Der Engländer Douglas Murray hat in seinem Strange Death of Europe den Alten Kontinent und seinen Todeswunsch brilliant analysiert. Das Buch beantwortet manche Fragen, lässt zwei zentrale aber offen: Was bewegt die hiesigen politisch-medialen Eliten, mit einer historisch einzigartigen Doppelmoral ungleich strengere Maßstäbe an die eigenen Leute anzulegen als an andere – und: Warum haben die nicht dazu Gehörenden denen nicht schon längst das Handwerk gelegt? NB: Douglas Murray im YT-Video über Multikulti.
Europa begeht Selbstmord – wenigstens haben die europäischen Führer beschlossen, Selbstmord zu begehen. Ob die europäischen Völker da mittun, ist natürlich eine andere Frage.”
So beginnt Murray sein vor drei Monaten erschienenes Buch, das in Großbritannnien lebhaft diskutiert und in Kontinentaleuropa geflissentlich ignoriert wurde.
Katalysatoren des Murrayschen Suizids sind die Masseneinwanderung fremder Völker gepaart mit existenzieller Müdigkeit bzw. dem weit verbreiteten Gefühl am Ende angekommen zu sein, denn (wörtliche Zitate in eigener Übersetzung):
Mehr als andere Kontinente und Kulturen der heutigen Welt ist Europa von der Schuld für seine Vergangenheit tief niedergedrückt.”
Europa, schreibt der Autor, ein homosexueller Atheist, der sich selbst als Kulturchrist definiert, habe sich während seiner Geschichte zwar ständig verändert, aber nur langsam und innerhalb von Grenzen.
Das Problem ist nicht die Akzeptanz von Wandel, sondern (…) dass, wenn der Wandel zu schnell geht oder wenn die Veränderungen zu groß sind, wir zu anderen werden, vielleicht zu jemandem, der wir nie sein wollten.”
Die hiesigen Völker wüssten
dass sie nicht einfach zu etwas werden können, was sie (wir) werden wollen. Wir können beispielsweise nicht indisch oder chinesisch werden. Und doch sollen wir glauben, dass aus der ganzen Welt jeder nach Europa ziehen und europäisch werden kann.”
Die ganze Welt komme nun hierher,
genau in einem Moment, in dem Europa aus den Augen verloren hat, was es ist. Bei einer starken und selbstbewussten Kultur mag das funktionieren – nicht aber bei einer schuldigen, erschöpften und sterbenden Kultur.”
Die Optionen für eine kulturelle Selbstverteidigung erschienen, weil als rassistisch gebrandmarkt, jedenfalls nicht akzeptabel, schreibt Murray mit Seitenblick auf die österreichische FPÖ und die deutsche AfD.
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Das letzte Kapitel des langen europäischen Selbstmords setzt Murray mit der Merkelschen Grenzöffnung vom September 2015 an.
Der Autor, der für seine Recherche monatelang in Europa gereist ist, schildert eine Diskussion, die er mit einem namentlich nicht genannten Bundestagsabgeordneten hatte,
in dem dieser, ein treuer Merkel-Unterstüzer, argumentiert habe, dass jetzt (2016) ja ohnedies “nicht mehr so viele Flüchtlinge kämen” – ohne anzuerkennen, dass dies die Folge verdeckter nationalstaatlicher – wohl auch deutscher – Politiken sei.
Er war bereit, das Leid der Migranten geltend zu machen und (staatliche) Grenzen zu verdammen, gleichzeitig aber vorzugeben, dass sich der Wanderungsstrom von selbst verlangsamt habe. Auf diese Weise hat sein Gewissen einen Kompromiss mit seinem Überlebensinstinkt schließen können.” (eigene Hervorhebung)
In Deutschland gebe es seitens der politischen Klasse in Nebenfragen wahltaktisch motivierte “Schuldbekenntnisse”, aber kein Anzeichen einer ernst zu nehmenden Umkehr.
Das gelte freilich auch für den Rest des Kontinents.
Während der Migrationskrise (jedenfalls) glaubten nicht nur die open border-Aktivisten, dass es eine vernünftige Politik wäre, die ganze Welt an Bord zu holen, sondern auch die Mitglieder der griechischen Regierung – und die aller europäischen Regierungsparteien.”
Diese Haltung sei aus unterschiedlichsten Gründen eingenommen worden – hochherzigen und egoistischen.
In Großbritannien jedenfalls sei es für einen Politiker nicht möglich eine immigrationskritische Haltung einzunehmen, weil er dann von den tonangebenden Medien und seinen Kollegen in der Luft zerrissen und existenziell vernichtet würde.
Mach’ einen Fehler bei einer Fernsehdiskussion über das Budget – und du wirst finanziellen Unwissens (..) bezichtigt werden. Aber nickst Du in die Richtung einer überwältigenden öffentlichen Stimmung zum Thema Immigration – oder sprichst gar darüber -, dann stehen deine Reputation, deine Berufslaufbahn und deine Lebensgrundlagen auf dem Spiel.”
Den ideologischen Nährboden für diese Gestimmtheit sieht Murray in einem Phänomen, das der französische Philosoph Pascal Bruckner Tyrannei der Schuld genannt hat – natürlich in Deutschland, aber auch in älteren Kolonialreichen wie England und Frankreich
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Dahinter verberge sich der Gedanke von der Erbsünde und dass die heutigen Generationen irgendwie für die Untaten ihrer Vorfahren verantwortlich seien.
Da reise schon einmal ein Engländer, der erfahren habe, dass einer seiner Vorfahren im 16. Jahrhundert Sklavenhändler gewesen sei, nach Westafrika und bitte eine Menge amüsierter Gambier um Verzeihung, schreibt Murray.
Eine amerikanische Delegation sei zu Jassir Arafat gefahren, um für die Kreuzzüge um Pardon zu ersuchen.
So etwas gebe es außerhalb des Westens sonst nirgendwo – und von niemandem sonst werde Vergleichbares erwartet.
Ja – die europäischen Kreuzritter hätten in Palästina grausame Taten begangen – so wie die Mongolen, die Mitte des 13. Jahrhunderts (auch) über den Mittleren Osten hergefallen sind.
Darüber werde heute wenig geredet, und Entschuldigungen seien auch kein Thema,
nicht nur, weil es schwierig wäre, die Nachfahren der Mongolen zu finden, sondern auch, weil keiner dieser Nachkommen Verständnis dafür hätte, für die Grausamkeiten seiner Vorfahren beschuldigt zu werden.”
Aber die europäische Erbschuld findet auf geheinnisvollen Wegen auch Zugang zu Ländern, bei denen man sich auf den ersten Blick schwer tut, besondere “Sünden” zu entdecken.
Beispielsweise in Schweden, das kein Kolonialreich war, das zuletzt vor 300 Jahren militärisch jenseits seiner Grenzen operierte und das im 2. Weltkrieg neutral war.
Auch wegen des Selbstverständnisses als humanitärer Großmacht haben die schwedischen Entscheidungsträger viele Hunderttausend Einwanderer aufgenommen, womit viele ihrer Landsleute insgeheim nicht einverstanden waren.
Die Folgen sind, dass es in etlichen schwedischen Städten no go areas gibt, aber auch, dass die von den traditionellen Medien verabscheuten, “rassistischen” Schwedendemokraten zur stärksten bzw. zweitstärksten Partei herangewachsen sind.
Aber nicht nur im Norden würden die Leute immer verbitterter und radikaler, konstatiert Murray – und das sei angesichts ständiger Beschönigungen und Lügen kein Wunder.
Wenn du lang genug, gegen klare Beweise vorschützt, dass alle Ankünfte Asylsucher seien, wirst du eine Bewegung erzeugen, die glaubt, dass es keiner ist.”
Mit jedem Tag werde die Chance auf ein europäisches soft landing geringer, sagt Murray. Die Völker würden den Politikern nicht vergeben.
Eine ganze politische Klasse hat nicht mitgekriegt, dass wir, die wir in Europa leben, jenes Europa lieben, das das unsere war. Wir wollen nicht, dass die Poliiker durch Schwäche, Selbsthass, Müdigkeit oder Verzicht unsere Heimat in einen völlig anderen Ort verwandeln.
Für die Europäer scheint es keine anständigen Antworten mehr zu geben. Auf diese Art wird letztlich der Todesstoß erfolgen.”
Douglas Murray, The Strange Death of Europe. Immigration, Identity, Islam. 2017
Piroska Farkas, Douglas Murray: Der seltsame Tod Europas
Nachbemerkung: Hier ist ein 11 Minuten-YT-Video mit Douglas Murray über die “Multikulturelle Lüge”:
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