50 Jahre nach dem Vorfall auf der Porzescharte wäre es an der Zeit, die damals in Florenz zu Unrecht Verurteilten zu rehabilitieren. Von Reinald Sensbach
Am Abend des 24. Juni 1967 steigen der Arzt Dr. Erhard Hartung, der Elektrotechniker Peter Kienesberger und der Unteroffizier des österreichischen Bundesheeres Egon Kufner auf zur Porzescharte.
Am Grenzkamm zwischen dem Osttiroler Bezirk Lienz und der italienischen Provinz Belluno wollte die von Kienesberger geführte Gruppe einen verwundeten Kämpfer des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) zur Weiterbehandlung in Österreich übernehmen.
Der vereinbarte Funkkontakt bleibt aus, stattdessen gewahrt man ein Licht, Geräusche und verdächtige Stimmen. Weshalb Kienesberger die Aktion abbricht und mit seinen Kameraden in die Ortschaft Obertilliach zurückkehrt. Dort besteigen sie eine Stunde nach Mitternacht, mithin am 25. Juni, jenes Fahrzeug, mit dem sie gekommen waren.
Just am 25. Juni sollen – so die offizielle und letztlich für die Gruppe verhängnisvolle italienische Darstellung – auf besagter Porzescharte vier italienische Soldaten getötet und einer verletzt worden sein. Aufgeschreckt von einer nächtlichen Detonation seien sie zum Grenzübergang geeilt, wo – wie ein Jahr zuvor – ein Strommast gesprengt worden war.
Der Alpini-Soldat Armando Piva war den Angaben zufolge durch eine vergrabene Sprengfalle schwer verletzt worden und noch am selben Tag gestorben. Angehörigen einer per Hubschrauber eingeflogenen Spezialeinheit sei daselbe passiert: Carabinieri-Hauptmann Francesco Gentile und die Fallschirmjäger Mario di Lecce und Olivo Dordi hätten eine zweite Sprengfalle ausgelöst: Dabei seien sie getötet sowie ihr Kamerad Marcello Fagnani schwer verwundet worden.
Des „blutigsten Attentats des Südtirol-Terrorismus“ werden daraufhin Kienesberger, Hartung und Kufner bezichtigt, inhaftiert und schließlich sowohl in Österreich, als auch in Italien angeklagt. In Florenz lautet das Urteil für Kienesberger und Hartung lebenslänglich, Kufner soll für 24 Jahre hinter Gitter.
Die drei waren durch „Geständnisse“ belastet worden, welche zwei im Keller der Carabinieri-Kaserne in der Bozner Drusus-Straße gefolterte österreichische BAS-Aktivisten unterzeichnet hatten.
Mehrtägige Dunkelhaft, brutale Schläge auf die Genitalien sowie der Drohung der „Erschießung auf der Flucht“ ließen sie Protokolle unterschreiben, welche der berüchtigte Bozner Untersuchungsrichter Dott. Mario Martin zu deren Anklage verwendet und in Florenz von Bedeutung waren.
Das dortige Verfahren in Abwesenheit der Angeklagten fußte auf – übrigens heute noch gültigen – Gesetzen aus der Zeit des Mussolini-Faschismus. Österreichische und deutsche Höchstgerichte urteilten später, es verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
In Österreich hingegen wurden die drei freigesprochen. Der Freispruch war letztlich auf ein mittels Sachverständigengutachten untermauertes Weg-Zeit-Diagramm der Verteidigung zurückzuführen.
Dieses förderte zutage, daß die den Dreien zur Last gelegten Taten im mehrfach bezeugten Zeitrahmen nicht zu bewerkstelligen war. Zuguterletzt stellte Bundespräsident Dr. Rudolf Kirchschläger das auf staatsanwaltlichem Einspruchswege neuerlich in Gang gesetzte Gerichtsverfahren 1975 endgültig ein.
Die florentinische Verurteilung vom 15. Mai 1970 ist indes nach wie vor in Kraft.
Würden Hartung und Kufner nach Italien reisen – Kienesberger ist am 14. Juli 2015 verstorben – müßten sie mit Verhaftung rechnen. Sie gelten nach wie vor als „Terroristen“, „Attentäter“, „Mörder“ – nicht allein im Stiefelstaat und dessen fragwürdiger Justiz, sondern auch weithin in der Publizistik und in der wissenschaftlichen Südtirol-Geschichtsschreibung
Die akribischen Forschungsergebnisse des österreichischen Militärhistorikers Hubert Speckner („Zwischen Porze und Roßkarspitz…“ Der „Vorfall“ vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten; Wien, Verlag Gra&Wis, 2013 ) zur Causa vermochten daran bisher wenig zu ändern.
Zu hoffen bleibt, daß seine jüngst erschienene Publikation (Von der „Feuernacht“ zur „Porzescharte“. Das „Südtirolproblem“ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten; Wien, Verlag Gra&Wis, 2016), in welcher er auf nahezu 800 Seiten offenlegt, wie Italien in Südtirol manipulierte und täuschte, das zeitgeschichtliche Bild endlich nachhaltig zu revidieren vermag.
Seine umsichtigen Quellenstudien zeigen unter Einbeziehung neuerlicher Expertisen von Spreng(mittel)sachverständigen und von Erkenntnissen aus militärfachlichen Erkundungen des Geländes rund um die Porzescharte klipp und klar, daß die amtliche Darstellung von damals nie und nimmer der Wahrheit entspricht.
Speckner zufolge ist höchst zweifelhaft, ob die „Attentatsopfer“ überhaupt auf der Porzescharte zu Tode gekommen waren. Innenminister Dr. Franz Hetzenauer (ÖVP), Dr. Stocker von der Sicherheitsdirektion Tirol, der Osttiroler Bezirkshauptmann Dr. Othmar Doblander, die unmittelbar nach der italienischen Geschehensmeldung unabhängig voneinander den Tatort besichtigten und dort nichts gewahrten, was nach Tod und Verderben aussah, wurden nicht zu den 1968 beginnenden mehrinstanzlichen Prozessen in Österreich geladen und ihre Berichte offensichtlich bewußt zurückgehalten.
Diese belegen, daß der angebliche Tatort ungesichert war und anders aussah, als ihn die eingesetzte italienisch-österreichische „Untersuchungskommission“ vorfand, die ihn erst nach zehn Tagen (sic!) in Augenschein nahm. Was den (parteifreien) damaligen österreichischen Justizminister Prof. Dr. Hans Richard Klecatsky († 23. 04. 2015) davon überzeugt sein ließ, daß es sich bei dem „angeblichen Attentat um eine rein inneritalienische Manipulation auf der Porzescharte“ handelte.
Aus den erstmals ausgewerteten österreichischen Quellen geht hervor, daß sich in den Erhebungen dieser „Untersuchungskommission“ zahlreiche Unstimmigkeiten finden und sich vieles von dem, was den damaligen Justizverfahren gegen die „Attentäter“ zugrunde gelegt worden war, so nicht ereignet haben konnte.
Einiges spricht dafür, daß die Getöteten bei einer Verminungsübung des italienischen Heeres auf dem Kreuzbergsattel einem Unfall zum Opfer gefallen und zur Porze verbracht worden sein dürften.
Politisch nahm Italien das angebliche „Porze-Attentat“ zum Vorwand, um sein Veto gegen den Beginn von Verhandlungen über Österreichs EWG-Assoziierungsbegehr einzulegen. Darüber hinaus passte es im Rahmen der gesamten Südtirol-Problematik auch nur allzugut in die „Strategie der Spannung“. Mit der „strategia della tensione“ trachteten verschwörerische Kreise in Teilen italienischer Dienste sowie des geheimen „Gladio“-Netzwerks des Militärs danach, die gesellschaftliche Unterfütterung zu bereiten für einen (letztlich erfolglos gebliebenen) Wechsel in Italien hin zu einem autoritären Regime.
Oberster Drahtzieher war General Giovanni De Lorenzo, ursprünglich Leiter des Militärgeheimdienstes SIFAR, danach Kommandeur der Carabinieri-Truppe, aus der heraus er Vertrauensleute ins Gladio-Netz einschleuste.
Der Gladio-Prozess in Rom 1994 warf ein bezeichnendes Licht auf die Umtriebe De Lorenzos und seiner Mannen, auch in Südtirol. Peppino Zangrando, als Präsident der Belluneser Anwaltskammer von hoher Reputation, stellte in der „Causa Porzescharte“, in der er jahrelang recherchiert hatte, ein Attentat des BAS in Abrede. 1994 wollte er den Fall neu aufrollen, sein Wiederaufnahmeantrag scheiterte aber an der Staatsanwaltschaft.
Der BAS hat 1967 auf der Porzescharte kein Attentat verübt. Die dafür verantwortlich Gemachten sind zu Unrecht verfolgt worden.
Ein halbes Jahrhundert wäre es höchst an der Zeit, das florentinische Fehlurteil aus der Welt zu schaffen, das ihnen ein Kainsmal aufdrückte.
Seit Jahren empfehlen regierende österreichische Bundes- und Landespolitiker (zuvorderst von ÖVP und SPÖ), aber auch Politiker der Südtiroler Volkspartei (SVP) BAS-Aktivisten, denen noch immer die Vollstreckung italienischer Urteile in Italien droht, sie mögen doch bitteschön Gnadengesuche einreichen.
Mit Verlaub – das ist Chuzpe.
Univ.Prof. Dr. med. Erhard Hartung und Egon Kufner wären von allen guten Geistern verlassen, so sie um Gnade bettelten für eine Tat, die sie nicht begangen haben.
Sollten indes die zuständigen Organe Österreichs, dessen damalige Amtsträger sich hasenfüßig und gegenüber Italien unterwürfig verhielten, 50 Jahre nach einem „Attentat“, das es (so) nicht gab, noch immer keine Verpflichtung zur Rehabilitierung seiner politisch und justitiell malträtierter Staatsbürger sehen, so wäre das eine Schande.
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.