Ansichten eines konsequenten Kapitalismus-Freundes

downtime_cover_resizedDavid Haggith, Autor des Great Recession-Blogs, plädiert für eine Radikalreform des real existierenden Kapitalismus ohne die, wie er meint, dieses Wirtschaftssystem einem noch “ungerechteren” Sozialismus Platz machen müsse. Seine Vorschläge umfassen “urkapitalistische Grundvorstellungen” wie beispielsweise “kein Bailout für gescheiterte Unternehmen (z.B.  Banken)” oder “bedingungslose & umfassende Haftung (Risiko) für Eigentümer, Aktionäre & Management”. Gleichzeitig plädiert “Knave Dave” für Veränderungen im Steuer- und Abgabenregime der USA, die linken & “umverteilungsfreundlichen” Positionen sehr nahe kommen.

Das gut gewählte Cover des Haggith-Texts vermittelt bereits einen wesentlichen Teil der Botschaft.

Es zeigt einen grimmig grinsenden Banker, der drohend einen Selbstmordgürtel der besonderen Art vorzeigt.

Statt Sprengladungen wie bei islamistischen Selbstmordattentätern hat der Banker allerdings fünf Sparschweine um den Bauch geschnallt.

Der Text, der auch als Kindle erthältlich ist, beinhaltet 15 historische, aber kommentierte Artikel, die unter dem Sammelnamen “Downtime” 2008/09 in US-Regionalzeitungen erschienen sind.

In ihnen zieht Knave Dave, der kein Ökonom, sondern Immobilienmanager mit breiten Ein- und Ausblicken ist, über die Akteure der Krise von 2007 – 2009 her, speziell über die politischen, beispielsweise Präsident Bush.

Das Verhalten der Empfänger der vor zwölf Jahren ausgereichten “corporate welfare” ist für Haggith gleichzeitig infam und nachvollziehbar – schließlich würden es fast alle vorziehen, risiko- und mühelos Staatsknete abzuzgreifen, wenn sie damit davon kommen könnten.

Die in den “alten Artikeln” geschilderten Missbräuche sind für den Autor das Urbild gewissenlosen und uninformierten Handelns in Vorstandsetagen und Politico-Büros

- üblen Praktiken, die wenigstens vom “Platzen der Dot-Com-Bubble in den frühen 2000ern” bis eben zur jüngsten, noch gar nicht voll realisierten Corona-Krise reichen – in jedem Fall in deutlich größeren Dimensionen.

In der aktuellen “Corona-Krise”, sagt Haggith,

hätten die Bailouts blitzartig schon begonnen (weil die “Schablonen” aus 2008 nur “aus der Lade gezogen werden mussten”).

Wenn sich “Main Street America” nicht schnellstens dagegen zur Wehr setze,

werde beim nächsten Mal nichts mehr übrig sein, das es wert sei verteidigt zu werden (“Speak up now or forever hold peace” – Formel bei traditionell-christlichen Hochzeiten).

Das ist der letzte Abschnitt von “Downtime”, der – so wie die beiden vorangehenden – ein aktueller ist (wahrscheinlich erschien er schon einmal im Blog, den Haggith seit zehn Jahren betreibt).

In dem diesem Kapitel vorangehenden “Sustainable Solution to Endless Cycles of Economic Collapse” plädiert Haggith u.a. für

  • konsequente Insolvenzverfahren (inklusive möglichst vollständiger Entfernung alter Eigentümer und unfähiger Manager),
  • Bail Ins und persönliche Haftungen nur für diesen Personenkreis (und natürlich für politische Entscheidungsträger),
  • die erneute Illegalisierung von Aktien-Rückkäufen sowie die Wiedereinsetzung von “Glass-Steagall”,
  • neue Gesetze gegen jene “Zockereien” in Unternehmen, die nicht den Produkten, sondern der Bereicherung des Führungspersonals dienen,
  • die Reform oder Abschaffung der Federal Reserve sowie
  • die Abschaffung von Steuerprivilegien für “das reichste 1 Prozent”, speziell der Capital gains tax (CGT), einer fiskalischen Besserstellung von Einkünften aus langfristigen Investitionen.

An dieser Stelle hebt sich Haggith wohl am deutlichsten von der Ideologie des “prokapitalistischen republikanischen Establishments” ab bzw. nähert sich Positionen etwa von Bernie Sanders.

Vielleicht würde Knave Dave hier selbst erklären, er sei

nicht pro business, sondern Marktwirtschaftler“.

Dieser Blogger verfügt nicht über eine ausreichende Kenntnis des US-Steuersystems um den zentralen Claim Haggiths beurteilen zu können

- dass nämlich die CGT “nicht gerecht” sei. Er ist aus mehreren Gründen aber reflexartig skeptisch, u.a.

  • weil er die Besteuerung nicht für den Hauptgrund der wachsenden Vermögensunterschiede hält (sondern die Zentralbank),
  • weil “Steuergerechtigkeit” ein wichtiges, aber nicht das alleinige Kriterium ist (Sparleistung/Akkumulation von Kapital ist ein weiteres), aber auch weil
  • Haggith für die Aufhebung der Höchstbeitragsgrundlage in der SV- und Krankenversicherung plädiert (was ich “in sytsmatischer Hinsicht” nicht nachvollziehen kann – immerhin handelt es sich um “Versicherungen” und keine Steuern).
  • Darüber hinaus scheint sich Haggith der energetischen Voraussetzungen des aktuellen US-Wirtschaftssystems nicht bewusst zu sein.

Theoretisch gesprochen nimmt Haggith Anstoß an der “Trickle down”-Ideologie vieler Republikaner,

die seit der Reagan-Ära immer wieder aufgegriffen worden sei, die aber niemals funktioniert habe (“Money never trickles down, it bubbles up”).

Trickle down sei auch das Leitmotiv der Trumpschen Steuerreform von 2017, weswegen der aktuelle Präsident nicht der Kandidat von “John und Jane Doe” sei.

Trump habe den Washingtoner Sumpf nicht – wie versprochen – trocken gelegt, sondern ihm bloß “die Türen des Weißen Hauses geöffnet”, ätzt Haggith.

Gegenüber den Parteien sei er äquidistant, beteuert Knave Dave.

Sowohl bei Republikanern wie Demokraten gebe es jede Menge wirtschaftliche Abzocker und gekaufte Politiker

und Politik zulasten von “Mainstreet” sei gleichermaßen von George W. Bush, Barack Obama wie Donald Trump gemacht worden.

Überhaupt sei “chauvinistische” partisanship am schädlichsten, weil sie von den eigentlichen Grundproblemen ablenke.

David Haggith, Downtime. Why We Fail to Recover from Rinse-and-Repeat Recession Cycles. 2020

Unabhängiger Journalist

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