Der erste der vielen Untergänge Roms – Stilicho und Alarich

Ein US-amerikanischer Autor und Erzähler hat die letzten 30 Jahre vor dem berühmt-berüchtigten Sacco di Roma im Jahr 410 unter die Lupe genommen und daraus eine Art Doppelbiographie des weströmischen Kaiser-Ziehvaters und Regenten Stilicho sowie des Gotenkönigs Alarich gemachtcover_hollway_resized – für Geschichts-Fexe, wie dieser Blogger einer ist – faszinierender Stoff (wie Mr. Spock sagen würde). Aber Hollway macht aus den Vorgängen das moralische Lehrstück vom unbedankten Migranten, damals meist ein Barbar germanischer Abstammung. Dieser Blogger stimmt nicht ganz zu. Das Schicksal der sg. Ewigen Stadt ist für ihn letztlich in der Kontrolle des Energieflusses begründet  (z.B. in Form von Nahrungsmitteln).

Hollway ist kein Uni-Gelehrter, aber er hat die verfügbaren Quellen und wohl auch die Sekundärliteratur studiert und kann idR besser erzählen als seine Kollegen aus der Academia

(seine dem wirklichen Leben entnommenen Stöffer sind freilich konkurrenzlos gut).

“At the Gates of Rome” umfasst den Zeitraum zwischen Adrianopel 378 und dem Auszug der “Visigoths” aus der italienischen Halbinsel um ca. 412

- das bereits unter Alarichs Nachfolger Athaulf.

Zwei Jahre vorher, ein paar Monate vor dessen Tod, plünderten Alarichs Goten das bis dahin scheinbar allmächtige, sagenumwobene caput mundi – ein schon für die Zeitgenossen unerhörtes Ereignis, das

  • seit Brennus Tagen, 800 Jahre vorher, nicht vorgekommen war
  • und das sich danach zu einem regelrechten Trauma für ganz Europa entwickelte. Es gab im 5. und 6. Jahrhundert noch ein paar andere “Untergänge Roms”, aber keiner von diesen – nicht einmal die Vandalen etwa 50 Jahre später – grub sich derart tief in die kollektive Psyche ein wie der erste, gewissermaßen originale Sack of Rome.

Der erste Teil von Hollways Buch befasst sich mit der Epoche noch bevor Flavius Stilicho und Alarich die Bühne der Geschichte betraten

- im Wesentlichen mit der Regierungszeit von Theodosius dem Großen,

des letzten faktisch gesamtrömischen Kaisers. In den 15 Regierungsjahren von Theodosius I. wurde die Welt grundgelegt, in der die Belagerungen und die Plünderung Roms 408 – 410 spielten. Zwei Fakten waren speziell bedeutsam:

  • Erstens fasste Theodosius den Entschluss, das Reich unter seinen (legitimen) Nachfahren aufzuteilen – eine Entscheidung, die sich auch real verfestigte (frühere Reichsteilungen bestanden oft nur auf dem Papier). Das hatte zur Folge, dass Theodosius minderjähriger leiblicher Sohn, Honorius, Kaiser der weströmischen Reichshälfte, in Mailand und Ravenna unter den Fittichen von General Stilicho aufgezogen wurde, eines “halben Barbaren”, aber intimen Kenners sowohl der damaligen Diplomatie als auchVertrauensmannes der Soldateska. Dieser Halb-Vandale “kannte seine Pappenheimer”, sowohl die in Konstantinopel als auch die Goten (und auch die in Ravenna, Rom und der Auvergne).
  • Zweitens gelang es den “Oströmern” in diesen Jahren, die Goten, die man 375 im heutigen Rumänien über die Donau gelassen hatte und von denen man 378 krachend besiegt worden war, zu einem “weströmischen Problem” zu machen, oder positiv formuliert: “zu einem  Chip an jenem Tisch, an dem auf höchster Ebene Machtpoker gespielt wurde”. Der in Konstantinopel regierende Theodosius schloss 382 Frieden mit den unbequemen gotischen foederati, die er einerseits als Soldaten brauchte, die andererseits aber “ständige Troublemaker” waren. Man ließ ihnen 382 weitgehend freie Hand. Aus irgendeinem Grund zog es diese Völkerschaft permanent in die nordwestliche Richtung. Die Goten entwickelten sich zu einer Mischung aus “beweglichen Siedlern” auf dem Boden des Reichs und einer ethnisch-kulturell-religiös homogenen riesigen Räuberbande, die die illyrischen Bauern auspresste. Das letzte Hauptquartier des Alarich (vor seinem “ultimativen Ausflug nach Italien”) lag in Virunum im heutigen Kärnten, wo ihn auch die Nachricht von Stilichos Tod erreichte.

Der zweite Teil von Hollways Darstellung befasst sich mit den “mittleren Jahren” 395 – 408, in denen Stilicho als Regent in Mailand und Ravenna mächtig war, aber strikt im Namen seines legitimen Mündels Honorius agierte (agieren musste).

In diesen Jahren wurde der womöglich noch in Rumänien geborene Alarich unumstrittener Häuptling der Goten,

und damit zu einem gewichtigen Faktor in der komplizierten und brutalen “römischen Innenpolitik”.

Der General & der “Jolly Joker der römischen Innenpolitik”

Den Endpunkt dieses Groß-Kapitels bildet der Tod Stilichos, der mit Billigung seines Ziehsohns Opfer eines Machtkampfes an dessen Hof wurde.

Der ausgefuchste Stilicho, für Honorius sicherlich eine “übermächtige Vaterfigur”, bekämpfte in den mittleren Jahren Alarich an dem einem Tag schon mal militärisch,

um kurz danach ein Bündnis mit dem soeben Bekämpften zu schließen – je nach vermeintlicher Opportunität und Tagesbedarf.

Alarich, der am Schlachtfeld von Stilichos Truppen in der Regel besiegt wurde, war damals gewissermaßen nur einer von fünf bis sieben in der Luft befindlichen Bällen, mit denen der weströmische Kaiser (oder dessen Chef-Ezzesgeber) jonglieren musste.

Nach Hollways Darstellung waren die Goten vergleichsweise friedlich und Alarich selbst ein im Grund moderater “Verständigungspolitiker”, der primär römische Ämter und Würden anstrebte 

- was ihm – speziell nach dem Sturz Stilichos – vom teils “fremdenfeindlichen” Kaiserhof  aber verwehrt worden sei.

Auch die Stadt Rom soll in dieser wohl aus der Gegenwart importierten Perspektive ziemlich rassistisch-fremdenfeindlich gewesen sein.

Da könnte was dran sein.

In “Roma Aeterna” herrschte von der Senatsaristokratie abwärts eine gereizte antigermanische Stimmung, die wohl auch von den Feinden Stilichos in Ravenna ausgenutzt worden ist

- und der Umstand, dass sich Alarich aus seinen militärischen Niederlagen persönlich unbeschadet immer wieder “herauswursteln” konnte, ist tatsächlich verdächtig

(üblicherweise verloren anno dazumal geschlagene Generäle/Feldherren auch ihr eigenes Leben).

Aber eine Barbaren-Verschwörung zwischen einem arrivierten halben Vandalen und einem römischen “Neubürger” gotischer Abstammung war das wohl auch keine.

Das mag manchen Zeitgenossen damals so erschienen sein und das ist natürlich in keinster Weise die Position unseres Autors -  im Gegenteil.

Ein Friedenspolitiker jedoch, der am mangelnden Verhandlungs- und Assimilationswillen der alteingesessenen Römer scheiterte, war Alarich auch nicht.

A. war ein Heerführer, der zwar die Zivilisation Roms bewunderte und der vielleicht selbst ein Römer sein wollte – für den im Zweifelsfall aber “die eigenen Leute Vorrang hatten”.

Und natürlich war er ein Räuberhauptmann und Schutzgelderpresser (wie dieser Blogger meint).

Der dritte Teil von Hollways Buch, (“AD 408 – 410″) ist schließlich, warum die Käufer/Leser zu dem Buch gegriffen haben

- um nämlich mehr über den “Fall of the Eternal City” zu erfahren.

Chronologisch  gesehen ist diese Struktur untadelig, aber sie erweckt beim schnellen Leser den Eindruck, als wären Alarich und sein Haufen erst nach dem Fall Stilichos nach Rom aufgebrochen – was nicht richtig ist.

Alarich wollte schon zu Lebzeiten Stilichos Gold und Silber aus der Welthauptstadt, scheint von St. dabei aber “moderiert” worden zu sein (das ist eine Interpretation).

Seine ursprüngliche Forderung von 4.000 (römischen) Pfund Gold ist jedenfalls nicht allzu hoch und war für die vermögenden Römer zweifellos “zu stemmen”.

Einige Senatoren haben in dieser Angelegenheit später vermutet, dass Stilicho und Alarich unter einer Decke steckten und das ist – ohne dass es Beweise gäbe – nicht ganz von der Hand zu weisen; schließlich war aus Sicht des Kaisertums die vermögende Senatsaristokratie in Rom ein “pain in the ass” und Ravenna

sah es vielleicht mit klammheimlicher Genugtuung, wenn besagte Leute “ein bisschen Gold” (und/oder andere Tribute) abdrücken mussten.

Wie dem auch sei – für manche der Senatoren, die hier zur Kasse gebeten wurden, sah es aus, als machten Stilicho und Alarich gemeinsame Sache

und diese Vermutung mochte beim Sturz und der Ermordung Stilichos im August 408 auch eine Rolle gespielt haben. Entsprechend den damals geltenden Regeln mussten im Lauf der Zeit auch die Freunde, die Frau und der leibliche Sohn des Generals dran glauben.

Die ganze Sache wäre trotzdem eher egal gewesen, wenn der weströmische Kaiser bei dieser Gelegenheit nicht seinen fähigsten Mann um die Ecke hätte bringen lassen.

Das rächte sich nicht gleich – und vor allem tat es das nicht in Ravenna, sondern in Rom, das dem jugendlichen Honorius anscheinend ziemlich egal war.

Schlachtfeste in der Ewigen Stadt

Ravenna jedenfalls war gut befestigt und relativ leicht zu verteidigen.

Alarich packte die günstige Gelegenheit beim Schopf und marschierte mit ein paar zehntausend Goten nach Rom, das er zu belagern begann.

Im Unterschied zu bisherigen Gepflogenheiten versuchten seine Krieger aber gar nicht erst, blind gegen die erst jüngst verstärkte Aurelianische Stadtmauer anzurennen.

Sie fingen stattdessen die Versorgungsschiffe ab, die am laufenden Band 15 Kilometer flußabwärts landeten, in Portus und Ostia, wo der Tiber ins Meer mündete.

Mit dem von diesen Schiffen gebrachten Getreide und Öl – hauptsächlich aus Afrika – war die Metropole über Jahrhunderte versorgt worden (Rom benötigte ca. 500 Tonnen Getreide pro Tag)..

Das Vorgehen der Goten verursachte bei den eingeschlossenen Römern Hungersnot und Krankheiten, sodass man in der Stadt bald nicht mehr wusste, wo man mit den vielen Leichen hin sollte.

Derweil taten sich die Belagerer an den requirierten Nahrungsmitteln gütlich.

Das änderte sich im folgenden Jahr, als Alarich Rom zunächst erneut angriff,

dann aber zu einem Kompromiss mit der dortigen Senatsaristokratie gelangte, aus deren Mitte er einen zum Kaiser ausrufen ließ.

Dies blieb dem Gouverneur von Africa, einem (damals noch) Honorius-Loyalisten nicht verborgen. Besagter Heraclianus dachte nicht im Traum daran, Rom und dessen Kaiser von Alarichs Gnaden über den legitimen weströmischen Herrscher in Ravenna zu stellen

- weswegen er umgehend die Schiffe mit dem afrikanischen Getreide nach Ravenna bzw. Classis umleiten ließ.

Bei der dritten Belagerung, 410, hatten weder die Römer noch die Goten etwas zu essen

-  jener Offizier, der zwei Jahre zuvor mit eigenen Händen Stilicho exekutiert hatte und der nun Kommandeur der afrikanischen Provinzen war, stellte das sicher.

Trotzdem umzingelten die ungewaschenen Germanen-Krieger die Urbs erneut, wohl weil dort nachweislich so viel Gold und Silber lagerte und es vor Ort jede Menge bis vor kurzem unerreichbare junge Frauen geben sollte.

Anders als früher fand sich diesmal aber jemand, der am 24. August 410 von innen die im Nordosten der Stadt gelegene Porta Salaria öffnete,

woraufhin ein drei Tage währendes Plünder- und Schlachtfest begann. Die Horden der Eroberer wälzten sich über die Sallustischen Gärten und Diokletiansthermen nach Süden,

steckten am Marsfeld und Kapitol Weihestätten & öffentliche Gebäude an und plünderten die Nobelviertel am Caelius und Aventin. Auch die Aquädukte, die Rom mit Wasser versorgt hatten, wurden zerstört.

Echte Augenzeugenberichte davon scheinen freilich keine überlebt zu haben.

In den Slums war nicht viel an tragbarem Reichtum zu holen, aber man darf davon ausgehen, dass die Unterbrechungen der Getreidelieferungen aus Nordafrika dort einen besonders hohen Blutzoll forderten.

Nach der Darstellung speziell christlicher Autoren soll das Kirchenasyl noch funktioniert haben. was aber – sollte es stimmen -  nur ganz wenige gerettet haben kann.

Im Großen und Ganzen sahen Augustinus, Hieronymus & Co. das Ereignis als ein Gottesgericht an, das eine noch immer teilweise heidnische, heillos sündige Stadt zerstörte

(und mit dieser einige wenige Gerechte ins Verderben riss). Das organisierte Christentum trage daran jedenfalls keine Schulld.

Nach drei Tagen zogen die Goten, arianische Christen, über die Via Appia nach Süden ab und die direkten Auswirkungen und indirekten Folgen dieses Schocks hätten die Einwohnerzahl Roms praktisch halbiert, schreibt Hollway.

In weiterer Folge erholte sich die römische Population erneut, erreichte aber nie wieder auch nur annähernd jene Million, die Rom in den besten Zeiten des Imperiums gehabt haben soll.

Alles in allem sind die von Hollway erzählten Vorgänge für diesen Blogger weniger ein Hinweis auf den Charakter der Goten oder ihres Anführers als vielmehr ein Paradebeispiel dafür,

dass und wie die Kontrolle der verderblichen Energieflüsse und des unverderblichen, in Edelmetall geronnenen “energy equivalent value” den Lauf der Dinge bestimmt.

Don Hollway,  At the Gates of Rome: The Fall of the Eternal City, AD 410. 2022

Unabhängiger Journalist

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