Germanwings: Frankreich nicht an echter Unfallursache interessiert

Nicht nur die Marseiller Ermittler, auch die anderen französischen Offiziellen agieren in Sachen Germanwings undurchsichtig. Aus ihrem Verhalten lässt sich nur ableiten, dass sie eine vorgegebene Version als real life drama inszenieren wollen. Die offizielle Theorie stinkt zwar wie ein reifer Vieux Boulogne, die echte Motivlage der Behörden ist dennoch nicht erkennbar – abgesehen von der angestrebten Vertuschung.

Trotz all der auffälligen Zufälligkeiten und der offenkundigen Unwahrheiten macht die Berichterstattung des Mainstreams freudig mit. Die Journalisten sind nicht in der Lage oder willens, zwischen der Ermittlungs-Burleske und den echten Geschehnissen zu unterscheiden.

Es ist wie ein Drehbuch, bei dem das Publikum schon in den ersten Minuten ahnen kann, wie die letzten Szenen aussehen werden.

Inzwischen geht es weniger um plausible Erklärungsansätze als um die sogenannten soft facts, nämlich das Umfeld und die Umstände, das Überdies und à propos. Die Theorie vom Amok-Piloten ist für die Beteiligten jedenfalls schon in Stein gemeißelt.

Keine Beachtung wird dem Umstand geschenkt, dass die Pariser Politik wie gedruckt lügt und dass sich das penibel und zweifelsfrei dokumentieren ließe – beispielsweise anhand der Regierungsposition, dass man nicht vorgewarnt gewesen sei. Die französische Luftwaffe war beim Absturz aber live dabei, hat das Todesflugzeug möglicherweise bis zur Absturzstelle eskortiert (und vielleicht sogar abgeschossen).

Die Mirage-Fata Morgana

Politiker wie Transportministerin Marie-Ségolène Royal und Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian streiten das ab. Nach ihrer Version ist eine einzige Mirage aus dem Rhone-Tal losgeschickt worden, mit dem Auftrag nachzusehen was los ist.

Das widerspricht zunächst einmal den Aussagen von Anwohnern, die, als das Unglück geschah, mehrere Militärmaschinen gesehen haben. Die Aussage eines Lokalpolitikers findet sich in einem u.a. hier zitierten AFP-Bericht,

afp-Aussageund eine andere, unabhängig davon entstandene in einer Story des Boulevardblattes Le Parisien.

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Die Politikeraussagen können auch deswegen nicht stimmen, weil besagter Abfangjäger von Orange-Caritat  gestartet sein soll. Der Stützpunkt ist in Luftlinie 140 Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt. Selbst wenn alles sehr fix gegangen wäre, kann dieses Flugzeug nicht einigermaßen zeitnah an der Absturzstelle gewesen sein. Nicht einmal zehn Minuten nach dem Geschehen.

Ein Blick auf Google maps gibt eine ungefähre Vorstellung von den Entfernungen (eigene Entfernungsmessung).

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143 Kilometer Luftlinie

Hier findet sich eine weitere Darstellung davon. Selbst wenn sich die Piloten im Bereitschaftsmodus befinden, benötigen Abfangjäger zwischen zehn und 15 Minuten um überhaupt in die Luft zu kommen – siehe die Aussagen eines ehemaligen Luftwaffenoffiziers hier.

Wenn aber bereits zum Zeitpunkt des Absturzes eine ganze Rotte von Mirage-Flugzeugen da war, war Paris vorgewarnt. Dann kann das Geschehen nicht erst mit Eintritt in den französischen Luftraum bzw. mit Beginn des Sinkflugs begonnen haben.

Ein solches Faktum widerspricht freilich dem Drehbuch des Marseiller Staatsanwalts. Nach seinem Plot konnten die Abfangjäger um 9.30 Uhr noch gar nicht wissen, dass sie zehn Minuten später in der Barcelonette gebraucht würden. Der Germanwings-Pilot ist nämlich erst zu diesem Zeitpunkt pinkeln gegangen.

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Nun sollte einem bewusst sein, dass die französische Luftwaffe gerade in dieser Region allen Grund zur Wachsamkeit hat. Im Rhonetal, in Cruas und Tricastin, stehen nahe der Lufwaffenbasis acht Siedewasserreaktoren.

Und nur 20 Kilometer nordwestlich der Absturzstelle liegt die Talsperre des Lac de Serre-PonÇon.

Wäre dessen Staumauer durchschlagen worden, wären die flussabwärts an der Durance liegenden Ortschaften (Tallard, Sisteron) binnen zwei Stunden von einer 30 bis 50 Meter hohen Flutwelle überschwemmt worden, wie aus einem 2011 verfassten Notfallplan hervorgeht.

Es war prinzipiell also grundvernünftig, den Problemflieger von Militärmaschinen beschatten zu lassen.

Ein flüchtiger Flugschreiber

Von kaum zu überschätzender Bedeutung ist auch die Tatsache, dass der Flugschreiber (flight data recorder) verschollen ist und bis zur Stunde bleibt.

Dieser FDR würde es als einziger ermöglichen, die Ursache des Absturzes technisch einwandfrei zu klären. Mit den dort gesammelten Daten ist die Bewegung jedes wichtigen Schalters nachzuvollziehen, der während eines Flugs umgelegt wurde.

Der FDR ist die eine Hälfte dessen, was in den Medien meist black box genannt wird. Der cockpit voice recorder (CVR) ist die andere Hälfte. Der wurde fast sofort gefunden. Er dient als Grundlage der Theorie des Staatsanwalts, der nicht gedenkt, das Audio zu veröffentlichen.

Im Netz zirkuliert eine angebliche Aufzeichnung der letzten Minute von Flug 9525, die aber aus verschiedenen Audio-Fetzen zusammengestoppelt wurde.

Ähnlich “beweiskräftig” ist ein von Bild veröffentlichtes Transkript des CVR. Der Text besteht zu einem guten Teil aus früheren Aussagen von Staatsanwalt Robin, denen ein time code hinzugefügt wurde. (“9:38 Copilot atmet ruhig”).

Wie die CVR werden die FDR gebaut, um den härtesten Absturzbedingungen und den widrigsten Umständen zu widerstehen.

Sie sind praktisch unverwüstlich. Und sie sind, damit man sie leichter finden kann, mit einem Peilsender ausgestattet.

Die Hülle des FDR wurde denn auch sofort gefunden, nur – leider, leider – nicht das alles entscheidende Speicherelement, wie der französische Präsident Francois Hollande höchstselbst gesagt hat.  In einem Bericht von Associated Press (AP) heißt es:

casingSo ein Pech aber auch ! Das wirkt glatt so, als ob jemandem eine SD-Karte aus einem herumliegenden Elektronikding gefallen oder als ob diese mal schnell gestohlen worden wäre. Noch heute gibt es Leute, die auf das Auftauchen des Flugschreibers warten – wohl vergeblich.

Aber ehrlich gesagt: Solange die FDR-Daten nicht öffentlich zugänglich gemacht werden und/oder von einem Prozessgegner unabhängig ausgewertet werden können, sind sie ohnedies nicht von Bedeutung.

In Frankreich muss sich die Praxis offenbar der Theorie fügen. Wenn sie das nicht tut, ist das umso schlimmer für sie.

Die Recherchen verdanken den anonym gebliebenen Zusendern von Hartgeld zahlreiche Anregungen. Oft extrem gut informierten Pilotentalk gibt es in diesem Forum.

Unabhängiger Journalist

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