Erdgas, Turkstream und Europa

Screenshot 2025-01-18 at 19-37-34 TurkStream
turkstream.info

1024px-Putin_and_Erdoğan_during_handshake,_IstanbulNach dem Ende des Gas-Transits durch die Ukraine ist die durch Bulgarien, Serbien und Ungarn führende “Turkstream” die letzte Pipeline-Verbindung zwischen der Russischen Föderation und der Europäischen Union – eine Leitung, von der dieser Blogger am Weihnachtstag noch geschrieben hat, dass die “EU-Natotisten” diese nicht unterbinden könnten.Ein halbes Monat später fand schließlich etwas statt, was sehr wohl als “Versuch die Turkstream zu unterbinden”, gewertet werden könnte – ein ukrainischer Drohnenangriff auf den Beginn der Turkstream (eins), nahe der südrussischen Stadt Krasnodar.

Mit der Turkstream können Teile Südosteuropas und des Balkans wenigstens theoretisch und teilweise mit russischem Pipelinegas versorgt werden

- ein kurzer Blick auf die wichtigsten Daten zeigt allerdings, dass “Welten” zwischen der heute bestehenden Turkstream und den seit 2021/2022 inoperablen großen “Schlagadern” liegen, mit denen “EU-Europa” bis dahin mit russischem Erdgas versorgt wurde (siehe dazu Tabelle weiter unten).

Ausweislich Bruegels “European Natural Gas Imports” ist über die Turkstream vergangenes Jahr etwa so viel russisches Gas nach EU-Europa (d.h. Bulgarien, Griechenland, Ungarn) geflossen wie über den um die Jahreswende geschlossenen “Südarm” der Ukraine-Transit-Pipeline

- Mengen, die für Bulgarien, Griechenland, Serbien und Ungarn bedeutsam sein mögen,

die im “großen Bild” aber keine Rolle spielen (gut 16 Mrd. Kubikmeter):

Zum Vergleich: 2021, also vor den “Selbstmord-Sanktionen”, importierte die EU 132,3 Mrd. m3 via Pipeline aus der Russischen Föderation (BP, Statistical Review of World Energy 2022, p.37).

Der Gasimport über die Turkstream des Jahres 2024 entsprach also nur mehr 12,5 Prozent des europäischen Vor-Ukraine-Kriegs-Niveaus (nur via Pipeline; mit LNG ist der Prozentsatz noch geringer – siehe Tabelle unten).

Alle anderen Verbindungen sind mittlerweile gekappt

(wobei hier offen gelassen werden soll, welche Seite dafür verantwortlich ist; die politische Rhetorik bzw. ein “Aufdecker-Bericht” – Seymour Hersh – deuten diesbezüglich auf den “Westen” bzw. konkret die USA, es gibt allerdings Umstände, die für eine “Mitschuld” des RF-Imperiums sprechen):

  • Der Fluss über die Yamal-Pipeline nach und über Polen kam bereits 2021, noch vor dem Beginn des russisch-ukrainischen Kriegs, weitgehend zum Erliegen.
  • Die unterseeische Nordstream 1 zwischen der RF und D, stellte ab Mitte 2022 den Betrieb weitgehend ein, zuerst wegen angeblicher Wartungsarbeiten, was im folgenden September durch eine unterseeische Sprengung “besiegelt” wurde. Ein Strang der zwar fertig gebauten, aber nie bewilligten Nordstream 2 blieb intakt und soll bis heute theoretisch nutzbar sein.
  • Im “Nordarm” der Ukraine-Transitleitung via Tschechien blieben etwa zur gleichen “Wartungs”-Zeit wie die bei der NS1 die Lieferungen nach D aus – gewollt oder ungewollt, provoziert oder unprovoziert.
  • Deren “Südarm”, über den auch Österreich russisches Erdgas erhielt, ist seit Beginn des Jahres 2025 unterbrochen, nachdem die Ukraine den Ende 2024 auslaufenden Gas-Transit-Vertrag mit Russland nicht verlängert hat.
  • Das derzeit vorbereitete 16. EU-Sanktionspaket gegen Russland, das nächstes Monat erwartet wird, soll ein Verbot russischen Flüssiggases (LNG)  enthalten (während “LNG transshipments” bereits seit einigen Monaten erschwert bis verboten sind. Die russischen LNG-Quantitäten waren 2024 wegen neuer Einrichtungen/neuen Equipments im Hohen Norden stark steigend – “unter dem Strich” dürfte russisches LNG 2024 aber nur etwa ein Drittel der drastisch reduzierten russischen Ausfuhrmenge nach EU-Europa ausmachen – laut Bruegel lediglich 21 Mrd. von mehr als 50 Mrd. m3 CH4; die anderen “großen Brocken” waren (noch) der “Ukraine-Transit” <Süd> und die “Turkstream”).
  • Was die Leitungen betrifft, ist die Turkstream seit Beginn 2025 die einzige verbleibende “operative” Erdgas-Pipeline aus der RF. Es wird spekuliert, dass der slowakische Premier, der den russischen Präsidenten am Vorabend des Jahreswechsels 24/25 besucht hat, russisches Gas via Turkstream wollte/bekommen hat
  • - was freilich bereits ein “Kapazitätsthema” darstellen könnte. Der südosteuropäische Turkstream-Teil scheint inzwischen nämlich das technische Limit (15,5 Mrd. m3 py) überschritten zu haben (Serbien könnte in der Bruegel-Zählung übrigens zur EU gerechnet werden – vielleicht, weil der Übergang von einem Nicht-EU zu einem EU-Staat “vor Serbien”, in Bulgarien liegt).

Vorerst noch die versprochene Tabelle über die Erdgaslieferungen der Russischen Föderation in die “Europäische Union”, seit 2020 also in die EU-27.

Angemerkt sei, dass die Tabelle auf zwei unterschiedlichen “Quellen” fußt, die möglicherweise nur beschränkt übereinstimmen:

Die 2021er-Gesamtzahl kommt ebenso wie jene aus 2023 aus den BP(EI)-Statistical Reviews der Jahre 2022 und 2024, pp. 37 bzw. 44 und 45.

und die Detail-Zahlen von 2023 und 2024 gehen aus einer “eigenhändigen” Addition der Bruegel-Angaben durch diesen Blogger hervor.

Die EI, Statistical Review ’25-Gesamtzahlen sind noch nicht verfügbar. Die sechste oder letzte Spalte (die natürlich nicht auf m3 abhebt) zeigt aber, dass die wieder gestiegenen russischen Lieferungen nach EU-Europa im vergangenen Jahr zusammen lediglich gut 36 Prozent des Vor-Sanktions-Niveaus ausgemacht haben (wie weiter oben erwähnt, ist der Ukraine-Transit ja bereits “Geschichte”).

Wieder gilt: Etwaige Übertragungs- oder Rechenfehler gehen allein auf meine Kappe.

RF-Erdgas-Exporte in die EU, in Mrd. m3
2021 ges. 2023 ges. 2023 det. 2024 det. % v. 2021 ges.
 RF ges.  149,7  45
 RF, UT  13,6  16,4  11%
 RF, TS  13,4  16,4  11%
 RF, LNG  17,7  21,3  14%

Der heute bei weitem größte Erdgas-Versorger der EU ist die “Nummer 2″ des Jahres 2021, Norwegen, das im vergangenen Jahr gut 93 Mrd. Kubik in die Union lieferte (ins  Vereinigte Königreich gingen weitere 29 Mrd. m3).  Auf Platz 2 lagen 2024 Kopf an Kopf der frühere Platzhirsch, die Russen, sowie die US-LNG-Exporteure, die nur mehr 51 Mrd m3 in die Union lieferten

(wer sich 2025 hier durchsetzen müsste, “liegt auf der Hand” – siehe “Aus für den russischen Ukraine-Transit” sowie das – womöglich “schleichende” – wahrscheinliche Aus für russisches LNG).

Die Frage ist freilich, wie weit die “Fortüne” Norwegens und der USA trägt.

Das Norwegische “Offshore-Direktorat” erwartet in seinem jüngsten Report für die nächsten Jahre ein weiterhin hohes Niveau der Erdgasförderung, danach aber massive Produktionseinbrüche – siehe dazu einen  jüngeren Telegraph-Artikel, dessen Folgerungen für Kontinentaleuropa natürlich genauso gelten (siehe auch hier ohne Bezahlschranke) sowie den originalen Bericht.

Resümiert der spanische Erdöl-Blogger Quark:

Estamos en trance de eliminar completamente las compras a Rusia y el gas noruego y británico está en vías de extinción. Solo queda el shale gas USA y los restos“,

nur um kurz danach fortzusetzen:

Sin gas ruso, con el noruego en vías de extinción y el shale gas USA a punto de empezar su descenso en los próximos años, ¿qué futuro tienen las empresas europeas que utilizan gas como medio de fabricación?”

Unglücklicherweise vergisst Quark hier auf Russland höchstselbst, das bezüglich Erdgas besonders “verwundbar” ist

- viel mehr als bei Erdöl (“C&C”) bzw. den daraus gewonnenen flüssigen Treibstoffen.

Ausweislich der jüngsten Statistical Review, pp. 37 und 39 verbrauchte die RF im letzten “Vorsanktionsjahr” 2021 431,5 Mrd. der produzierten 702,1 Mrd. Kubikmeter Erdgas selbst – gut 61 Prozent.

Würde auch nach den “westlichen Sanktionen” in der RF nur annähernd weiter wie gehabt produziert, müsste die RF in Erdgas heute “geradezu schwimmen”

- jedenfalls dürfte es keine Berichte über Versorgungsengpässe in städtischen Ballungszentren geben.

Foto: kremlin.ru via Wikimedia Commons, Screenshot turkstream.info.

Unabhängiger Journalist

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