Die Hl. Familie und die Flüchtlinge

Gerard_van_Honthorst_001Papst Franziskus soll bei der diesjährigen Christmette “zu Willkommenskultur” aufgerufen haben, wie beispielsweise Die Welt berichtet. Das zeigt eine in den Mainstream-Medien häufige Mischung aus offiziöser Heuchelei, Halbwahrheiten, Unwissen und Volks(aber)glauben.

Korrekt ist, dass der Papst die Heilige Familie mit den heutigen Migranten aus Nahost und Afrika verglichen hat, die auf der Suche nach einem besseren Leben oder sozialstaatlicher Versorgung nach Mitteleuropa wandern.

Korrekt ist auch, dass Franziskus mit gezielt gewählten Worten eine Analogie zur Heiligen Familie gezogen hat, die vor Herodes Mordbefehl nach Ägypten geflohen ist.

Das war nun tatsächlich eine echte “Flucht vor politischer, religiöser etc. Verfolgung”.

Herodes wollte damals nämlich alle männlichen Säuglinge seines Landes umbringen lassen – und Joseph und Maria flüchteten mit dem Kind, von einem Engel gewarnt, vor den Mordbuben des Königs.

Das ist aber – wie ich behaupte – nicht, was die heutigen Katholiken zu verstehen glauben, in deren Kopf Halbwissen & Volksglauben eine seltsame Symbiose eingehen (die sich politisch nutzbar machen lässt).

Was alles nicht zusammenpasst

Die heutigen Schäfchen verstehen nicht Matthäus 2,13-18, sondern Lukas 2,1-5, der – offenbar wenig verlässlich – über die Reise von Nazareth nach Betlehem berichtet, die Joseph und Maria vor der Geburt Jesu unternahmen.

Stichwort “Herbergssuche”, ein wahrscheinlich im kolonialen Lateinamerika entwickelter, im 17. Jahrhundert nach Mitteleuropa transferierter Volks(aber)glaube.

Auf dem Lukas-Evangelium aufbauend, werden Joseph und Maria dabei als arme Menschen gezeichnet, die auf dem Weg nach Betlehem (und dortselbst) von hartherzigen, potenziellen Quartiergebern abgewiesen werden. Der Grund der Reise sei ein Zensus zur Erfassung künftiger Steuern gewesen, schreibt der Evangelist.

Chris und Jenifer Taylor, zwei Anglikaner, die sich seit Jahrzehnten mit der historischen Geographie des Heiligen Landes beschäftigen, sind eher der (begründeten) Meinung, dass

  • der Zensus erst elf Jahre nach Jesu Geburt durchgeführt wurde und dieser daher als Motiv der 120 Kilometer langen Reise von Galliläa nach Judäa ausscheidet; dass
  • Maria und Joseph als fromme Juden wohl kaum “Herbergen” frequentiert hätten, in denen sie zusammen mit Ungläubigen (Nicht-Juden) nicht-koscheres Essen zu sich nehmen hätten müssen und dass
  • Jesus Krippe im Erdgeschoß im Haus des Bruders von Joseph stand, der in Betlehem wohnte (in den Gästeräumen im ersten Stock seines Hauses hätten wohl gerade andere Besucher gewohnt.)

Klar ist jedenfalls, dass Joseph und Maria vor der Geburt nicht verfolgt wurden.

Wahrscheinlich sollte der erwartete Nachwuchs einfach in Josephs Heimatdorf zur Welt kommen.

Die Flucht nach Ägypten, die erfolgte um das Kind zu retten. Hier bestand tatsächlich eine Verfolgungssituation, weil König Herodes – offenbar ein ziemlicher Psychopath – beschlossen hatte, pauschal Neugeborene umzubringen.

Die Reise nach Ägypten soll über mehrere hundert Kilometer zuerst nach Westen und dann gen Süden gegangen sein, den Nil entlang.

Dazu gibt es keine “Belege” aus dem Neuen Testament, sondern lediglich einige, viel später erfolgte “Geschichtsrekonstruktionen (-projektionen)” koptischer Christen.

Bei ihrer Flucht dürften Joseph und Maria von den vor allem im Nildelta zahlreich vorhandenen Glaubensgenossen beherbergt worden sein. Etwa zwei Jahre später, nach dem Tod von Herodes, kehrte die Heilige Familie nach Nazareth zurück (Matthäus 2,19-23).

Also:

  • Vor der Geburt Jesu bestand für dessen Eltern kein (bekanntes) Motiv für eine Flucht und es ist fraglich, ob sich die später zur Herbergsuche ausgeschmückte Quartierfrage tatsächlich so gestellt hat, wie Lukas 70 Jahre später andeutet.
  • Monate nach der Geburt Jesu mussten Joseph, Maria und das Kind tatsächlich in mehrheitlich nicht-jüdisches Gebiet fliehen. Dass sie dabei zurückgewiesen worden wären, wird freilich weder in der Bibel behauptet noch wird es in einer später entstandenen frommen Legende erzählt.
  • Nach dem Ende der Verfolgung kehrte die Heilige Familie unverzüglich nach Hause zurück.

Das ist die halb faktische Basis, auf der der Papst die Heilige Familie mit jenen 1,2 Millionen “Flüchtlingen” (68 Prozent männlich) verglichen hat, die 2016 in die EU migrierten, 70 bis 80 Prozent von ihnen in die Sozialstaaten Mitteleuropas.

Bild: Gerard van Honthorst [Public domain], via Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

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