Gastautor John James analysiert das Pulverfass United Kingdom. Der Brexit ist der aktuellste, aber nur ein Sprengsatz. Der May/EU-Deal scheint mit dem parteiinternen Votum bei den Conservatives vom Mittwoch endgültig vom Tisch zu sein.
Wenn man sich fragt, welche Auswirkungen diese Abstimmung und die Bestätigung von Theresa May als Regierungschefin haben könnten, sollte man zuerst einige Fakten in Betrachtung ziehen.
1) Es war kein Misstrauensantrag im Parlament gegen die Regierung, sondern ein Versuch innerhalb der Regierungspartei die Premierministerin abzuwählen und die Wahl eines neuen Parteiführers und Regierungschefs zu erzwingen.
Auch wenn man wenig Begeisterung für Frau May spürt, muss man sich fragen,welchen Vorteil das bringen sollte.
Das Prozedere, das zur Wahl eines neuen Parteichefs führt, dauert an die sechs Wochen. Die Conservative Party wäre nachher noch mehr gespalten als jetzt und der neue Premier hätte nur noch 60 Tage bis zum 1. April.
Er hätte de facto nur die Wahl zwischen einem No Deal Brexit oder einem Widerruf von Artikel 50 (des Austrittansuchens).
2) Aus dem Abstimmungsergebnis geht klar hervor, daß maximal 200 KONSERVATIVE Abgeordnete für den May/EU-Deal im Parlament stimmen würden. An die 430 würden dagegen stimmen.
Das sind die Stimmen der Labour Opposition (von jenen, die für den Verbleib in der EU sind, von jenen Pro-Brexit Labour Abgeordneten, die den Backstop ablehnen, sowie von jenen Labour Abgeordneten, die die Konservative Regierung abwählen wollen), plus die Stimmen der DUP, die den Backstop ablehnen, plus die Stimmen der Nationalisten, die den Austritt ablehnen.
Somit wurde der May/EU-Deal gestern endgültig entsorgt, auch weil die EU-Vertreter am Vortag betont haben, dass eine Änderung des rechtsverbindlichen Teil des Deals nicht möglich sein wird. Sie wären höchstens dazu bereit, einige weitere leere Versprechen über die Zeit nach der Übergangsperiode in The Political Declaration unterzubringen.
3) Somit bleibt dem Unterhaus auch mit Frau May an der Regierungsspitze nur die Wahl zwischen einem No Deal Brexit und einem “Widerruf von Artikel 50″.
Da es im Unterhaus keine Mehrheit für einen No Deal Brexit gibt, aber sehr wohl eine Mehrheit für einen Verbleib in der EU, muss man logischerweise davon ausgehen, dass die politische Elite dieses Ergebnis ansteuern wird.
Mit der Niederlage 200 – 117 in der Abstimmung über Frau May hat die Pro-Brexit-Fraktion innerhalb der Regierungspartei wieder einmal und eindeutig ihre politische Schwäche innerhalb der politischen Elite des Vereinigten Königreichs unter Beweis gestellt. Leider scheint logisches Denken in GB momentan nur begrenzt vorhanden zu sein.
4) Option Neuwahlen? Brexit ist in der englischen Bevölkerung insgesamt, anders als bei ihren politischen Vertretern, grundsätzlich mehrheitsfähig.
Die Conservative Partei fürchtet Neuwahlen. Die Partei ist unter Brexiteers diskreditiert, viele Tory-Parlamentarier würden zweifellos ihren Job verlieren, wenn jetzt Parlamentswahlen ausgerufen würden.
Der Alt-68er Jeremy Corbyn weiß dies und hält still, in der Hoffnung, dass das öffentliche Entsetzen über die Tories die allgemeine Angst vor seiner linken Politik ausgleichen könnte.
Je länger die Tories ihre Inkompetenz zur Schau stellen, umso besser für Labour.
Der Chef der Labour-Party ist im Herzen zweifellos ein überzeugter Basisdemokrat und EU Gegner, kann dies aber nicht laut sagen, da er die Pro-Globalisierungs- und Pro-EU Gruppe innerhalb seiner eigenen Partei bei Laune halten muss. Also scheint er zu hoffen, dass die Konservativen Brexit durchführen und sich dabei endgültig diskreditieren.
5) Die Absage der Parlamentsabstimmung über den Austrittsvertrag einen Tag vor der vorgesehenen Abstimmung ist verblüffend, zumal schon vor einer Woche klar war, dass Frau May diese verlieren würde. Der Inhalt des Austrittsvertrags ist sowohl für Brexiteers wie auch für EU Befürworter inakzeptabel.
War es von Anbeginn an die Absicht von Frau May, diese Abstimmung zu verlieren, um anschließend das Argument ins Feld zu führen, sozusagen nach dem Motto: “Neuverhandlungen sind ausgeschlossen, No Deal Brexit mache ich nicht, wir haben nur die Option eines (vorübergehenden) Verbleibs in der EU”?
Aber wenn das so wäre, warum hat sie dann die Abstimmung abgeblasen? Traut sie sich nicht?
Am Wochenende gab es eine Demonstration unter dem Namen „The Brexit Betrayal March – Dump The Deal“ in Whitehall vor dem Außenministerium und Downing Street, organisiert von UkIP und mit Gastredner Tommy Robinson – siehe hier:
UkIP Leader Gerald Batten speaking at the Brexit Betrayal Event
Tommy Robinson today led a ‘Brexit betrayal’ march – where activists brought props including a noose for Theresa May. The alarming symbol was spotted protruding from the crowd as UKIP supporters joined forces with the EDL founder to march through London.
The man carrying the gallows gave his name as Laukan Creasey, from Stevenage.Asked why he was brandishing the prop he told the Press Association: “That’s what the traitor May deserves. That’s what treasonous people get.”
Hier ist das Mirror-Video der Veranstaltung:
Bei dieser Versammlung fiel zum ersten Mal das Wort Traitor („Verräter“), wohlgemerkt aus dem Publikum – nicht von der Rednertribüne.
Bis jetzt ist das Wort „Treason“ (Hochverrat“ auf Deutsch, der gravierende atmosphärische Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen geht aus den deutschen Synonymen nicht hervor) bei solchen Demonstrationen nicht gefallen.
Wäre das der Fall, wäre wirklich Feuer am Dach. Frau May spielt mit Grundsätzen der englischen Verfassung, ob ihr das bewusst ist oder nicht, und das ist ein gefährliches Spiel.
6) Seit einigen Wochen gibt es Bemühungen im UK, eine allgemeine Angst vor einem No Deal Brexit zu schüren. Daran beteiligen sich Institutionen wie The Bank of England.
Nun ist ein No Deal Brexit keine Bagatelle. Das Ergebnis könnte einer Wirtschaftsblockade durch die EU nahekommen.
Andererseits muss die Regierung aufpassen, dass eine offizielle Angstkampagne nicht als Propaganda wahrgenommen wird, die zu einer Reputationsbeschädigung von staatlichen Institutionen wie der Bank of England führen kann.
Die Briten sind zwar höflich und dem Understatement zugeneigt, aber stur und bockig, wenn Ihnen gedroht wird.
Es braucht viel Fingerspitzengefühl, den Briten Angst zu machen ohne eine Trotzreaktion hervorzurufen. Fingerspitzengefühl ist etwas, das bekanntlich sowohl der EU wie Frau May fast gänzlich fehlt.
7) Abschließend einige vorläufige Schlussfolgerungen:
a) Egal welche Strategie Frau May verfolgt, ihr fehlt das Talent diese erfolgreich durchzuführen. Es ist nicht zu erwarten, dass die nächsten drei Monate konstruktiv ablaufen.
b) Bei einer wachsenden Anzahl von Bürgern ist die gesamte politische Elite Englands diskreditiert. Der Regierungspartei droht (noch ist die Gefahr nicht akut) eine Spaltung.
c) UK ist aus verschiedenen Gründen ein Pulverfass, der Streit um Brexit ist nur ein Problem unter vielen. Vergewaltigungs-Gangs in Städten wie Rotherham sind weitere, um ein Beispiel zu nennen.
Man könnte eine lange Liste von Problemen anführen, die das Königreich belasten.
Der Eindruck entsteht zunehmend, dass die politische Elite weder willens noch fähig ist, diese Probleme zu benennen, geschweige denn zu lösen.
Die Lunte brennt. Falls Theresa May den Brexit in den Sand setzt, kann der Fass im Jahr 2019 zur Explosion kommen. Hoffen wir, dass irgendjemand auf der Insel dieser Spirale der Inkompetenz ein Ende setzen kann.
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