Wenn die Geistesgeschichte etwas lehrt, dann dass man in wesentlichen Aspekten irren, dem Grund nach aber recht behalten kann – zum Beispiel frühneuzeitliche Astronomen, die annahmen, dass sich die Planeten um die Sonne bewegten, aber darauf bestanden, dass das in kreisrunden Bahnen geschehe. “Binär gesehen” hatten sie unrecht, lagen in der Hauptsache aber richtig. Ähnliches könnte für die ursprüngliche Peak Oil-Theorie gelten. Der entscheidende Punkt ist nicht, wie viel Öl irgendwo in der Erdkruste liegt, sondern was “in einer Nettobetrachtung” gefördert und energiebilanziell positiv verfügbar gemacht werden kann.
Vorbemerkung: Dieser Blogger hat kürzlich den Begriff “Peak Oil – PO” (in Anführungszeichen) fallen gelassen und damit einen (relativen) Shitstorm ausgelöst – zu 95 Prozent von Leuten, die sich seit zehn Jahren nicht mehr mit der Sache befasst haben, bei denen aber hängen geblieben ist, dass es sich dabei um eine “diskreditierte”, angeblich sogar “widerlegte” Theorie gehandelt habe.
Damit macht man es sich natürlich zu einfach – und tut Deffeyes & Co. prima facie unrecht.
Es ist Aufgabe von Praktikern der Intellectual History nüchtern herauszuarbeiten, was diese Leute gesagt haben und was nicht und wie drauf reagiert wurde
- im “großen Bild” ist das freilich nicht wesentlich.
Im big picture ist vor allem relevant, dass die Menschheit seit 200 Jahren zunehmend “in Energie gebadet”, dass der Zufluss des Badewassers in absehbarer Zeit und aus natürlichen Gründen aber geringer werden wird – ohne dass bis heute ein adäquater Ersatz in Sicht wäre.
Ohne dass dieser Blogger das im Detail studiert hätte, scheinen viele frühe Peakoilistas fälschlicherweise davon ausgegangen zu sein, dass die von ihnen prognostizierte “geologische Situation” unmittelbar inflationäre Folgen haben und gewisse Ölfirmen bzw. -projekte begünstigen würde.
Sie haben, in Investmentchinesisch ausgedrückt, einen “bullish case for oil” gemacht.
Das schien
- durch den “gesunden Menschenverstand” und
- ein naives Verständnis von Angebot & Nachfrage gedeckt zu sein.
Ist es aber nicht wirklich – und Gail Tverberg argumentiert seit Jahren, was als “kontraintuitiv” empfunden werden muss
- dass nämlich rückläufige Nachfrage, niedrige und sinkende Preise und immer mehr ausscheidende “Primärproduzenten” gut zusammenpassen.
Ein ähnliches Szenario ist auch das Credo vom thermodynamic oil collapse (das dieser Blogger bis heute nicht ganz versteht).
Es kann also durchaus sein, dass sinkende Ölpreise und PO miteinander kompatibel sind und dass z.B. ein Preisauftrieb aus Gründen der sinkenden Nettoenergie nicht oder erst in einer späteren Phase kommt.
Eine solche Unsicherheit als “Widerlegung” zu verstehen, ist jedenfalls eher Anzeichen für eine grundlegende intellektuelle Unehrlichkeit.
Aus Sicht dieses Bloggers (der sich seit ca.15 Jahren immer wieder mit dem Thema beschäftigt), entspricht die heutige Situation dem, was ursprüngliche Peakoilistas als “undulating plateau” bezeichnet haben
- also eine Phase konstanten Outputs auf hohem Niveau, bereinigt um Sonderfaktoren – z.B. um den Sonderfaktor NGL (Statistik) oder um die shale revolution in the USA.
Ursprünglich nahm man an, dass das “wellige Hochplateau” ca. ein Jahrzehnt andauern könne und dass die Förderung dann in einen sozusagen symmetrischen Abschwung der Hubbert-Kurve übergehen würde. Es kann aber durchaus sein, dass z.B. das Plateau länger andauert und/oder der Abschwung abrupter ausfällt (“Seneca Cliff”).
Solche Themen sollten keine Glaubensartikel, sondern Gegenstand “informierter Diskussion unter Ölingenieuren” sein.
Indizien für das “Fördermaximum”
Es ist jedenfalls als gutes Zeichen zu werten, dass bisher bei wesentlichen Produzenten ein massiver Abschwung wie z.B. in Mexiko oder Venezuela ausgeblieben ist.
Das zeigt, dass “Technologie einen Unterschied macht”, der wiederum ein Unterschied im Lebensstil ganzer Generationen sein kann.
Am “Ausgang dieses Stücks” können freilich keine Zweifel bestehen – so wie der Tod des Individuums ein existenzielles Faktum ist und bleibt, egal wie gut die Medizin geworden ist (und noch wird).
Das ewige Leben im Diesseits ist jedenfalls auch beim Öl ein nicht haltbarer Mythos.
Das zeigen Phänomene, die als belastbare Indizien, nicht aber als Letztbeweise gelten können, zum Beispiel:
- Der Rückgang von Neu-Entdeckungen, siehe dazu z.B. den Chart von Rystad,
- die Produktionseinbrüche in Staaten, wo kein Kapital, keine Technologie und keine administrativen Möglichkeiten zur Verfügung stehen um die natürliche Erschöpfung zu kompensieren bzw. zu maskieren. Matt Mushalik dokumentiert in seinem Blog unter “Global Peak” Dutzende Beispiele dafür,
- die sich ändernde Qualität der Förderung, siehe z.B. hier oder
- der sinkende Erntefaktor/EROEI, siehe dazu z.B. Charles Hall & Kent Klitgaard.
Jedes einzelne dieser Themen benötigte eigentlich umfangreiche Betrachtungen und manchmal ist nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint.
Die Situation gleicht aber keineswegs der ex- oder impliziten Darstellung durch die Journaille: dass nämlich die Versorgung mit den dichtesten und flexibelsten der in der Weltgeschichte bekannten Treibstoffe kein Problem sei – oder höchstens eines für das “Weltklima”.
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