Empörungskünstler bejammern Coup, Athen hat sich aber verzockt

Gerardx_WPT_Barcelona_2011
Pokerspieler, Quelle: Wiki Conmons

Ja: Die symbolische Niederlage, die die griechische Regierung bei den Verhandlungen um das dritte Hilfspaket einstecken musste, war drastisch und ja: der deutsche Finanzminister hat alles getan, um die Schlappe Athens möglichst groß aussehen zu lassen. Aber das mit dem Coup ist ein Schmarren – auch wenn jetzt alle möglichen Legenden gesponnen werden  Die Wahrheit ist: Athen war 1.) nie bereit, notfalls den Staatsbankrott zu riskieren und 2.) war es schon Ende Juni willens, auf gut 95% der Gläubigerforderungen einzugehen. Es wollte via Referendum eine bessere Verhandlungsposition. Dieses Kalkül ist nicht aufgegangen – Punkt.

Die erwähnten irrealen Erkärungsversuche des Verhandlungsergebnisses existieren in allen Formen und Farben. Sie gruppieren sich um eine zentrale Erzählung, die die Bezeichnung Verschwörungstheorie viel eher verdient als manches andere, was im Netz so herumkreucht und -fleucht. Das Narrativ lautet in einem Satz: Zum Schluss des Verhandlungsmarathons haben die Eurogruppe/Schäuble absurd hohe Forderungen auf den Tisch gelegt, im Wissen, dass die Gegenseite keine andere Wahl habe als drauf einzugehen (“Pistole auf die Brust gesetzt”).

Der letzte Teil dieses Satzes sei großteils außer Streit gestellt. Schäuble hat erkannt, dass Athen auf jeden Fall zu einem Abschluss kommen wollte und dass es begierig war, sich ein drittes Hilfspaket zu sichern. Er hat pathetische Ansagen wie “Besser in Freiheit sterben als in Knechtschaft leben” etc. als Rhetorik erkannt. Er hat sie als Bluff durchschaut. Die Gewissheit, dass Athen das dritte Kreditpaket (fast) um jeden Preis wollte, ermöglichte ihm, hohe Risken einzugehen.

Was ich vehement bestreite, ist, dass die zum Schluss erhobenen Forderungen unerhört oder irgendwie exzessiv gewesen wären oder dass sie aus dem Rahmen der Verhandlungen (oder gar der “Verfassung” der Eurozone) gefallen wären.

Zum Thema Kontinuität der Verhandlungspapiere schrieb ich vor den Endverhandlungen, aber schon nach der Übergabe der neuen=alten griechischen Verhandlungsposition folgendes:

Was die dicken Hunde unter den Verhandlungsthemen angeht – die budgetären Sparvorgaben, die Sozialausgaben und die Pensionsreform -, hat Athen nicht einmal kosmetische Korrekturen angebracht (…) Die Vorgaben für die Primärüberschüsse bis 2019 bleiben wie sie waren, die Gesundheitsreform ist unverändert, ditto die Umsatzsteuersätze  (bis auf eine klitzekleine Veränderung). Athen verpflichtet sich wie gehabt zum Durchforsten der Sozialausgaben und bekennt sich zur Vorgabe, dort 0,5 Prozent des BIP einzusparen. Gleiches gilt für die Pensionsreform.”

Das ist im Wesentlichen, was das griechische Parlament nun beschließen soll – “und zwar ein bisschen pronto”, wie die Eurozone im Tonfall des Siegers verlangte. Dieser Ton ist das eine Paar Schuhe, die Beschaffenheit der Forderungen selbst ist ein anderes. Es sind für die Griechen unbequeme, drückende Latschen, aber welche, die die gewählte Regierung schon gutgeheißen hat, bevor die Eurogruppe “die Pistole gezückt hat”.

Man kann allenfalls darüber diskutieren, inwieweit die griechische Treuhand sowie die Bestimmungen über die erwarteten Privatisierungserlöse neu sind. Da gibt es wirklich eine Reihe von neuen Details – es sind aber eben das: mehr oder weniger technische Details. Dass Athens Staatsbesitz jetzt der Eurozone/Deutschland gehört, ist Propaganda. 

Es ist aber auch hier keinesfalls so, dass die Konzentration des Staatsbesitzes in einer Gesellschaft sowie die forcierte Privatisierung etwas wären, was neu, point blank, mit gezogener Waffe gefordert worden wäre. Es war Teil der Verhandlungen bis 26. Juni. Hier ist der Screenshot vom letzten Punkt des von der Kommission am 28. Juni veröffentlichten aggregierten Verhandlungsdokuments:

PrivatisierungenEs geht hier um die Zusammenführung des Staatsbesitzes in der griechischen Privatisierungsgesellschaft HRADF zwecks leichterer “Verwertung”. Was Ende Juni und was heute verkauft werden soll(te), ist offensichtlich identisch – und ob man das Ganze als Fonds, Anstalt oder Treuhand aufzieht, ist eine technische Frage – jedenfalls nichts, womit sich böse Menschen ein Hitlerbärtchen verdienen könnten. Der Unterschied dürfte darin liegen, dass die vergangenes Wochenende “gefundene” Lösung z.B. einen Verteilungsschlüssel von Privatisierungserlösen enthält (bei absurd hohen Erlöserwartungen).

Die griechische Regierung hat dies übrigens ebenso akzeptiert wie die Steuer- und Pensionsreformen (siehe oben). Hier ist eine Gegenüberstellung zwischen dem letzten Verhandlungsstand per 26. Juni (linke) und den Donnerstag letzter Woche vorgelegten Vorschlägen Athens (rechts). Man sieht auf den ersten Blick, dass die beiden proposals praktisch identisch sind.

Gegenüberstellung 

Mit einem Wort: die Klage darüber, dass die Griechen nun gezwungen würden, Staatsbesitz zu verkaufen, hat einen doppelten Boden. Das alles ist jedenfalls “nichts Neues”. Das Thema ist alt. Seit 2011 verspricht Athen hohe Privatisierungserlöse und hat davon kaum etwas halten können. Es sei dahingestellt, warum.

Ich denk mir: Wenn ein Staat sich von außen nicht vorschreiben lassen will, was er wann zu privatisieren hat, darf sich eben nicht in ein Schuldverhältnis begeben – oder muss darauf verzichten, um frischen Kredit anzusuchen und die Konsequenzen dieser Unterlassung tragen.

In diesem Punkt liegt m.E. übrigens auch die Unlogik vieler Beurteilungen der Griechenland-Malaise. Wer Kredit aufnimmt – und das ist common sense und dennoch wahr -, ist kein wirklich freier Mensch mehr (keine freie Entität im Fall von Staaten). Das ist so, weil Gläubiger ein (berechtigtes) Interesse an der Rückzahlung der geschuldeten Summe haben.

Das wollen Linke und Keynesianer nicht wahrhaben – zum Beispiel Nobelpreisträger Paul Krugman. Krugman schreibt hier, in der NYT folgendes:

Die Forderungen der Eurogruppe sind Wahnsinn (…) Das geht über Härte hinaus in die Rachsucht hinein, in die komplette Zerstörung nationaler Souveränität, ohne dass es eine Hoffnung auf Abhilfe (Linderung) gäbe.”

Krugman ist, wie bekannt, ein großer Befürworter staatlichen Schuldenmachens, um mit dem aufgenommenen Kredit die Wirtschaft wieder ankurbeln zu können.

Er mag aber partout nicht akzeptieren, dass dieses Schuldenmachen schnurstracks in jene Situation führt, in der sich Griechenland befindet. (Es gibt zugegebenermaßen Ausnahmen – wenn man beispielsweise die Weltreservewährung hat und über eine sophistizierte Zentralbank verfügt. Aber selbst diese Ausnahmen sind nur Einzelfälle und temporär.)

Wahr ist aber, dass Griechenland einen guten Teil seiner verlorenen Souveränität zurückerlangen könnte,  wenn es wieder eigene Währung und eigene Zentralbank hätte. Die Griechen könnten sich dann auch eine “Menge leisten” – beispielsweise einen Staatsapparat á la grecque, untragbare Sozialleistungen und/oder eine chronisch negative Leistungsbilanz. Alles kein Problem. Nur dürften sie sich halt weder Hartwährung noch rückläufige/stagnierende Konsumentenpreise erwarten. Vielleicht wäre das eine tolle “pädagogische Strategie”.

Foto: Pkrspain, Wikimedia Commons

Unabhängiger Journalist

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.