Erdgas in Ö: Ein buchstäblich wahres Lügendickicht?

Das österreichische Energieministerium und die diesem zuarbeitende E-Control haben am Montag eine Aussendung veröffentlicht, die alle Anzeichen von Desinformation trägt. Die primären Kommunikationsziele des Gewessler-Ressorts – Beschwichtigung der Öffentlichkeit und Suggerieren von “Fortschritt” – wurden dabei erreicht, weil die hiesige Journaille unkritisch übernahm, was ihr von offizieller Seite vorgesetzt wurde. Die spezielle Pointe scheint zu sein, dass die von der E-Control gelieferten Zahlen “tel quel” wohl richtig sind, dass diese aber etwas anderes aussagen als unsere Journos annehmen – das Ergebnis intensiver Arbeit an Formulierungen, bewusster Vagheit und gezielter Weglassungen bzw. Ausblendungen von relevantem Kontext. Es ist jedenfalls vollkommen unsinnig zu glauben, dass die östliche Alpenrepublik den Ausfall von sechs der neun verbrauchten Milliarden Kubikmeter Gas einfach wegstecken könnte. Eine Reinterpretation.

Die ministerielle Wortrmeldung scheint in zeitlichem Zusammenhang mit neuen Grafiken zu stehen, die im sg. Infoportal zur Energiesituation publiziert werden. 

Die bekannt gegebenen Daten bleiben freilich weit hinter den ihrerseits nicht ganz vollständigen Informationen zur Gasversorgung der deutschen Bundesnetzagentur zurück – siehe hier.

1.) Die zutiefst problematische Darstellung der Gewessler-Ministerialen beginnt damit, dass der behauptete Füllstand auf die Kapazität der in Österreich liegenden Speicher bezogen wird

- was in vielen Fällen trügerisch wäre – hier zufälligerweise aber nicht ist, weil der österreichische Jahresverbrauch und die hiesige Speicherkapazität fast identisch sind.

Aber die Metrik taugt bestenfalls dazu, den Leuten Sand in die Augen zu streuen

und unsere mehrheitlich inkompetenten Journos können oder wollen das nicht kapieren.

Wenn die vom Ministerium verwendete Metrik etwas aussagen würde, stünde das Vereinigte Königreich am besten da, weil dessen Speicher zu 100 Prozent gefüllt sind. Dieser Wert entspricht laut AGSI  aber nur 10,4 TWh – während die Briten pro Jahr umgerechnet fast 770 Terawattstunden verbrauchen.

2.) wird der irrige Eindruck erweckt, dass sich Österreich im vergangenen halben Jahr weitgehend vom Erdgas des “Aggressors Russland” unabhängig gemacht habe, indem der Importanteil der Ruskis im vergangenen Februar mit 79 und jener im September mit 21 Prozent beziffert wird.

Das ist mit großer Wahrscheinlichkeit aber ein Darstellungs-Trick, der darauf beruht, dass Russland im September kaum mehr geliefert hat.

Wie viel Russland im September 2022 real noch geschickt hat, ist exklusives Herrschaftswissen einer Handvoll von E-Control-Leuten, Ministerialbürokraten und OMV-Mitarbeitern.

Wie die nachbarliche Bundesnetzagentur seit Monaten klar macht, kriegt Deutschland seit August weder Russen-Gas von der Nordstream noch welches über den durch SK und CZ laufenden nördlichen Arm der Transgas. Warum sollte das nicht auch für die Südleitung über Baumgarten gelten?

Auf ähnliche Weise wird das sich demokratisch nennende Politgesindel übrigens auch die seit langem ersehnte Explosion des E-Auto-Anteils erreichen können. Wenn die Zulassung von Verbrennern erst einmal verboten ist, werden die Neuzulassungen von Elektroautos gegen 100 Prozent tendieren.

Ob es sich dabei um ein paar hundert oder ein paar tausend Fahrzeuge handelt, wird man sehen.

3.) Abzuwarten bleibt auch, was die in österreichischen Speichern verbuchten 91,2 Twh wirklich wert sind. Dieser Blogger ist u.a. hier zum Verständnis gelangt, dass sie AGSI-Zahlen Buchwerte sind, die real teilweise erst in den Wintermonaten geflossen sind.

Die Russen liefern, wie gesagt, aber nicht mehr – und werden das in den kommenden Monaten wohl auch nicht ändern.

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Trotzdem könnte es sich diesmal noch einmal ausgehen.

Die einzige Institution, die das heute realistisch beurteilen kann, ist die E-Control, die wissen müsste, wie viel von den verbuchten 91 TWh bereits vor Ort sind

bzw. wie viel nach menschlichem Ermessen noch zufließen wird.

Wichtige Einflussfaktoren werden natürlich das Wetter sowie das Agieren der auf Gas angewiesenen Industriebetriebe sein – und natürlich die Regierung/Sozialpartner, die qua Energielenkungsgesetz auf 68 TWh Firmen-Gas zugreifen können.

So ein Vorgehen würde nicht nur Händler treffen, sondern auch Produktionsbetriebe, die ggf. “als Last abgeworfen werden können” (um eine Analogie zum Stromnetz herzustellen).

Man kann davon ausgehen, dass eine Umverteilung in die Haushalte politisch höchst populär wäre.

Aber sie würde eigentlich einem vorzeitigen Verzehr jenes Saatguts entsprechen, das für den Anbau im nächsten Jahr bestimmt ist.

In der Heizsaison 2021/22  ist es sich jedenfalls knapp noch einmal ausgegangen.

Aus dem Gedächtnis dieses Bloggers: zu Beginn des vergangenen Winterhalbjahrs lag der Storage-Stand in Österreich bei ca. 54 TWh – ein Negativrekord – und der Tiefpunkt war im folgenden März bei etwa 12 TWh erreicht

(der Beginn des Frühlings ließ dann freilich noch zwei Monate auf sich warten).

Sollte der Winter diesmal milder und kürzer ausfallen und sollten z.B. einige bisherige Großverbraucher das “Handtuch werfen”, muss es nicht einmal zu einer Verstaatlichung bzw. Umverteilung an die Haushalte kommen.

Die Frage wäre dann “nur”, wo im nächsten Frühjahr das Gas herkommen soll, um die leeren Speicher wieder zu füllen.

- aus den USA, Norwegen und Algerien jedenfalls kaum.

Unabhängiger Journalist

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