Ein Plädoyer für die Klimadiktatur – Neue Gründe für die Revolution

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Naomi Klein, 2008 in Warschau

Naomi Kleins This changes everything ist ein Buch über den Klimawandel, in dem das natürliche Phänomen selbst keine Rolle spielt. Die Autorin versucht, die Abschaffung des Kapitalismus zu begründen und erläutert, wie die erwartete Klimakatastrophe Grünbewegte, Progressive und  Landlose, kurz: die weltweit Vielen zu einer revolutionären Kraft zusammenschweißen wird, um die weltweit Wenigen und deren “neoliberale Ordnung” zu beseitigen. Eine nicht angeforderte Buchbesprechung.

Der Untertitel des kürzlich erschienenen Wälzers, “Capitalism vs. the Climate”, gibt prägnant den Antagonismus an, der nach Meinung der Autorin am Werk ist: Wirtschaftsliberale Kapitalisten, vornehmlich die aus der extraktiven Industrie, haben eine existenzielle Krise für die menschliche Gattung verursacht, einen Ökozid, einen (versuchten) Mord an den natürlichen Lebensgrundlagen des Volks. Sie dürfen/müssen daher gestürzt werden.

This changes everything nimmt die Form einer Rechtfertigung für eine Art sozialistische Revolution an, wobei Klein diesen Begriff selbst nicht in den Mund nimmt (wahrscheinlich, um nicht mit dem verblichenen realen Sozialismus in einen Topf geworfen zu werden). Die Kanadierin stellt sozusagen die These ihres letzten Buches, die Schock-Doktrin auf den Kopf und erklärt, dass Krisen günstige Gelegenheiten für den Aufbau einer neuen Wirtschaft sowie der dazupassenden Gesellschaft sind. Sie sagt: Schocks eignen sich nicht nur für reaktionäre politische Projekte. Das ist eine Kerndoktrin des leninistischen Bolschewismus.

Der Fairness halber muss gesagt werden: Die Modeschriftstellerin distanziert sich von der zentralistischen Parteidiktatur nach Sowjet-Muster. Sie scheint eher dem jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus, manchmal auch einem skandinavisch-sozialdemokratischen Modell anzuhängen.

Es ist aber sonnenklar, dass sie auf einem durch und durch antiliberalen und staatsgläubigen Konzept aufbaut. Mit dem “Kapitalismus” scheint sie nicht einmal in dessen heutiger parasozialistischer und neokeynesianischer Variante etwas zu tun haben zu wollen.

Die Produktionsmittel sind bei ihr zwar nicht ausdrücklich vergesellschaftet/verstaatlicht – deren Eigentümer sind aber auf Gedeih und Verderb “der Politik” unterworfen, also den jeweiligen Staatenlenkern. Diese wiederum regieren nicht selbstherrlich-autokratisch. Sie sind selbst einem weltweiten Klimaregiment verantwortlich, dem sie zuvor “freiwillig” zugestimmt haben. So sieht im 21. Jahrhundert eine über einen Umweltnotstand begründete Weltherrschaft aus.

Herrschaftsmittel Kohlenstoffbudget

Organisationsprinzip des Regimes ist die Idee vom sogenannten Kohlenstoffbudget. Vereinfacht dargestellt wird dabei folgendermaßen argumentiert: Die Wissenschaft hat erwiesen, dass weltweit nur 3.700 Milliarden Tonnen CO2 “erzeugt” werden dürfen, damit der Temperaturanstieg unter 2 Grad Celsius gehalten werden kann und zwei Drittel davon sind im Lauf der Menschheitsgeschichte bereits ausgestoßen worden.

Über die die fossilen Energieträger, die noch verbrannt werden dürfen, muss multilateral verhandelt werden. Dabei geht es um die Verteilung des verbleibenden Kohlenstoffbudgets bzw. der künftig erlaubten CO2-Emissionen. Diese werden entsprechend den Verhandlungsergebnissen auf die einzelnen Blöcke/Nationen heruntergebrochen. Für jede “politische Einheit” ergibt sich aus dem Vorgang ein völkerrechtlich bindendes Kohlenstoffbudget, das unter keinen Umständen überschritten werden darf.

Die umstandslose Gleichsetzung von CO2 und Erdtemperatur ist von den wissenschaftlichen Grundlagen her ein ziemlicher Holler. Aber die westliche Politik hat sich festgelegt, dass sie keine Erwärmung von mehr als 2 Grad Celsius zulassen möchte. Heute glaubt die B sagen zu müssen, weil sie 1996 (auf Basis fehlerhafter Informationen) A gesagt hat.

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Nationale Pläne und Politiken sind essenziell. Ihre Rolle ist, das Land in seinem Kohlenstoffbudget zu halten.

Das Ganze läuft auf einen Weltstaat mit beschränkt eigenverantwortlich agierenden Country-Managern hinaus. Diese ähneln den Belehnten des Feudalismus oder auch nur den Geschäftsführern regionaler business units in multinationalen Konzernen. Mit dem, was bisher unter Demokratie, Volkssouveränität etc. verstanden wurde, hat das absolut nichts zu tun. Die Polit-Manager und ihr Stab haben keinem Wahlvolk, sondern einem Weltsystem Rede und Antwort zu stehen. Diesem sind sie für die Einhaltung ihres Budgets verantwortlich.

Von welchem Schlag die politischen Leader im System Naomi Klein sein werden, lässt sich unschwer ausmalen: Es werden all die “gutgesinnten” und politisch verlässlichen Funktionäre und Quasi-Politiker sein, die in den vergangenen Jahrzehnten in den NGOs herangewachsen sind. Sie werden die traditionellen Kaderschmieden der politischen Parteien ersetzen. Während sich die Jugendorganisationen der alten Parteien das Image erworben haben, Sprungbrett für auf den eigenen Vorteil bedachte Karrieristen zu sein, haftet den Nachwuchsbürokraten in den NGOs noch immer im Ruf an, idealistisch und engagiert zu sein.

Das sind sie auch, wenn man darunter die Bereitschaft versteht, Gutes solange zu tun als andere dafür bezahlen. Wie ist das gemeint?

Marshallplan für die Welt

Ein Beispiel dafür ist das Thema Klimaschulden/weltweite Umverteilung. Erst dieser Topos hat die Klein dazu gebracht, sich ernsthaft des Themas Klimawandel anzunehmen.

Klein erzählt die dazugehörige Anekdote am Anfang ihres neuen Buchs. Ihr Damaskuserlebnis hatte sie bei einem Abendessen mit der bolivianischen UNO-Botschafterin im Vorfeld der Klimakonferenz in Kopenhagen. Das Konzept von Angélica Navarro Llanos, die die Welt in Klimagläubiger (“3. Welt”) und Klimaschuldner (“1. Welt”) teilt, traf sie in die Brust, links, wo das Herz schlägt.

Das Schema ähnelt den Reparationsforderungen, die z.B. afrikanische Länder erheben, um Kompensation für die Versklavung von mehr als 10 Millionen Afrikanern zu erlangen. Es ist – je nach Blickwinkel – ein Projekt zur Herstellung historischer Gerechtigkeit bzw. eines, das der moralischen Erpressung der (angeblichen) Nachfahren der früheren Sklavenhalter dient.

Für Klein, die aus einer jüdischen Familie kommt, handelt es sich klarerweise um Ersteres. Aber anders als die tercermundistas, die darin eher chips für die internationalen Verhandlungen sehen, glaubt Klein, claims ausmachen zu können: in der Sache unbestreitbare und juristisch begründete Forderungen, die nur noch nicht durchgesetzt sind.

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“Milliarden, wenn nicht Billionen”

Ihre Logik läuft ungefähr so: 1.) Die Aufzeichnungen über den Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre beweisen objektiv, dass die CO2-Konzentration seit dem Beginn der Industrialisierung zugenommen hat. 2.) Die bei letzerer entstandene heutige “industrialisierte Welt” hat im Verlauf auf Kosten aller anderen wirtschaftlich profitiert. Sie soll daher 3.)  Entschädigungs- bzw. Abstandszahlungen leisten. Dieses Geld würde fließen, um Länder des Globalen Südens z.B. davon abzuhalten, Erdöl zu fördern. Es soll stattdessen im Boden bleiben.

Klein beschreibt den projektierten Deal am Beispiel des Yasuní-Regenwalds in Ecuador, wo 7 Milliarden Dollar gezahlt werden sollten, damit der Abbau von 850 Millionen Barrel (entspricht 547 Millionen Tonnen CO2) unterlassen wird. Im konkreten Fall wurde nicht berappt und Quito ging daran, den Bodenschatz im Westen des Landes zu heben.

Die Argumentation steht nicht nur machtpolitisch, sondern auch historisch und klimawissenschaftlich auf dünnen Beinchen – aber das soll hier nicht der Punkt sein. Es geht hier darum, dass speziell die europäischen Politiker dumm und skrupellos genug sind, um sich auf derlei Modelle einzulassen, potenziell. (Skrupellos deswegen, weil dort, wo es Nehmer gibt, auch Geber existieren: Geber, die identisch mit der eigenen politischen und Steuerzahlerbasis sind, die dadurch massiv geschädigt würde.)

Es ist nicht auszuschließen, ja sogar wahrscheinlich, dass die korrupten Hohlköpfe in Brüssel und den europäischen Hauptstädten ein so schlechtes Gewissen haben, dass sie bereit sind, massive Nachteile für die eigene constituency in Kauf zu nehmen. Es wäre nicht das erste Mal.

Typen wie Klein, aber auch den NGOs in Westeuropa wässert bereits der Mund. Sie befänden sich bei einem internationalen Klimaschuldendeal sozusagen in der Rolle der Opferanwälte und das würde ihnen nicht gerade zum Nachteil gereichen (um das einmal so auszudrücken). Die NGOs haben ausgerechnet, dass allein die EU 35 Milliarden Euro Klimaschulden hat – wobei auf Österreich eine Milliarde entfallen würde.

Das mag aus der altruistisch-egoistischen Perspektive der Nichtregierungsorganisationen verständlich erscheinen; frappant ist jedoch, dass ein Teil der westlichen Polit-Basis Forderungen wie diese zu unterstützen scheint. Diesen Leuten scheint entgangen zu sein, dass sie selbst die Zeche zahlen werden.

Unterdessen wird eifrig an der Legende gestrickt, dass der CO2-Ausstoß der vergangenen 200 Jahre sozusagen monokausal für die künftigen Wítterungsunbilden verantwortlich ist – eine Position, die nicht einmal die politisiertesten Politruks unter den Klimawissenschaftlern einnehmen. Doch der immer wieder zitierte breite Fachkonsens bezieht sich höchstens darauf, dass CO2 an den Klimaveränderungen in der einen oder anderen Form beteiligt ist. Es gibt meines Wissens keinen Experten, der behauptet, Kohlendioxid sei der Alleinverursacher des Klimawandels..

Solche Einschränkungen fechten Naomi Klein und Konsorten nicht an. Sie kümmern sich nicht um die bona fide-Debatte der Klimatologen.

Als Vorkämpferin der historischen Gerechtigkeit braucht sie nur ein rationale, eine Begründung, eine politische Handhabe. Nicht umsonst findet sich in Kleins Buch auf 580 Seiten keine einzige längere Passage, in der sie sich mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen ihrer sozialistischen Theodizee auseinandersetzt.

Die Faktenbasis, die die Wissenschaft hergibt, ist aber beleibe nicht so eindeutig wie manche Erwärmungsideologen vulgo Klimawissenschaftler das behaupten. Das  ist aber wieder eine andere Geschichte – und ein anderer Blogeintrag.

Naomi Klein, This Changes Everything: Capitalism vs. The Climate, 2014

Foto: Mariusz Kubik, Wikimedia Commons


Unabhängiger Journalist

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