Erdölproduktion und Sanktionen in Venezuela – eine Urbane Legende

kovalik_coverKonventionelle Weisheit ist überzeugt, dass die US-Sanktionen primär dafür verantwortlich seien, dass das Maduro-Regime nicht ausreichend Medizin und Nahrungsmittel importieren kann. Das ist, wie bei jeder Legende nur zu einem Bruchteil wahr.venezuela_2009_2018_masterB Mit (mehr als) “einem Körnchen Salz” sollte man auch die ständigen Behauptungen nehmen, die EEUU wollten sich die riesigen Ölressourçen Vs sichern. Ein paar Überschlagsrechnungen.

Ein Beispiel für diese Behauptungen ist das soeben erschienene Buch Dan Kovaliks.

Dieses hat zweifellos seine Stärken – beispielsweise in der dichten Schilderung der hundertjährigen Geschichte von US-Interventionen in der heutigen Bolivarianischen Republik. Und zweifellos mischen sich die USA auch aktuell wieder ein – sie tun das laufend und aus offenkundig nicht humanitären Motiven.

Dass sie dafür hauptverantwortlich sind, dass es Venezuela unter dem Maduro-Regime so schlecht wie heute geht, ist aber nicht nachzuweisen bzw. setzt eine ziemlich spekulative Annahme voraus (siehe unten).

Doch der Reihe nach.

Venezuela hat unter dem 1998 zum Präsidenten gewählten Hugo Chávez anfangs noch weit über drei Millionen Barrel gefördert und selbst 2009, im Jahr nach der Finanzkrise, sind pro Tag noch gut drei Millionen Fass produziert worden – siehe Grafik oberhalb des Falzes bzw. die BP-Statistik 2019, Seite 16.

Wie Seite 24 zu entnehmen ist, betrug der durchschnittliche WTI-Preis in diesem Jahr knapp 62 Euro.

Fünf Jahre später, 2014, wird ein Durchschnittspreis von 93,28 Dollar verzeichnet – einem Jahr, in dem während der letzten Monate der Ölpreis bereits rapide verfällt.

2014 produzierte Venezuela noch 2,7 Millionen Barrel.

Weitere vier Jahre später, also vergangenes Jahr, erzeugte V. durchschnittlich nur mehr 1,5 Millionen Barrel bei einem WTI-Preis von 65,20 Dollar. 

Daraus ergeben sich folgende “schmutzigen Überschlagsrechnungen”:

1.) Hätte Venezuela 2014 seine 2,692 Millionen Fass  zu 93,28 Dollar verkauft, hätte es pro Tag 251,1 Millionen Dollar lukriert.

2.) Hätte Venezuela 2018 die damals noch produzierten 1,514 Millionen Fass zu 65,20 Dollar verkauft, hätte es 98, 7 Millionen Dollar erzielt.

Venezuela hätte in dieser Rechnung durch Preisrückgang und weniger Produktion also täglich 152,4 Millionen Dollar verloren.

Der “Preisrutsch” war’s

Ist das nun viel oder wenig?

Wir wollen zum Vergleich einen Blick auf das vergangene halbe Jahr werfen, das tatsächlich durch einen hohen formellen und informellen US-Druck gekenzeichnet ist.

Für diesen Zeitraum liegen diesem Blogger auch einigermaßen objektivierte monatliche Produktionangaben vor.

Wie der folgenden Tabelle zu entnehmen ist, ist in diesem sanktionsintensiven Zeitraum die venezolanische Ölproduktion von 1,2 auf 0,7 Mio. Barrel pro Tag zurückgegangen.

Quelle sind die von der OPEC bekannt gegebenen monatlichen Zahlen (“secondary sources”)

Ölproduktion 12/18 – 05/19
in 1.000 b/d
Dezember 2018  1.172
Jänner 2019  1.150
Februar 2019  1.021
März 2019  745
April 2019  776
Mai 2019  741

Die WTI-Preise für Dezember 2018 und Mai 2019 liegen bei 53,96 und 66,83 Dollar respektive, siehe hier.

Damit hätte Venezuela

1.) im Dezember 2018 63,2 Millionen Dollar täglich erzielt, hätte es zum durchschnittlichen WTI-Preis seine gesamte Produktion verkauft, sowie

2.) 49,6 Mio. Dollar, wäre das im Mai 2019 passiert.

Die Differenz beträgt 13,6 Millionen.

Diese entstand hauptsächlich durch den Produktionsrückgang wegen der Sanktionen auf die staatliche Ölfirma, die im November 2018 erlassen, die aber erst Monate später wirksam wurden (EO 13850).

Erst diese medidas coercitivas unilaterales” der Yanquís unterbanden die Exporte der PdVSA weitgehend bzw. leiteten die in Nordamerika realisierten Ausfuhrerlöse auf von Guido kontrollierte Konten um.

Diese unilateralen Zwangsmaßnahmen waren für den 2019 erfolgten weiteren Rückgang der venezolanischen Ölproduktion um gut ein Drittel hauptverantwortlich.

Sie wurden durch einen Anstieg des Preises in besagtem Zeitraum teilkompensiert.

Sie haben nach unserer Modellrechnung jedenfalls “nur” eine tägliche Deviseneinbuße von 63,2 – 49.6 = 13,6 Millionen Dollar bewirkt.

Das ist nicht mehr als rund ein Zehntel jener Einbußen, die Venezuela zwischen 2014 und 2018 durch Preisverfall und Produktionsrückgang hinnehmen musste (152,4 Mio. Dollar, siehe oben).

 Modellrechnung & Sanktionswirkungen

Eine Modellrechnung ist deswegen vonnöten, weil dieser Blogger wesentliche Daten nicht zur Verfügung hat – beispielsweise die tatsächlichen Ausfuhren bzw. die echten Exporterlöse und -preise.

Er kann auch nicht mit 100-prozentiger Sicherheit ausschließen, dass sich die Zusammensetzung der Ausfuhren stark verändert hat und beispielsweise nur teures, für die Produktion von Mitteldestillaten umstandslos geeignetes Öl exportiert wurde.

Auch der Anteil des ausgeführten Öls (gemessen an der Erzeugung) könnte sich stark verändert haben.

Aber das ist alles wenig wahrscheinlich.

Es ist auch korrekt, dass die (jüngeren) “Strafmaßnahmen” bereits unter Obama 2015 begonnen haben – aber diese richteten sich ausschließlich gegen ein paar Dutzend dem Maduro-Regime verbundene Einzelpersonen.

Die Trumpschen Sanktionen vom August 2017 (EO 13808) mögen kleinere Auswirkungen auf die Ausfuhren (gehabt) haben – sie erschweren jedoch hauptsächlich die Aufnahme von Dollar-Schulden und haben damit zwar längerfristigere Auswirkungen auf Cash-flow und Investitionen der PdVSA;

deren Absatzmärkte in Nordamerika und Übersee blieben jedoch bis 2019 unangetastet. Bis zu diesem Zeitpunkt war auch die Einfuhr von Verflüssigungsmitteln problemlos möglich.

Siehe zum Thema US-Sanktionen diesen Überblick des Congressional Research Service vom Februar 2019.

Eine internationale Verschwörung

Man kann also getrost davon ausgehen, dass der massive Schaden bereits zu einem Zeitpunkt entstand, als noch keine (kaum) Sanktionen in Kraft waren; ein Schaden in Zusammenhang mit dem Preisverfall 2014/2015.

Erst ein Jahr danach begann der Absturz der venezolanischen Produktionszahlen auf 1,2 Mio. Barrel im Dezember 2018.

Es liegt auf der Hand, dass Venezuela ab etwa 2015 begann, Produktionskapazitäten stillzulegen, die mehr Aufwand erzeugten als sie Erlöse einbrachten.

Es bedarf jedoch einer “ziemlich spekulativen Annahme”, dass die USA hinter diesem Preisverfall stünden, der Annahme, dass Mittel der finanziellen Kriegführung die Baisse ausgelöst (aufrecht erhalten) hätten..

Das liegt zwar im Bereich des Möglichen,

  • die USA hätten dabei aber auch die eigenen Fracker getroffen.
  • Zweitens wären dabei auch die verbündeten Saudis und die Emiratis schwer zum Handkuss gekommen – Bundesgenossen, deren Mitwirkung für die Versorgung des über Derivative gedrückten Ölmarkts aber unabdingbar gewesen wäre.
  • Wahrscheinlich hätten bei einem solchen Vorgehen sogar die Russen kooperieren müssen.

Eine internationale Verschwörung diesen Zuschnitts macht man aber nicht wegen Venezuela, wegen eines kleineren, “im großen Bild” nicht allzu wichtigen Staats.

Wegen des Iran eher  – und das könnte auch die eigentlich paradoxe  Mitwirkung der sunnitischen Golf-Monarchien erklären.

Vielleicht waren die Saudis ja bereit, die eigenen Exporterlöse massiv schmälern zu lassen, sofern der Regionalrivale noch höhere, womöglich existenzbedrohende Verluste gewärtigen musste.

Kovalik deutet in seinem 9. Kapitel ein solches Szenario jedenfalls an – eines, das auf einem nicht näher belegten Meinungsstück im Independent im Jahr 2017 beruht (“Voices”).

Phantom-Reserven

Gokay/Kovalik mögen in dieser Sache richtig liegen (oder auch nicht) – sicher falsch aber ist Kovaliks ständig wiederholtes Mantra, die unüberschaubar großen Erdölvorräte des südamerikanischen Landes seien das letzte Motiv für die imperialistischen Begehrlichkeiten der USA.

Wer derlei vertritt, zeigt nur Unwissen über die unterschiedlichen Arten von Erdöl und seine Naivität gegenüber der internationalen “Reserve-Buchhaltung”.

Ja, Chavez hat es 2008 ff. geschafft, dass Venezuela auf Basis der Naturasphalt-Vorkommen im Orinoco-Gürtel 200 Milliarden Barrel proved reserves angerechnet bekam (das werden sie bis heute).

Derlei als Reserven misszuverstehen, die schon heute ohne Weiteres in flüssige Brennstoffe umgewandelt werden können, erfordert schon eine Menge Ignoranz.

Die imperialistischen Yanquís wie “T-Rex” Tillerson & Co. wissen jedenfalls viel mehr. Ob sie sich über den wahren Zustand der Lagerstätten und die mittelfristige Zukunft der venezolanischen Produktion im Klaren sind, kann dieser Blogger freilich nicht sagen. Die Reservoire dieses Landes pfeifen nämlich aus dem letzten Loch.

Literatur:

Dan Kovalik, The Plot to Overthrow Venezuela. 2019

Edit, 3.7.2019, 09.15 Uhr: Falschen Produktionswert von Jänner 2019 auf den richtigen Wert von 1.150.000 Fass pro Tag korrigiert (Tabelle).

Unabhängiger Journalist

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