Gernot Wagner ist ein im westlichen Niederösterreich geborener Klimaökonom. Er erläutert in einem vor ein paar Monaten erschienenen Buch, warum nur echtes Stadtleben das Weltklima retten kann – wodurch mithilfe eines kleinen Wiener Verlags ein seit gut 25 Jahren in den USA geführter Diskurs seinen Weg in den deutschen Sprachraum findet. Der Autor “hat zweifellos einen Punkt” – dass urbanes Leben, pro Kopf gerechnet, nämlich einen viel kleineren ökologischen Fußabdruck hat als jenes in den Vorstädten der “Industrieländer”. Das gilt speziell für den Energieverbrauch für “Pendeln” und Raumwärme. “Das Klima/die Erde retten” könnte er mit einer Anti-Suburb-Strategie freilich nicht einmal dann, wenn die Prämissen des CO2-Warmismus zutreffen würden
und die US-Suburbia ihre zusätzlichen CO2-Emissionen (und damit wohl ihre schiere Existenz) einstellen würde.
Wie der Autor (andere zitierend) selbst schreibt, lebt etwa die Hälfte der US-Bevölkerung in Vorstädten, wo pro Kopf um 50% mehr Kohlendioxid emittiert wird als am Land oder in dicht besiedelten “echten Städten”.
Grob gerechnet bedeutet das, dass drei der jährlich emittierten fünf Gigatonnen CO2 “aus den US-Vorstädten” kommen und dass ca. 1.000 Mrd. Tonnen CO2 “eingespart werden könnten”, wenn die US-Suburbs auf wundersame Art auf urbanes Emissionsniveau herab gesenkt würden
- über Zwang oder Überzeugung.
Ein Gigatönnchen wäre aber nur 2,6 Prozent der Weltemissionen von 2019, siehe z.B. hier (BP Statistics 2021 kommt auf Basis einer anderen Metrik auf einen ca. 10 Prozent geringeren Kohlendioxid-Ausstoß von 4,5 Gt).
Im von Wagner propagierten Modell könnten alle der relativ wohlhabenden US-Suburbanites CO2-Tugendbolde werden,
- es würde trotzdem kaum etwas bewirken, so lange Agglomerationen anderswo einen Rückgang der Emissionen aus US-Suburbia “überkompensieren” (wie dies tlw. schon jetzt geschieht)
- der Treibhauseffekt ist seiner Konzeption nach nämlich “global” und eignet sich nur schlecht für einen polit-moralischen Schönheitswettbewerb.
Wenn überhaupt – wenn an der herrschenden CO2-Lehre also etwas dran ist -,
dann könnte nur ein gleichzeitig erfolgender, weitweiter Stop der räumlichen bürgerlichen Expansion (“Suburbanisierung, Wachstum der Speckgürtel”) auch in den “Entwicklungs- und Schwellenländern” etwas bewirken,
bestenfalls verbunden mit dem Stop der dortigen Landflucht/Verstädterung auch der (bisher) “ländlich Armen”.
Der Autor als junger Familienvater
Der Herr Klimaökonom aus Amstetten und Harvard führt die weltweite Explosion der Vororte zwar gewissermaßen der Ordnung halber an, lässt sonst aber nirgendwo erkennen,
dass die Vororte von Bangkok & Kuala Lumpur ebenso zu “Klimaschmutz und -killertum” beitragen wie jene in Kalifornien oder im Rheintal (dass der erste Typus aber deutlich dynamischer wächst).
Es scheint Wagner in seinem Buch um eine an lediglich eine, die eigene Seite gerichtete moralische Standpauke zu gehen, verbunden mit einer quasi-wissenschaftlichen Ehrenrettung der Downtowns, die einen Staatspreis für Public Relations verdienen würde:
Warum sich nicht bewusst für das effiziente Stadtleben entscheiden: als ideal für das tägliche Leben, für die persönliche Balance, für die Familie, für das eigene Wohnklima – und, ja, auch für das Weltklima?”
Wenn der vom Autor berichtete eigene Lebensweg einigermaßen stimmt, ist W. wenigstens keiner, der Wasser predigt und Wein trinkt:
In den 1980ern in einer Suburbia-Frühform in Amstetten groß geworden, verlässt Wagner vor ein paar Jahren mit seiner eigenen vierköpfigen Familie “per Fahrrad, Bahn und Schiff” das bukolisch-gelehrte Cambridge, Massachusetts und zieht 300 km gen Süden in eine 70-Quadratmeter-Wohnung im Herzen von Manhattan
(Lehrverpflichtungen an der New Yorker Universität dürften sich dabei als hilfreich erwiesen haben).
Dort wird heute auf engem Raum effizient gewohnt und die anderen sechs BoBo-Familien im gleichen mehrgeschößigen Gebäude tun es Gernot, Siri, Annan & Sonja gleich – je länger desto öfter.
Die Familie lebt in einem einzigen, Great Room genannten Zimmer. Das erfordert zwar ständiges Aufräumen, dafür latschen die Kids in NYC bei Rot über die Straße (was sie bei den Großeltern in Amstetten nie tun würden).
Naja, in Teil 4, Unterabschnitt Effizienz, führt Wagner anhand von Formeln aus, warum die Stadt so viel umweltfreundlicher ist. Es läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass in der Stadt der Aufwand an Ressourçen und Energie per capita viel kleiner, die Wertschöpfung aber viel größer ist.
Dagegen ist an sich wenig einzuwenden
- auch wenn Grundannahmen & Zählweisen des guten Mannes ansonsten fragwürdig sind und er überhaupt einem abstrusen Kult anhängt, in dem die “Klimawirkung” anthropogenen Kohlendioxids weit über jene der Sonne gestellt wird.
Wagner & Kunstler
Dass Vororte unter Bedingungen post peak oil nicht haltbar sind, sei außer Streit gestellt
- etwas, das der neuerdings zum rechten Verschwörungstheoretiker beförderte James Howard Kunstler schon seit ein paar Jahrzehnten erklärt.
Die Suburbia (nicht nur) american style ist tatsächlich etwas wenig “Zukunftsfähiges”.
Gleiches gilt freilich für die Städte – carbon foot print hin oder her.
Diesen größere Resilienz zu attestieren, wie Wagner das tut, ist eher unfreiwillig komisch. “Im besten Fall” halten gut gemanagte Downtown-Grätzel ein paar Jahre länger durch als schlecht gemanagte Suburbs, die voll mit weltfremden Leuten mit zwei linken Händen sind.
Die echte Landbevölkerung, so das Vorurteil dieses Bloggers, ist in ihrer Überlebensfähigkeit weiter fortgeschritten und von der seit Jahrzehnten verfolgten Dependenz-Agenda noch nicht so durchdrungen wie die Städter.
Das macht die Landbewohner ohne Zweifel widerstandsfähiger – ob ihnen das in letzter Konsequenz freilich etwas nutzt, steht auf einem anderen Blatt.
Gernot Wagner, Stadt – Land – Klima. Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten. 2021
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