“Great Enrichment”: It’s (also) the Energy, Stupid!

Westeuropäer, US-Amerikaner & Co. sind in den vergangenen 200 Jahren historisch beispiellos produktiv und “reich” geworden – was die einen auf Gewalt gegen die sogenannte Dritte Welt und andere wieder auf eine besondere Exzellenz des Weißen Mannes zurückführen. Beides hat einiges für sich – ist für sich genommen aber grob irreführend. Ohne Kohle, Öl und Gas hätte die jüngere Weltgeschichte viellleicht weniger Tote erzeugt – es hätte aber auch keine Explosion des (oft nur statistischen) Reichtums gegeben.

Bei Karl Marx und seinen Epigonen wird die Vorgeschichte des “Industriekapitalismus” unter “ursprüngliche (Kapital-)Akkumulation” abgeheftet.

Marktwirtschaftler wie Thomas Mayer erinnern dagegen, dass die von Linken und Tercermundistas kritisierte Entwicklung auch “Wohlstand für die Armen” gebracht habe

- das sei ein Erfolg, der der liberalen Wirtschaftsordnung, der Arbeitsteilung und dem Handel zuzuschreiben sei – und nicht zuletzt der Demokratie. Mayer:

Der 2010 verstorbene Wirtschaftshistoriker Angus Maddison hat den Anstieg des britischen realen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf von Christi Geburt bis 1650, dem Beginn des Aufstiegs des Liberalismus, auf gut 50 Prozent taxiert (wobei das natürlich nur eine grobe Schätzung sein kann). In den 360 Jahren danach stieg das reale BIP pro Kopf dann um rund 2.470 Prozent.” (44)

Die Geschichteprofessorin Deirdre McCloskey, ein selbst ernannter christlicher Libertärer, machte das genaue Gegenteil dessen, was vor ihr viele Generationen von die Bourgeoisie verachtenden Intellektuellen gemacht haben.

Sie schrieb ein dreibändiges Loblied auf das neu entstandene Bürgertum, das 2016 mit einem gelehrten Band über dessen Konzept von Egalité abgeschlossen wurde.

Das Buch hieß – eigentlich alles sagend - “Bourgeois Equality: How Ideas, Not Capital or Institutions, Enriched the World” und wandte sich gegen Leute, die den Erfolg des Westens auf staatliche und andere Institutionen zurückführten

- was man dort natürlich nicht auf sich sitzen ließ.

Der ausgeschrieene Kollege, in dessen home turf ein Ableger von McCloskeys Buch erschienen war, verfasste eine Replik, noch einen weiteren Text, der von niemandem gelesen wurde (und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute).

Über all dem thronte, zeusähnlich hinter Wolken verborgen, noch ein Kollege, der Jahrzehnte seines Berufslebens der Industriellen Revolution gewidmet hat;

ein Mann, der sich zuletzt mit einem (wirklich pipifeinen) Werk über die Kultur des Wachstums vernehmen hat lassen.

Aus der Perspektive des Außenstehenden konnte und kann man dazu nur sagen: Alle haben recht, wenn sie ihre 50 Prozent der Wahrheit erzählen – und sollten sie im einzelnen einmal weniger recht haben, kann es einem auch recht sein.

Es ist von nachgeordneter Bedeutung.

Jeder erklärt, dass der alte Rauschebart, bei etwas, das er nie gesagt hat, falsch gelegen ist und dass wenigstens die Hälfte seiner Story auf sujektiven und intersubjektiven Vorgängen und nicht objektivier- und vorhersagbarem menschlichen Verhalten beruht.

Von der Zähmung der Energien

Über all dem vergisst es sich leicht, dass es in der ganzen Chose sehr wohl einen zweiten, gewissermaßen materiellen Faktor gegeben hat und dieser ist eine Teilmenge dessen, was Rauschebart & Co. unter “Produktivkräften” verstanden haben..

Faktoren, die eigentlich schon immer da gewesen, die bis dahin aber nicht (voll) erkannt worden sind und die von Menschen mit neuem Wissen und frischem Blick nun anders bewertet, verstanden und genutzt wurden.

Zum Beispiel (und hauptsächlich) die Energie – zuerst die des Windes.

Dieser bläst schon seit Urzeiten und im Mittelalter ist seine Kraft oft mit stationären Einrichtungen, Windmühlen, genutzt worden.

Das war eine nette Abwechslung gegenüber der ständigen Plackerei von Mensch und Tier, und ziemlich high tech.

So richtig in die Gänge war man damit aber noch nicht gekommen, speziell nicht bei mobilen Anwendungen.

Die Segelei war bis ins 15. Jahrhundert eine höchstens nützliche Hilfswissenschaft für Fischerei und Küstenschifffahrt, nicht mehr.

Das änderte sich, als die Portugiesen die Karavelle bauten, einen neuen Schiffstyp, der sicherer im Wasser lag und so gebaut war, dass mit einem Minimum von menschlicher Muskelkraft ein Maximum äolischer Energie genutzt werden konnte (“gewusst wie”).

Mit der gewonnenen Energie und weiteren navigatorischen und schiffebaulichen Innovationen wie z,B. Kompass und Heckruder sind europäische Königreiche und Völker hochseetauglich geworden.

Sie haben Entdeckungen gemacht, die Erde umrundet, Kolonien grundgelegt und Handelsstützpunkte errichtet;

“so nebenher” waren die neuen Technologien hilfreich, das aus China übernommene Schießpulver auf ungleich flexiblere Weise als bisher einzusetzen – was eine erdrückende militärische Überlegenheit von atlantisch-nordseelichen Mächten von Portugal bis England entstehen ließ.

Viele Innovationen waren den Chinesen schon bekannt – sie wurden aber nicht oder nicht so wie im atlantischen Raum zu Beginn der Neuzeit eingesetzt (im Reich der Mitte kannte und verwendete man auch Kohle – auch in diesem Fall auf andere Weise als Jahrhunderte später lebende Europäer).

Die neue Form der Energieaneignung war “fringe” – eine Technologie kommerzieller und staatlicher Eliten, die von der dörflichen Realität von 98 Prozent der agrarischen Bevölkerung weit entfernt war.

Die Bauern lebten und starben wie schon immer und wenn überhaupt, dann wurden ihre Lebensumstände eher schlechter (klimatisch bedingt).

Trotzdem, berichtet uns z.B. Gayl D. Ness – siehe hier - dass es in Europa schon damals zu einem leicht höheren Ouput und einem Bevölkerungswachstums um 0,1 Prozentpunkte gekommen sei (die Indianer in den Americas wurden dagegen ausgerottet – zum Teil ungewollt und ungeplant).

So richtig ging’s aber erst danach los – und das ist die Epoche, die McCloskey, Ringmar und Mokyr meinen; die Epoche der “großen Bereicherung” und des zunehmenden Wohllebens für viele Europäer.

Ironischerweise hat ein englischer Pastor knapp vor dem Zeitpunkt, als die demographische Entwicklung einsetzte, die Bevölkerungsexplosion vorhergesagt – nicht aber, dass es gleichzeitig zu einer neuen Form der Energieaneignung und damit einem großen Sprung in der Produktiviät kommen würde.

Deshalb gilt Thomas Malthus bis heute als grottenschlechter Prognostiker, über den man sich lustig machen darf und soll.

Er dient als Beispiel dafür, dass immer alles anders kommt als gescheite Leute erwarten (was so auch nicht stimmt).

***

Jedenfalls wuchs die europäische Bevölkerung in den nächsten 150 Jahren um 300 Millionen Leute und kam danach auf dem heutigen Niveau zum Stillstand.

Das “Great Enrichment” schlug sich bei wenigen Personen und Familien als echter Reichtum nieder, bei der Masse der anderen aber nur in einem “besseren Leben” – einem mit vielen “Energiesklaven”, in städtischer Bequemlichkeit und mit individueller Mobilität.

Otto und Grete Normalverbraucher leben heute im Westen besser als Fürsten vor ein paar hundert Jahren (obwohl sie nicht “reich” sind);

in einer “Produktionsweise”, in der sie entgegen allen Unkenrufen nicht verarmt sind und die heute zunehmenend von Schein-Wirtschaft, Kredit und vorgezogenem Konsum überlagert wird.

Jedenfalls aber leben sie mit einer “Energiesubvention”, wie es sie in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hat.

Des Pudels Kern ist die in Kohle, Öl & Gas gespeicherte Sonnenenergie Dutzender Jahrmillionen.

Wie erwähnt, hat die europäische Bevölkerung darüber zu wachsen aufgehört, ähnlich wie sie zwischen Jungsteinzeit und Fossilzeitalter nur wenig gewachsen ist, wegen der “Malthusian pressures”.

Dafür legte dann die Bevölkerung der sich entwickelnden Welt in Asien, Afrika und Lateinamerika zu -

nicht um ein Prozent pro Jahr, sondern um 2,5 bis drei Prozent, wobei sie auf einem anderen Niveau dem historischen Muster der Europäer folgen dürfte – zuerst mit einem massiven Rückgang der Sterblichkeit, gefolgt von einem (tlw. noch antizipierten) Rückgang der Fruchtbarkeit.

Demographen nennen dieses Muster den großen Übergang – die Frage ist “nur”, wann und ob diese Entwcklung überhaupt eintreffen wird.

Vor 15 Jahren rechnete die UNO noch mit einer Erdbevölkerung von 9 Milliarden Menschen im Jahr 2100, heute liegen die Projektionen für diesen Zeitpunkt bei mehr als 11 Milliarden.

Sicher scheint nur, dass die Europäer, die einst fast ein Viertel der Weltbevölkerung gestellt haben, bis dahin eine kleine Minderheit geworden sein werden;

und dass die konzentrierte Energie, die seit 200 Jahren ihre Lebensgrundlage war, nicht mehr existieren wird (sie war/ist auch die Lebensgrundlage von Milliarden in anderen Teilen der Welt).

 Literatur:

Thomas Mayer, Die Ordnung der Freiheit und ihre Feinde: Vom Aufstand der Verlassenen gegen die Herrschaft der Eliten. 2018

Deirdre McCloskey,  Bourgeois Equality: How Ideas, Not Capital or Institutions, Enriched the World. 2017

Deirdre McCloskey, The Great Enrichment: A Humanistic and Social Scientific Account. 2016

Joel Mokyr, Culture of Growth: The Origins of the Modern Economy (The Graz Schumpeter Lectures).2018

Caro M. Cipolla, Guns, Sails and Empires ; Technological Innovation and the Early Phases of European Expansion.1985

Vaclav Smil, Energy and civilization : a history.2017

Gayl D. Ness, Population Growth and Energy.2004

Unabhängiger Journalist

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