Ein US-Blogger hat sich die Mühe gemacht nachzurechnen, wie viel Holz für die “mini-globalisierte” Zivilisation im östlichen Mittelmeer vor 3.200 Jahren benötigt wurde und ist auf enorme Mengen gekommen, die nicht nur “die Umwelt”, sondern auch den “Energie-Metabolismus” der agrarischen Gesellschaften in Mitleidenschaft gezogen haben. Den mysteriösen, fast simultan erfolgenden Kollaps fast aller “staatlichen Akteure” von damals führt Steve St. Angelo auf die Erschöpfung der für die Bronzeerzeugung nötigen “dichten Energie” sowie die Unterbrechnung der supply lines für Zinn und Brennholz zurück. Dies sei eine unheimliche Parallele zu heute, zu Erdöl und Mikrochips.
St. Angelo ist weder professioneller Frühhistoriker noch Archäologe (“scholar”), dafür versteht er viel von Energie und hat ein “Gefühl für Größenordnungen” – aber leider zu wenig Respekt für die “akzeptierten Lehrmeinungen du jour”.
Zwei Monate nach einem Posting über das Ende des Römischen Reichs, nimmt er sich eine Frage vor, die kleine und große Experten seit ca. 150 Jahren beschäftigt:
Wie ist es möglich, dass zum Ende der Bronzezeit äußerst mächtige und für die damalige Zeit hoch entwickelte Akteure in zwei, drei Jahrzehnten ‘einfach von der Bildfläche verschwunden sind’?
“Seit kurzem”, nämlich seit dem vorletzten gelehrten Benchmark, den Robert Drews 1993 erstellt hat, stehen der Wissenschaft “Instrumente” zur Verfügung, wie es sie bis dahin noch nicht gegeben hat,
nämlich Hilfswissenschaften von Archäobotanik bis DNA-Analyse, die es vorher nicht gegeben hat und die potenziell zu “Gamechangern” werden könnten.
Das mag zu Akzentverschiebungen dergestalt beigetragen haben, dass die langjährigen exklusiven Schurken, die sea peoples vom Thron des Bösen gestoßen wurden, den sie hundert Jahre lang allein innehatten;
und dass mehr und überzeugende “klimahistorische” Arbeiten veröffentlicht wurden,
die die Common Sense-Banalität mit szientifischen Daten untermauerten, dass speziell agrarische Gesellschaften auf Gedeih und Verderb von ihrer natürlichen Umwelt abhängig sind.
Wie der Hüter des letzten wissenschaftlichen Benchmarks, Eric H. Cline, in einer heuer erschienenen neuen Auflage seiner Summa 1177 BC feststellt, ist trotzdem noch kein Gelehrten-Konsens erreicht,
sodass Aussicht besteht, dass noch ein paar Wissenschaftler-Generationen graben & publizieren dürfen bis Einigkeit über den frühgeschichtlichen Zivilisations-Kollaps hergestellt wurde.
Immerhin scheint sich der Experten-Konsens in eine bestimmte Richtung zu bewegen, tendenziell in die richtige (wie dieser Blogger meint),
unendlich langsam zwar, aber sicher wie die Erdplatten in der Geologie, wovon Benchmarksman Cline in seiner neuen Ausgabe von 1177 B.C.: The Year Civilization Collapsed Zeugnis ablegt.
Hier hält der Archäologe von der George Washington University prinzipiell an seiner 2014 zu Papier gebrachten systemischen Kollaps-Perspektive bzw. der “multifactor causation” fest, räumt aber ein,
dass die jüngeren Publikationen eher für das Megadürren-Konzept des Harvey Weiss sprächen (“that this megadrought is likely to have been the principal driving force behind many of the problems that Late Bronze Age societies faced”).
Wie einem 2017 erschienenen Sammelband zu entnehmen ist, machen Weiss und seine Apostel Megadroughts für so ziemlich jeden zivilisatorischen Zusammenbruch von Akkad bis Angkor Wat verantwortlich (und natürlich auch den Late Bronze Age Collapse – Kaniewski).
Das ist “im großen Bild” nun tatsächlich ein Erkenntnisfortschritt (wenn auch eine möglicherweise nicht haltbare “Übertreibung in die andere Richtung”) woraus sich die Fragen ergeben,
weswegen diese Trockenzeiten entstanden sind, welches Ausmaß sie tatsächlich hatten und über welche “Transmissionsmechanismen” sie zum Untergang besagter Zivilisationen geführt haben (Hinweis: die “CO2-Abgase” von Autos waren’s nicht).
EROEI & deforestation
An dieser Stelle kommt St. Angelo ins Bild, der definitiv ein Outsider im akademischen Sinn ist, und der sich historische Details u.a. von Wald- und Entwaldungshistorikern wie Perlin angelesen hat, der also keinerlei “Primärforschung” betrieben hat wie unsere scholars (höchstens an den “zeitgenössischen Märkten” ).
Dafür bringt Steve von Srsroccoreport seine Energie-Expertise und ein tiefes Verständnis für die EROI-Analyse mit, die alle Gelehrten zusammen nicht auf die Waage bringen.
St. Angelo hat nun – mithilfe einer Dissertation aus dem Jahr 2007 – die Material- und Energieflüsse von Zypern überschlagen, das damals das Zentrum des Abbaus von Kupfer war, eines der beiden unverzichtbaren Bestandteile von Bronze (“kulturelle Hardware des Zeitalters”).
Dabei kommt heraus, dass allein die Schmelze/Verhüttung (“smelting”) so viel Energie (Holz) erfordert hat, dass dafür im Lauf von ein paar hundert Jahren die gesamte Insel entwaldet wurde – mit entsprechenden Folgen für das “Mikroklima”.
Folgend ein Chart aus St. Angelos Vimeo, das die am “Peak der Kupfer-Produktion” erreichten Größenordnungen zeigt (mit freundlicher Genehmigung):
Für binnen 50 Jahren erzeugte 2.500 Tonnen Kupfer wurden 500.000 (“metrische”) Tonnen Holzkohle produziert, für die wiederum 10 Millionen Bäume gefällt werden mussten.
Weil der Wald aber eine Art “Batterie” für den regionalen Wasserhaushalt sei, seien als Folgen der Abholzung extremes Wetter, Versteppung, Versandung und forçierte Boden-Erosion eingetreten,
was auch zu immer wieder auftretenden Hungersnöten geführt habe (dabei wird der Blick auf die gesamte trockene Großregion östliches Mittelmeer – Levante – Ägypten – Zweistromland gerichtet).
In der Hauptfrage, was zum Zusammenbruch des Hethiter-Reichs, von Minos & Mykene sowie zum Fast-Kollaps des Neuen (ägyptischen) Reichs geführt hat, antwortet St. Angelo: der rückläufige Energy Return on Energy Invested (EROI) der Holzwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion.
Das ist, was St. Angelo – gut begründet – auch für die bevorstehenden letzten Jahre des Fossilzeitalters erwartet (nur dass diesmal der EROI des Erdöls statt der von Holz zurück geht).
Als beschleunigender Faktor wird die Unterbrechung des internationalen Handels bzw. der supply lines gesehen – heute von Halbleitern, damals von Zinn und Holz. Während die letzte Phase des bronzezeitlichen Zusammenbruchs 30 bis 50 Jahre dauerte, werde der Kollaps diesmal viel schneller vonstatten gehen, und zwar
- wg. “Seneca Cliff” sowie
- weil heute ein speziell hoher Anteil der Wertschöpfung von fossilen Treibstoffen abhängt (im Gegensatz zur Bronzezeit).
In einem in den kommenden Wochen zu veröffentlichenden zweiten Teil seines Kollaps-Videos will sich der Blogger speziell der heutigen Situation widmen.
Makro- und/oder Mikroklima
Während der von St. Angelo vertretene, von vielen Historikern aber ignorierte Mikro-Ansatz des historischen Klimawandels zweifellos seine Meriten (und Anwendungsfälle) hat, stellt sich für diesen Blogger die Frage, ob dieser allein selig macht.
Soweit dieser Blogger den Megadrought-Ansatz versteht, werden darunter auch echte Naturphänomene verstanden, die nicht auf “Raubbau & Entwaldung” zurückzuführen sein können.
Ein alter Sonnenanbeter wie der Autor dieser Zeilen , würde dafür “reflexartig” die Zyklen unseres Zentralgestirns und deren Auswirkungen auf das komplexe Wettergeschehen unseres Planeten verantwortlich machen.
Aber auch das müsste letztlich durch Archäologie, konventionelle und Klima-A. “bewiesen” werden.
Literatur:
Eric H. Cline, 1177 B.C.: The Year Civilization Collapsed. 2021 (2014)
Roland Ennos, The Wood Age. How One Material shaped the Whole of Human History. 2021
Andreas Hauptmann, Archaeometallurgy – Materials Science Aspects. 2020
David Kaniewski, Elise Van Campo, 3.2 ka BP Megadrought and the Late Bronze Age Collapse. 2017 In: Weiss, Megadrought and Collapse
Guy D. Middleton, Collapse of Bronze Age Civilizations, in: Eustathios Chiotis, Climate Changes in the Holocene. Impacts and Human Adaption. 2019
Jörg Mull, Mythen und Metalle. Der Trojanische Krieg, die Seevölker und der Kulturbruch am Ende der Bronzezeit. 2017
John Perlin, A Forest Journey. 2005
Harvey Weiss (Hg), Megadrought and Collapse: From Early Agriculture to Angkor. 2017
Bild: Lommes, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
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