EU-Energiepolitik “meschugge”: Die Sicht eines Öl- und Gasschotten

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Disconnect in der Gaspolitik

Euan Mearns, 57, ist ein Geologe aus Aberdeen mit 30 Jahren praktischer Erfahrung im Erdölgeschäft. Er ist aber auch jemand,  der sich seit wenigstens 15 Jahren den Kopf über Makro-Fragen seines Gewerbes zerbricht. Er hat über 100 Beiträge in dem nun eingestellten legendären Peak Oil-Blog Oildrum geschrieben und gehörte dort zu einer Fraktion, die man als “in der Realität verankerte Energieskeptiker” bezeichnen könnte.
Soll heißen: Der Schotte ist sich der zentralen Rolle bewusst, die die sogenannte fossile Energie für die heutige Zivilsation hat. Und er weiß, wie beschränkt heute unsere wirklichen Alternativen sind.

Mearns hat in seiner Berufslaufbahn gesehen, dass es immer wieder ein neuentdecktes Vorkommen und eine nächste, bessere Fördertechnologie gibt – ohne darüber zu verkennen, dass der Aufwand immer größer und die Ausbeute immer magerer wird. Euan ist sich nicht sicher, ob das “Ende nah” ist, sehr wohl aber, dass es in absehbarer Zeit einmal eintreffen wird, for the better or the worse.

In seinem Blog Energy Matters hat er soeben einen Beitrag über das Thema Erdgas in Europa veröffentlicht, in dem er den europäischen Kurs in der Energiepolitik schlicht als “bonkers”, verrückt, bezeichnet.

Das gute Stück trägt den Titel “Die Fantasievorstellung von der europäischen Gas-Autarkie”. Er greift wenigstens ein Dutzend Aspekte auf, von denen nur ein Teil angerissen werden kann. Der Text ist gleichzeitig viel zu lang und viel zu kurz. Zu lang, um ihm  Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und so kurz wie ihn nur jene halten können, die vieles aus dem Ärmel schütteln, weil sie sich seit Jahr und Tag damit beschäftigten.

Zur Versorgung EU-Europas liefert Mearns folgenden Chart:

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Versorgung der EU mit Erdgas

Wie bekannt, stammt die Hälfte des europäischen Erdgases aus der EU (inklusive Norwegen), 30 Prozent aus Russland/Mittelasien und zusammen 20 Prozent werden aus Nordafrika bzw. als Flüssiggas (LNG) geliefert.

  • Die europäische Produktion ist seit 2004 rückläufig, die nordafrikanische seit 2005, nur der LNG-Anteil steigt. Die heutigen europäischen Kapazitäten für die Anlandung von verflüssigtem Gas sind bereits massiv ausgebaut und hätten das Potenzial, die fünffache Menge an Flüssiggas aufzunehmen.
  • Obwohl die EU aus Klimaschutzgründen seit langem Erdgas favorisiert, haben “die Europäer nach der Eingliederung der Krim in Russland eine neue meschuggene Energiepolitik gefunden, mit der sie versuchen, das russische Gas durch alternative Quellen zu ersetzen”.
  • Eigene Anmerkung dazu: Der Versuch, Lieferanten zu diversifizieren ist an sich weder dumm noch verwerflich  – ebensowenig wie das russische Bemühen, neue Kunden in Asien zu akquirieren (China, Indien). Wie schwierig diese Aufgabe aber ist und wie kompetent die EUlite dieses Ziel verfolgt, ist am Scheitern des Nabucco-Projekts leicht nachzuvollziehen. Jetzt haben die Bruchpiloten ihre bisherige Erfolgsstrategie mit Drohungen gegen ihren größten Lieferanten komplettiert.
  • “Ein auf der Hand liegender Ausweg aus der Importabhängigkeit wäre der Versuch, das Schiefergasphänomen in Nordamerika nachzuahmen. Das ist aber nicht passiert – warum? (…) Heute kann Europa jedenfalls nicht auf eine einheimische Schiefergasproduktion setzen, um eine nennenswerte künftige Sicherheit bei der Gasversorgung zu gewährleisten.”
  • Bei Öl und Kohle sei Europa ebenfalls stark von Russland abhängig, weshalb eine Substitution keinen Sinn ergebe. “Neue Atomkraftwerke sind in meinen Augen der einzige gangbare, skalierbare und erprobte Weg nach vorne”, diese seien nach Tschernobyl und Fukushima aber unerwünscht. Deshalb würden wohl Wind- und Sonnenenergie auf Teufel komm raus forciert werden – unabhängig davon was das koste und bringe. “Traditionelle Versorger werden aus dem Geschäft geworfen, diese legen nun ihre Investitionen auf Eis (…) Erneuerbare Energie verhält sich im Verteilungsnetz parasitär. Sie benötigt Kapital und traditionelle, mit Gas und Kohle arbeitende Generatoren, die sie (die erneuerbare Energie) ausbalancieren. Diese beiden unschätzbaren Services, die die traditionelle Energieerzeugung bereitstellt, werden durch grüne Politik ausgelutscht.”
  • Weil die erneuerbare Energie nicht ausreichen wird (bzw. nach dem derzeitigen Stand der Technologie  zu wenig Nettoenergie liefert, AvdK), meint Mearns, dass Europa die absehbare Versorgungslücke wohl mit US-amerikanischem LNG und zusätzlichen Importen aus Mittelasien  ausgleichen wird.
  • Eigene Anmerkung 1: Wie weit der Schiefergasboom trägt, wird sich weisen. Es gibt Vermutungen, dass diese Technologie lediglich ein Strohfeuer entfachen kann, eine Entlastung auf zehn oder 20 Jahre wie sie das Nordseeöl in den 1990ern gebracht hat. Mehr dazu in einem eigenen Post.
  • Eigene Anmerkung 2:  Die Europäer könnten in ihrer langfristigen Gas-Politik klarerweise auch z.B. mit den Iranern reden, die auf dem vlelleicht größten Erdgasvorkommen des Planeten sitzen (und sich dabei um ein entsprechendes Pipelineprojekt bemühen). In diesem Fall wäre es freilich von Vorteil, damit aufzuhören, drohend mit dem Zeigefinger zu wackeln: “Der iranische Außenminister Bijan Namdar Zanganeh sagte EU-”Außenministerin” Catherine Ashton (…) kürzlich, dass  es für den Gasexport nach Europa drei Bedingungen gebe: die Absetzung der wirtschaftlichen Sanktionen, Geld für den Bau einer Pipeline und das Recht Teherans, Preisabsprachen mit Russland zu treffen.”

Foto: btr, CC, Wikicommons

 

 

 

 

 

 

 

 

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