Journalisten, die einen siebenstündigen Lauschangriff auf einen FPÖ-Politiker auf fünf Minuten kondensiert und dabei u.a. den Sturz der Wiener Regierung ausgelöst haben, erzählen angebliche Entstehungsumstände ihrer Story und pochen auf ihre Version des “Belastungsmaterials”. Trotz wesentlicher entlastender Umstände entspricht ihr Vorgehen dem eines Staatsanwalts, der “im Zweifel gegen den Beschuldigten” Anklage erhebt. “In dubio pro reo” und StPO sind für diesen Fall nicht vorgesehen. Auch der offenkundige Missbrauch des rechtsstaatlich gebotenen Quellenschutzes hat es in sich.
Die fraglichen Vorgänge fanden am 24. Juli 2017 in einer gemieteten Villa in Ibiza statt.
Wie bekannt, wollten zwei Lockvögel dem damaligen Oppositionspolitiker und späteren Vizekanzler Heinz-Christian Strache kompromittierende Aussagen entlocken, was mit versteckten Videokameras aufgenommen wurde.
Das ist nach Meinung der beiden Buchautoren auch gelungen. Strache habe, meinen sie, gleich dreimal korruptes Verhalten im Fall einer eventuellen künftigen Regierungsbeteiligung angekündigt.
Der Beschuldigte, damals Obmann der FPÖ, bestreitet das und auf Basis mehrerer von den SZ-Journalisten gegebener Schilderungen bestehen erhebliche Zweifel an einem solchen Vorhaben (an seiner Durchführbarkeit sowieso).
Der Gesamteindruck, der sich aus den Erzählungen im Buch ergibt, ist jedenfalls ein gegenteiliger.
Der Lockvogel, eine vorgebliche Oligarchen-Nichte, will dem Politiker immer und immer wieder “verbindliche Zusagen” über gesetzwidriges Handeln in zukünftigen Regierungsämtern entlocken, der freiheitliche Parteiobmann weicht aber immer wieder aus.
Gleichzeitig ist Strache sichtlich bemüht, einen Abbruch des Gespräches mit der immer ungeduldiger werdenden Russin zu vermeiden – hat diese doch die Absicht erkennen lassen, mit Hunderten Millionen die Mehrheit der Kronen Zeitung – inklusive redaktioneller Richtlinienkompetenz – erwerben zu wollen (die Krone ist, relativ gesehen, die weltweit größte Zeitung).
Denn der freiheitliche Politiker befindet sich im Glauben, die FPÖ könnte bei einem solchen Wechsel und entsprechender Protektion durch die neue Eigentümerin 34 statt 27 Prozent der Wählerstimmen erringen und bei den Nationalratswahlen 2017 stärkste Partei werden (S. 102, 107).
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“Aljona Makarowa” und ihr Begleiter, der später als “Privatermittler” aus Wien bzw. München identifiziert wird, nehmen gut ein halbes Dutzend Mal Anlauf um dem Politico konkrete Aussagen zu entlocken.
Um das zu erreichen, führen sie eine ganze Reihe von Optionen an, mit denen sich ein künftiger Regierungspolitiker für politische Gefälligkeiten “erkenntlich zeigen” könnte: Kunstgegenstände, Trinkwasser, “überpreisige” öffentliche Aufträge, etc.
Doch der immer wieder meckernd lachende Politico beißt nicht an.
Er will weder Zusagen noch Garantien abgeben und erklärt stets aufs Neue, dass jedes Österreich-Engagement der vermeintlichen Oligarchen-Nichte legal erfolgen müsse (für den Fall, dass sie der FPÖ eine größere Summe spenden wolle, wird ihr freilich eine Umgehungsmöglichkeit gezeigt – über einen “parteinahen Verein”).
“Und so geht es in dieser Nacht weiter: Strache erklärt, dass er nur für saubere Deals zu haben sei, und für Staatsaufträge – die er in Richtung der Russin schicke – erwarte er keine Gegenleistung: ‘nichts, nichts.” (S.105)
Warum die deutschen Aufdecker trotzdem glauben, Strache habe sich kompromittiert, steht auf einem anderen Blatt.
Diese ihre Meinung bedürfte wohl einer langen Erörterung.
Ihre Ansicht mag am – wenig realistischen – Wunsch des Politicos anknüpfen, den ständigen öffentlichen Auftragnehmer Strabag auszubooten – sie ist auf Basis des vorliegenden Materials aber ein spekulatives Konstrukt.
Ein wesentliches Problem besteht jedenfalls darin, dass ihre offen parteiische Anklage auf hochgradig editiertem Filmmaterial beruht und dass das Originalmaterial, das näher über den Kontext Aufschluss geben könnte, bis heute unveröffentlicht geblieben ist.
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Die angedeuteten Begleitumstände stehen … stünden natürlich im Gegensatz zur Strafprozessordnung (StPO) – wenn es sich denn um ein ordentliches Verfahren vor einem Gericht handelte.
Bei einem solchen hätten Beschuldigte jedenfalls das Recht umfassend über das Belastungsmaterial informiert zu werden und ihre Anwälte hätten Akteneinsicht. Angeklagte hätten ein Recht auf Gehör sowie eines auf einen fairen, rechtstaatlichen Prozess.
Nichts davon darf sich ein Strache von dem hiesigen (und deutschen) Medien-Rudel erwarten, das einem Lynchmob eher gleicht als institutionalisierter Rechtssprechung.
Das rechtspolitisch womöglich Bedenklichste ist freilich die Anrufung des “Quellenschutzes”, der eigentlich dazu da ist, die Identität von “Whistleblowern” in Behörden, Organisationen und Unternehmen zu schützen
- der hier aber ausdrücklich in Anspruch genommen wird um gewisse Recherchen zu unterlassen:.
“Im Grunde müssten wir uns jetzt ans Telefon setzen um das Gehörte anhand von zweiten Quellen zu verifizieren. Aber das geht nicht, wir müssen uns an den Quellenschutz halten.” (S.67)
Womöglich wird der Informantenschutz noch weiter herhalten müssen, um die Herausgabe des Originalmaterials zu verweigern. Bis jetzt hat man es einfach nicht hergegeben – ohne großmächtige Begründung.
Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Die Ibiza-Affäre. Innenansichten eines Skandals. 2019
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