickt als das der meisten seiner heutigen Kollegen.
Oswalds Funktion war lediglich, einen auf den ersten Blick plausiblen Attentäter abzugeben – und das schaffte er, denn er war a) bei den Marines zum Scharfschützen ausgebildet worden und trug b) seinen Marxismus und seine Liebe zur Sowjetunion bei jeder Gelegenheit vor sich her.
Das galt am Höhepunkt des Kalten Kriegs als unübertreffbares Motiv für den Mord am US-Präsidenten, aber man wäre zur Not wohl auch ohne Lees ostentatives Kommunistentum ausgekommen.
Mögliche Funktion eines unterschobenen Täters
Der Patsy Sonboly, den Eggert im Auge hat, unterscheidet sich von Lee Harvey Oswald mindestens in zweierlei Hinsicht.
- Erstens hat Ali mit ziemlicher Sicherheit auf niemanden scharf geschossen, schon gar nicht auf einen Spitzenpolitiker. Niemand hat ihn am Tatort verlässlich gesehen.
- Und zweitens bestand seine Hauptfunktion nicht darin, eine wirkliche Erklärung für die Tötung Unschuldiger zu liefern (die womöglich gar nicht stattgefunden hat).
Worin bestünde nun die Funktion eines Patsys Sonboly genau ?
Wir wissen es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht.
Eggert, der davon ausgeht, dass Sonboly eine verhandelte Täterfigur und kein echter Täter ist, sagt: Er wurde ausgewählt, um gleichzeitig den Iran und Berlin zu implizieren; jenen Iran, mit dem im vergangenen Sommer ein Nuklardeal abgeschlossen wurde, der zur Beendigung der internationalen Sanktionen führte.
Das wäre ein übergeordnetes geostrategisches Motiv, das nichts mit den (Nicht-)Vorgängen am 22. Juli in München zu tun hat.
Gibt es einen Hinweis darauf, dass das die Funktion des Patsys Sonboly sein könnte?
Derzeit (noch) nicht, denn das angebliche Schießtraining im Iran ist nicht besonders bemerkenswert. Aber es könnte ein bloßer Vorgeschmack sein, einer auf reale oder fabrizierte Informationen, die noch kommen. Meint Eggert:
Ich denke auch, daß die Münchner Ereignisse nicht abgeschlossen sind, sondern vorgreifen. Der europäische Superanschlag, von etlichen Geheimdiensten angekündigt, war noch nicht da. (…) Lassen Sie es bei uns passieren, wieder entlang einer Sicherheitsübung, nun deutlicher iranisch gelabelt, und die Tür zu einem Mittelostkrieg steht weit offen. Stellt sich die Bundesregierung dagegen, dann werden wir an München erinnert werden.”
Eggert geht davon aus, dass sich die deutsche Regierung nicht nur durch ihr Wissen um die Terrorübung selbst erpressbar gemacht hat, sondern dass sie sich auch ungeschickt verhalten und in kompromittierende Zusammenhänge begeben hat (bzw. gebracht wurde).
Und schließlich ist zu ergänzen – und das trifft ins Herz der Frage nach der möglichen Funktion eines untergeschobenen Täters: Derzeit werden der “ausverhandelte Missetäter” und seine Strafverfolger medial mit Glaubwürdigkeit aufgeladen, oder besser: mit der von Tag zu Tag und Meldung zu Meldung immer größer werdenden Gewissheit, dass es sich bei Sonboly um den wahren Täter handelt (der sich vor den Augen der Polizei umgebracht hat).
Sollte eine künftige Spur ergeben, dass Sonboly von Teheran als Terrorist ausgebildet worden ist, würde dieses Informationsstück das langwierig angesammelte “Glaubwürdigkeitskapital” zum wahren Täter Sonboly auch dann nicht ins Wanken bringen, wenn besagte Spur wenig vertrauenswürdig wäre.
Die zweifelhafte Spur müsste eben wegen der zuvor angesammelten “Beweise” in das Täterbild integriert werden.
Die Beweise müssen dabei nicht wirklich echt und valide, sie müssen nur gut nachgemacht sein, von “erfahrenen Experten in virtueller Forensik”, wie Eggert das auszudrücken pflegt, “sowohl bei der Spurensuche, als auch in der Fährtenauslegung.”
Letzteres fiele bei einem Patsy, dessen Umfeld über Jahre hinweg kontrolliert worden ist, ziemlich leicht.
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